Baugenossenschaften erproben mineralische Putze und Farben
Gegen dicke Luft
Innenräume können durch ungeeignete Baustoffe schwer belastet werden. Eine gute Alternative zu herkömmlichen Putzen und Farben bilden mineralische Produkte. Sie sind geruchsneutral und wirken als Puffer für die Luftfeuchte. Argumente, die auch Baugenossenschaften überzeugen.
Von Michael Staub | Bilder: Markus Lamprecht | Dezember 2016
Den Duft von frischem Brot mögen fast alle Menschen. Etwas anders sieht es beim Geruch frischer Farbe aus: Oft hängt er nach einer Renovation noch wochen- und monatelang in den Räumen und ist auch mit hartnäckigem Lüften kaum wegzukriegen. Zwar kann die menschliche Nase nicht aufschlüsseln, was genau in der Luft liegt. Dazu sind aufwendige Messungen notwendig. Doch seit die Bedeutung des Innenraumklimas für Gesundheit und Wohlbefinden des Menschen zunehmend erkannt wird (siehe Infobox), reagieren manche Mieterinnen und Mieter skeptisch auf solche Signale.
Positive Rückmeldungen
Neutral bis angenehm riecht es in der 2001 fertiggestellten Siedlung Hardturm der Zürcher Baugenossenschaft Kraftwerk1. Hier wurden vollflächig mineralische Putze und Farben verwendet. So erhielten nicht nur die Wohnungen, sondern auch sämtliche Waschküchen, Gänge und Gemeinschaftsräume Oberflächen aus Sumpfkalk und mineralischen Farben. «Wir wollten ein Projekt, das ökologisch ‹verhebt› und in dem sich die Bewohnerinnen und Bewohner wohlfühlen», sagt Julia Hofstetter, Kommunikationsverantwortliche bei Kraftwerk1.
Auch für die neueren Siedlungen Heizenholz sowie Zwicky Süd setzte die Baugenossenschaft auf mineralische Oberflächen. Die drei Überbauungen umfassen insgesamt sieben Häuser mit gut 250 Wohnungen. «Unsere Mieterinnen und Mieter schätzen die ökologischen und raumhygienischen Vorteile dieser Oberflächen. Wir erhalten dazu viele positive Rückmeldungen», berichtet Julia Hofstetter. Zu reden gäben bei der Mieterschaft einzig die Ausbesserungen: Abgeschlagene Stellen oder Flecken können nicht einfach mit Dispersion überstrichen werden. Vielmehr müssen sie von der Hausmalerin mit den richtigen Produkten ausgebessert werden.
Knackpunkt Ausbesserungen
Diese Malerin heisst Susanne Wyser. Sie ist seit über 25 Jahren selbständig und arbeitet für die Zürcher Baugenossenschaften Kraftwerk1 und Dreieck sowie verschiedene Privatkunden. «Die Verwendung von mineralischen Farben braucht ein bisschen mehr Fachwissen», sagt Susanne Wyser, «aber die Arbeit ist für uns Malerinnen und Maler viel angenehmer. Die Produkte riechen deutlich weniger stark, das merkt man.» Mineralische Produkte seien für viele eine Offenbarung, versichert sie: «Kundinnen und Kunden, die zum ersten Mal mineralischen Farben begegnen, sind durchs Band weg begeistert. Der neutrale und sogar angenehme Geruch und die schöne Oberfläche überzeugen sie.»
Doch wie aufwendig sind die Ausbesserungsarbeiten? «Kleinere Stellen oder Flecken kann man häufig problemlos ausbessern», berichtet Susanne Wyser, «nach etwa sechs bis sieben Jahren ist aber die gesamte Wand fällig, der Kontrast zur alten Farbe wäre dann zu ausgeprägt.» Etwa nach 10 bis 15 Jahren, je nach Mieterwechsel, stehe dann der Neuanstrich sämtlicher Räume an. Die Malerin arbeitet fast ausschliesslich mit mineralischen Farben. Deren Vorteile beschreibt sie wie folgt: «Offenporige Farben geben einer Wohnung eine ganz andere Atmosphäre. Der Anstrich altert schöner, weil der Schmutz nicht so sehr angezogen wird. Und es herrscht einfach eine andere Stimmung. Man kann das nicht sehr gut mit Worten beschreiben, aber wer eine solche Wohnung betritt, merkt den Unterschied sofort.» Neben unbestreitbaren Vorteilen gebe es auch negative Punkte, räumt die Malerin ein. Mineralische Farben seien nicht ganz so robust wie ein Abrieb, der mit Dispersion gestrichen wurde. Man müsse deshalb mehr Sorge tragen.
Mehrkosten zahlen sich aus
Bosco Büeler gehört zur Pioniergeneration der Schweizer Baubiologen. In den letzten vierzig Jahren hat er über 300 Projekte begleitet, unter anderem den Neubau des Bundesamtes für Statistik (BFS) in Neuenburg. Er bestätigt die Vorteile mineralischer Putze und Farben: «Sie riechen neutral bis angenehm, können durch ihre offenporigen Flächen sehr gut Feuchtigkeit binden und damit helfen, das Wohnungsklima zu regulieren. Zudem bieten mineralische Farben dem Schimmelpilz nur wenig Möglichkeiten zur Anhaftung.» Zudem zeigten insbesondere Lehmputze einen Puffer- und Absorptionseffekt. Sie könnten damit manche problematischen Stoffe dauerhaft binden.
Mineralische Oberflächen seien zwar etwas teurer, aber dennoch gerade für Baugenossenschaften interessant, sagt Bosco Büeler: «Jede Genossenschaft muss langfristig denken, und sie ist viel näher am ‹Kunden› als kommerzielle Investoren. Es lohnt sich, etwas teurer zu bauen, wenn man dafür langfristig einen günstigeren Unterhalt der Gebäude erreicht und zufriedene Mieter hat.» Er weist zudem auf den gesundheitlichen Aspekt hin: «Wir Menschen in der Schweiz verbringen unerhört viel Zeit in geschlossenen Räumen. Allein aus diesem Grund sollten wir dafür sorgen, dass die Bedingungen in diesen Räumen für uns zuträglich sind.»
Luftqualität als Vertragsbestandteil
Eine Liegenschaftsbesitzerin, die diesem Punkt schon lange Sorge trägt, ist die Stadt Zürich. Die ersten Vorgaben wurden bereits um das Jahr 2000 formuliert. Mit den «7 Meilenschritten zum umwelt- und energiegerechten Bauen» wird seit 2008 für alle städtische Bauten zwingend ein gesundes Innenraumklima verlangt. Dieses soll Grenzwerte beziehungsweise anerkannte Richtwerte für Belastungen wie etwa Formaldehyd deutlich unterschreiten. Zudem wird der Einsatz von gesundheitlich unbedenklichen Baustoffen verlangt. «Das gesunde Bauen und die gute Qualität der Raumluft spielen bei unseren Bauprojekten eine sehr wichtige Rolle. Deshalb achten wir von Anfang bis Ende eines Projektes auf die entsprechenden Anforderungen», sagt Michael Pöll, Bauökologe bei der städtischen Fachstelle Nachhaltiges Bauen.
Diese Anforderungen sind ein Bestandteil der Verträge zwischen Architekten und Stadt als Bauherrschaft. Zur Überwachung der Bauprojekte kontrolliert das Amt für Hochbauten die Einhaltung der Kriterien über den gesamten Planungs- und Ausführungsprozess. So werden etwa genaue Materialkonzepte verlangt. Auch bei der Devisierung der Arbeiten nimmt die Stadt Stichproben vor. Eine konsequente Kontrolle brauche es über den gesamten Bauprozess, sagt Michael Pöll: «Wenn die Zusammenarbeit mit dem Architekten funktioniert, ist das eine gute Voraussetzung. Aber gebaut wird auf der Baustelle. Wenn es dort nicht klappt, sind alle Vorarbeiten und die schönsten Zertifikate Makulatur.» Wenn die Umsetzung nicht den Vorgaben entspreche, scheue man nicht vor Sanktionen zurück: «Bei gesundheitlich relevanten Fragen nützt eine Strafzahlung wenig. Deshalb verlangen wir in der Regel einen Materialersatz.»
Klima spürbar besser
Wer sicherstellen will, dass die vereinbarten Produkte tatsächlich verbaut und die Auflagen von Anfang an eingehalten werden, muss also einen Zusatzaufwand betreiben. Gerade bei Genossenschaften, die zum ersten Mal auf mineralische Oberflächen setzen, könnte sich die zeitliche Belastung bemerkbar machen. Der finanzielle Zusatzaufwand ist dagegen vergleichsweise gering. «Bei Mehrfamilienhäusern rechne ich mit etwa fünf bis zehn Prozent Mehrkosten», sagt Bosco Büeler. Ausschlaggebend dafür seien die etwas höheren Preise für mineralische Farben und Putze, der Arbeitsaufwand sei hingegen nicht markant höher als bei Verwendung konventioneller Produkte.
Die Malerin Susanne Wyser meint hingegen: «Nicht die Farbe, sondern die Ausführung der Arbeit macht mineralische Oberflächen teurer.» Gerade mit den heutigen Farben werde häufig gestrichen, ohne die nötigen Vorarbeiten wie Waschen oder Schleifen auszuführen. Umso mehr lohne es sich, vor dem Streichen mineralischer Farben die Vorarbeiten sauber auszuführen. Ob sich der Aufwand lohnt, können die Projektverantwortlichen mit einem einfachen Test feststellen. Denn Malerinnen, Baubiologen und auch Mieterinnen und Mieter empfehlen Skeptikern dasselbe Vorgehen: Man solle doch einfach mal eine Wohnung mit mineralischen Oberflächen aufsuchen und «ä Nase voll näh». Das Fehlen von typischen Farbgerüchen kann eine überraschende Erfahrung sein – und den Duft von Brot umso mehr betonen.
Innenraumklima - ein wichtiges Thema
Schweizerinnen und Schweizer verbringen bis zu neunzig Prozent ihrer Zeit in Innenräumen. Trotzdem gibt es bis heute nur wenige gesetzlichen Vorgaben für die Luftqualität innerhalb von Gebäuden, etwa den BAG-Richtwert für Formaldehyd oder die BAG-Empfehlung für Asbest. Dass problematische Stoffe in Gebäuden deren Bewohner krankmachen können, ist jedoch schon länger bekannt. In solchen Fällen leiden die Bewohner oder Benützer meistens an unspezifischen Symptomen, die sich nicht einem bestimmten Auslöser zuordnen lassen. Dieses Problem ist unter dem Namen «sick building syndrome» bekannt. Mit dem Begriff «Innenraumklima» beschreibt man verschiedene Qualitäten eines Innenraums. Die zwei wichtigsten Parameter sind Luftfeuchte und Temperatur. Auch die Luftzirkulation (Lüftung), der Feinstaubgehalt oder Geruchsempfindungen spielen eine Rolle. Allergie- oder Krankheitssymptome von Benützern deuten häufig auf Probleme mit chemischen oder biologischen Auslösern hin.
Hier kann es sich beispielsweise um Formaldehyd, VOC (volatile organic components, flüchtige organische Bestandteile) in Farben oder Lacken oder «normale» Schimmelpilzsporen handeln. Insbesondere die Identifikation von chemischen Schadstoffen kann wegen der Vielzahl verbauter Produkte und deren Wechselwirkungen enorm aufwendig sein. Um die Quelle der problematischen Stoffe zu eruieren, muss man in der Regel mit aufwendigen Luftmessungen und chemisch-materialtechnologischen Recherchen über Zeiträume von mehreren Wochen bis Monaten rechnen. Eine gute Gegenmassnahme ist die Verwendung möglichst bekannter, unproblematischer Baustoffe und Materialien im Innenausbau.
Websites zum Thema:
www.stadt-zuerich.ch/nachhaltiges-bauen
www.eco-bau.ch
www.gesundes-haus.ch
www.stiftungfarbe.org