
Crowdfunding – ein Finanzierungsinstrument für Genossenschaften?
Hohe Hürden
Als Folge der Digitalisierung kommt die Banken- und Kreditwelt ins Wanken. Crowdfunding präsentiert sich als Win-win-Situation: Auf einer Internetplattform kommen Start-ups oder Projektentwickler in Kontakt mit potenziellen Geldgebern – völlig unabhängig von mächtigen Banken. Doch die an sich clevere Idee ist bei Genossenschaften nicht leicht umzusetzen.
Von Jürg Zulliger | Illustration: Jürg Steiner | November 2017
Es tönt ebenso einfach wie überzeugend: Eine eigene Website aufschalten, übers Netz Geld sammeln und gleich loslegen. Crowdfunding verheisst mutigen Pionieren, völlig neue Geldquellen anzuzapfen. Kredite für junge Studienabgänger, die in der Medizinaltechnik eine zündende Idee haben? Oder quasi ein Blankokredit für ein unabhängiges, kritisches Medienmagazin wie die «Rebublik» von Constantin Seibt und Christof Moser? Im Kern geht es immer darum, über eine digitale Plattform Projekte zu finanzieren, und zwar dank einer Vielzahl verschiedener Geldgeber. Dabei gibt es ganz unterschiedliche Varianten wie Crowd Lending (Kredite) oder Crowd Investing (Investitionen). Eine grosse Resonanz hat derzeit das Immobilien-Crowdfunding, wie es in der Schweiz unter anderem von Crowdhouse angeboten wird. Schon ab 25 000 Franken wird man dabei Miteigentümer von Renditeliegenschaften. Den meisten Kleinanlegern dürfte allerdings kaum bewusst sein, dass es mit dem Anlegerschutz damit weit schlechter bestellt ist als bei einem von der Finma beaufsichtigten Anlagefonds. Vor allem im Kultur- oder Medienbereich stellt das Reward-based-Crowdfunding eine echte Innovation dar. Dazu zählt das erwähnte Beispiel des Medienmagazins «Republik»: Wer sich finanziell engagiert, kommt in den Genuss von «Goodies», eben zum Beispiel in Form eines Abonnements des Magazins.
Potenzial längst nicht ausgeschöpft
Laut Swiss Fintech Map zählt man in der Schweiz rund vierzig Anbieter im Bereich Crowdfunding. Im Jahr 2016 ist bereits ein Volumen von rund 130 Millionen Franken über Crowdfunding abgewickelt worden. Das entspricht einem rasanten Wachstum, denn im Vorjahr waren es nur dreissig Millionen (Crowdfunding Monitor Hochschule Luzern). Für 2017 erwarten die Experten denn auch eine weitere Steigerung auf bis zu 400 Millionen Franken. Umgerechnet pro Kopf ist das zwar noch wenig, etwa in Relation zum führenden Crowdfunding-Markt USA. Bremsend wirken in der Schweiz die komplexen rechtlichen Rahmenbedingungen, namentlich durch Finanzmarktgesetze, Gesetze über Kollektivanlagen, Anlagefonds usw.
Die Gesetzgebung hält mit der technischen Entwicklung nicht Schritt. Dieses Jahr kommt zwar eine Fintech-Vorlage ins Parlament, die dem boomenden Markt gewisse Rahmenbedingungen vorgeben würde. In vielen Fällen ist aber bis heute nicht restlos klar, was genau bewilligungspflichtig ist und welche Spielregeln zu beachten sind. «Gemäss dem aktuellen Stand müssen wir zum Beispiel das Geldwäschereigesetz und weitere Auflagen der Finanzmarktaufsicht einhalten», erläutert Alwin Meyer, CEO und Mitbegründer der Plattform Swisspeers. Und: Kredite für Projektfinanzierungen dürften nur auf zwanzig Darlehensgeber beziehungsweise Investoren verteilt sein. Vertreter der Fintech-Branche halten solche Einschränkung schlicht für unsinnig. Für die Praxis problematisch ist auch die geltende Regel, dass die Gelder beim Crowdfunding nur wenige Tage auf dem Transaktionskonto der Crowdfunding-Plattform verbleiben dürfen.
Blankokredite an Jungfirmen?
Player wie Swisspeers sehen sich als wichtige und neue Stütze in der Finanzierung von KMU. «Finanzierungen, wie wir sie machen, waren bisher bei Banken nur schwer zu bekommen», so Alwin Meyer. Vor allem bei jungen Firmen können die Geldgeber kaum Sicherheiten erwarten – es handelt sich quasi um Blankokredite. Doch auch die Player im Crowdfunding kommen nicht darum herum, die Risiken abzuwägen und sich die finanziellen Kennzahlen genauer anzuschauen. Alwin Meyer hält dazu fest: «Wir haben uns vor allem auf Finanzierungen von Firmen spezialisiert, die schon einen gewissen Leistungsausweis und Cashflow vorlegen können.» Swisspeers nimmt dabei eine genauere Analyse des betreffenden Unternehmens vor (Ertragskraft, Bilanz, Erfolgsrechnung).
Entscheidend ist letztlich, was auch eine Bank prüfen würde, nämlich die Tragbarkeit eines Kredits. Daraus ergibt sich ein Rating und auch eine ungefähre Grössenordnung, welcher Zins für Finanzierungsbeiträge sinnvoll erscheint. Auf der Plattform www.swisspeers.ch sind die laufenden Projekte dargestellt. Der Anleger kann sich ein Bild vom Projektentwickler beziehungsweise der Firma machen. Transparenz ist hier grossgeschrieben: Denn auch der Empfänger des Geldes kennt diejenigen Investoren, die letztlich tatsächlich Geld anlegen. Je nach Rating und Projekt liegen die Zinsen unterschiedlich hoch. Bei etwas riskanteren Geschäften kommt es vor, dass der Projektentwickler mit Zinsen von acht oder neun Prozent rechnen muss. In der Praxis finden sich auch Vorhaben im Bau- und Immobilienbereich, häufig zum Beispiel Ausbauten von Gebäuden und Bauprojekten.
Zurückhaltende Genossenschaften
Ideale Partner für solche Transaktionen wären gemeinnützige Wohnbaugenossenschaften. Zum einen gibt es heute viele Privatpersonen, die Alternativen zu Sparguthaben und Anlageprodukten von Banken suchen. Zum anderen klafft bei jüngeren Bauträgern oft eine beträchtliche Lücke beim Eigenkapital. Doch in der Praxis wollen junge Genossenschaften den Geldkreislauf nicht weiter öffnen: Crowdfunding werde in nächster Zeit «nicht in Betracht gezogen», erläutert eine Sprecherin der Zürcher Genossenschaft Kalkbreite. «Wir möchten als Genossenschaft unabhängig bleiben, und durch den erfolgreichen Betrieb im Wohn- und Gewerbebau Kalkbreite geniessen wir auch eine hohe Glaubwürdigkeit bei den Banken beziehungsweise Geldgebern.» Ein wichtiges Instrument stellt die Depositenkassen der Kalkbreite dar, in die ab nächstem Jahr aber nur noch einzahlen kann, wer zugleich Genossenschaftsanteile hält.
Ähnlich sieht es Martin Geilinger, Geschäftsführer der Winterthurer Genossenschaft Gesewo: «Crowdfunding ist bei uns derzeit kein Thema.» Eine Überlegung dabei: Die Genossenschaft suche primär Darlehensgeber mit einer Affinität zu selbstverwalteten Wohnformen und autonomen Hausgemeinschaften. «Unsere Crowd bei der Finanzierung sind letztlich unsere Bewohner», so Martin Geilinger. Eine Rolle spiele auch, dass innerhalb der Genossenschaft keine solchen Ideen konkret vorgebracht werden. Es gebe auch keinen Problemdruck. «Wir haben eine ganze Palette an Möglichkeiten, um eigene Mittel zu beschaffen», erläutert der Geschäftsführer. Das reicht vom Anteilscheinkapital der Genossenschaftsmitglieder über Pflichtdarlehen der Mieterinnen und Mieter bis zu freien Darlehen, auch von Personen ausserhalb der Genossenschaft. Dabei hält die Gesewo den Grundsatz hoch, dass der ganz persönliche Einsatz der Bewohnerinnen und Bewohner eine Schlüsselrolle spielt.
Kein Eigenkapital
«Im Gegensatz zum Crowdfunding bietet unser System Gewähr, dass uns die Herkunft des Geldes bekannt ist. Wir kennen alle Darlehensgeber namentlich und stehen oft auch direkt mit ihnen im Kontakt», sagt Martin Geilinger. Von ideellen Vorbehalten abgesehen, wäre in Sachen Crowdfunding noch eine andere Hürde zu meistern: Da die Bankrichtlinien hinsichtlich Tragbarkeit und Belehnung verschärft wurden, könnte Crowdfunding quasi als Umgehung der heute verlangten Kreditstandards interpretiert werden. Denn streng genommen sind über Crowdfunding eingesammelte Mittel als Fremdkapital zu werten. Es müsste also erst noch ein Weg gefunden werden, wie die Geldgeber aus der Crowd enger an die Genossenschaft gebunden werden können – indem sie zugleich Genossenschaftsanteile zeichnen und die Genossenschaft ihnen Zugang zu gemeinsam finanzierten Projekten verschafft.