
Thomas Müller über die digitale Revolution beim Bauen
Digitalisierung wird Qualität von Bauten verbessern
Steht die Immobilienbranche vor der digitalen Revolution? Das Thema jedenfalls ist derzeit in aller Munde. Thomas Müller von der Interessengemeinschaft «Bauen digital Schweiz» erklärt, was hinter dem Schlagwort BIM steht und was damit auf Bauträger zukommt.
Interview: Liza Papazoglou | Oktober 2016
Wohnen: Seit einigen Monaten geistert das Schlagwort Building Information Modeling (BIM) durch die Schweizer Baubranche, das Zeitalter der Digitalisierung wird ausgerufen. Weshalb kocht das Thema gerade jetzt so hoch?
Thomas Müller: Ich glaube, es war einfach Zeit. Unserer Baubranche geht es eigentlich gut. Trotzdem bin ich überzeugt, dass sie am Anfang eines fundamentalen Umbruchs steht. Sie gerät zunehmend unter Druck, weil Firmen aus dem EU-Raum in die Schweiz drängen und sich Grossaufträge angeln. Sie haben in Sachen Digitalisierung gegenüber Schweizer Betrieben teilweise einen Vorsprung von acht bis zehn Jahren und können so attraktivere Preise, effizientere Prozesse und eine höhere Qualität bieten. Dieser zunehmende Druck war denn auch einer der Gründe, weshalb Bauen digital Schweiz lanciert wurde und dem Thema mehr Aufmerksamkeit verschaffen will. Ebenfalls einen Einfluss haben internationale Planer wie Herzog und de Meuron, die einen Grossteil ihrer Projekte im Ausland akquirieren, wo BIM teilweise bereits Pflicht ist. Solche Firmen bringen Impulse in die Schweiz zurück.
Was bedeutet es überhaupt, wenn Projekte nach BIM abgewickelt werden?
BIM ist eine softwarebasierte Planungsmethode. Die in Planung, Bau und Betrieb eines Gebäudes involvierten Akteure teilen Informationen und Konstruktionen in 3D, die dann an einem zentralen Ort zu einem virtuellen Gebäude zusammengefügt werden. Anhand des BIM-Modells kann man Simulationen durchspielen und Planungsfehler frühzeitig erkennen. Das ermöglicht eine effizientere, transparentere und vorausschauendere Planung. Was sich auszahlt, denn bei einem Gebäude sind nur etwa zwanzig bis dreissig Prozent Investitionskosten, siebzig bis achtzig Prozent aber Betriebskosten.
Wo wurde in der Schweiz bereits mit BIM gebaut?
Pioniere hierzulande sind die grossen Spitalbetreiber. Sie haben als Erste erkannt, dass die Digitalisierung über die ganze Wertschöpfungskette hinweg Vorteile bringt. Spitäler sind unglaublich komplexe, hochtechnologische Gebäude, die sehr effizient funktionieren und wo die Prozesse stimmen müssen, damit man die Betriebskosten im Griff behält. Von einer Planung bis zum Bau dauert es vielleicht fünfzehn Jahre. Bis dann haben sich aber die Anforderungen an das Spital bereits stark gewandelt. Das heisst, man muss extrem flexibel planen können. Das geht nur mit sehr guten Planungsgrundlagen. Das erste BIM-Projekt in der Schweiz war das Felix-Platter-Spital in Basel. Da wurde viel Engagement und Geld investiert. Auch wenn am Schluss nicht alles wie gewünscht umgesetzt werden konnte, gab dieses Projekt einen so starken Impuls, dass Sie heute keinen Spitalbau mehr finden, der ohne BIM realisiert wird. Auch Labore werden vorwiegend so ausgeschrieben. Bereits werden auch erste Hotelprojekte mit BIM gebaut. Wir merken, dass BIM allmählich «runterkommt».
Wann wird es im Wohnungsbau ein Thema?
Das ist es bereits. Ich weiss, dass beispielsweise Implenia Wohnbauten als BIM-Projekte ausgeschrieben hat. Und es gibt weitere Bauherrschaften und Entwicklungsgesellschaften, die mit BIM bauen, etwa auf dem Sulzerareal.
Das sind alles Grossprojekte. Wird BIM in absehbarer Zeit auch für kleinere Wohnbauprojekte eingesetzt?
Ich bin überzeugt, dass das ganz selbstverständlich und zum Normalfall werden wird. Hat ein Planer sich erst einmal das Wissen angeeignet, kann er das grundsätzlich für jeden Bau verwenden, selbst für Einfamilienhäuser. Erlauben Sie einen Vergleich: Heute arbeitet eine Sekretärin – auch wenn sie sich dies vor dreissig Jahren nicht vorstellen konnte – selbstverständlich mit dem Computer und diversen Programmen. Sie nimmt ihre Schreibmaschine auch dann nicht hervor, wenn sie nur ein Memo schreiben muss. Weil es einfacher und effizienter ist, digital zu arbeiten. Ähnlich vereinfacht die Digitalisierung auch in der Baubranche das Arbeiten.

Thomas Müller (49) ist Mitbegründer der Interessengemeinschaft «Bauen digital Schweiz» und sitzt im zehnköpfigen Steuerungsausschuss.
Einer der wesentlichen Vorteile in Ihren Augen?
Unbedingt. Dank BIM lassen sich zwei wesentliche Herausforderungen beim Bauen angehen: Das eine ist die Komplexität. Ein Schulhausbau war vor sechzig Jahren zwar auch anspruchsvoll. Heute gibt es aber ungleich mehr Vorschriften, zu Gebäudetechnik, Sicherheit, Gesundheits- und Umweltschutz usw. Es ist unglaublich, woran ein Planerteam heute alles denken muss. Das Zweite ist die schiere Menge an Informationen, mit der man umgehen muss. Schaut man nur schon einen einzigen Projektentscheid an: Wer da alles mitwirkt! Da gibt es vielfältigste Informationswege, zudem liegen die Informationen in unterschiedlichen Formen vor, als EMail, Pläne, Hand- und elektronische Notizen usw. Es ist sehr anspruchsvoll, diese richtig zu sammeln, abzulegen und an alle zu kommunizieren. Man braucht einen wesentlichen Teil seiner Zeit dafür, Informationen zu sortieren und die Übersicht zu wahren.
Wie schafft BIM konkret Abhilfe?
Das lässt sich gut am Beispiel des Raumbuchs aufzeigen. In ihm werden alle Raumparameter eingetragen, von der Nutzung über die Quadratmeter über die technischen Installationen bis zu Materialien und Ausstattung. Früher war es ungemein zeitraubend, das Raumbuch nachzuführen. Heute gibt es Raumbücher in digitaler Form, die auf einer Cloudlösung basieren und in die der Bauherr seine Anforderungen an ein Gebäude online eingeben kann. Aufgrund dieser Einträge machen die Planungsteams dann über ihre direkt verlinkte Planungssoftware ihre Vorschläge. Zeichnet der Architekt den Raum, kann der Bauherr nachschauen, wo die Planung steht und was wie umgesetzt wird. Jeder Entscheid muss so nur einmal eingegeben werden und ist an einem Ort abgelegt. Mit BIM werden Architekten und Planer von Fleissarbeiten entbunden und können ihre Zeit für ihre Kernkompetenz nutzen, nämlich den kreativen Prozess und die Suche nach guten Lösungen.
Ausländische Firmen haben teilweise einen Vorsprung von zehn Jahren.
Was bedeutet das für die Zusammenarbeit?
Die Planung wird sehr transparent. Das beeinflusst natürlich sowohl die Betrachtungsweise des Bauherren als auch die Arbeitsweise des Architekten. Jede Veränderung ist protokolliert und alle Beteiligten haben Zugriff auf die für sie relevanten Informationen.
Damit kann der Bauherr sofort reagieren, wenn etwas in die falsche Richtung läuft.
Genau. Dass Fehler im Planungsprozess entstehen, ist an sich normal. Nur dauerte es bisher sehr lange, bis man sie gefunden hatte. Mit einer BIM-Software aber kann man mit einfachen Abfragen ganz viele Aspekte gezielt überprüfen. Was sehr wertvoll ist, denn zu spät korrigierte Fehler führen oft zu teuren Konsequenzen im Betrieb. Meine Firma hat beispielsweise ein Gebäude im Raum Zürich, das ohne BIM geplant wurde, nachträglich mit einem BIM-Modell virtuell «nachgebaut» und detailliert untersucht. So liess sich sehr einfach feststellen, dass über achtzig Installationsschächte vertikal nicht exakt übereinanderliegen. Bei dreissig davon war die Situation ernsthaft problematisch. Solche Probleme kann man mit BIM sehr gut abfangen – und auch gut visuell darstellen, so dass sie für jedermann nachvollziehbar sind. In ähnlicher Weise lässt sich im Modell alles Mögliche überprüfen, ob etwa Abstände gross genug sind oder die gewünschte Anzahl Steckdosen eingeplant ist. Sie können jedem Element einen Preis hinterlegen oder eine Zeitdimension, wann es einzubauen ist, oder eine Qualität usw. Solche Informationen sind dann für Optimierungen nutzbar. Ich bin daher davon überzeugt, dass die Digitalisierung die Qualität von Gebäuden sehr stark verbessern wird.
Welche weiteren Vorteile gibt es?
Sicherlich die Dokumentation. Nehmen Sie etwa die Übergabe eines Gebäudes. Heute erhält der Bauherr meistens immer noch gedruckte Pläne. Und vielleicht noch zwanzig Bundesordner mit Unterlagen. Aber das sind letztlich tote Informationen, die einem nicht viel nützen, wenn man ein paar Jahre später einen Anbau machen möchte. In dem Moment, wo ein Gebäude in den Betrieb übergeht, geht enorm viel Wissen verloren. Bei einer BIM-Abwicklung erhalten Sie demgegenüber das virtuelle Gebäudemodell mit allen verknüpften Daten auf aktuellstem Stand. Das ist hilfreich für den Betrieb, zudem kann ein Bauherr jederzeit nachvollziehen, wann wer welche Entscheide getroffen hat, mit welchen Lieferanten er zu tun hatte und was wie viel kostete. Bei einem Einfamilienhaus mag das nicht ganz so wichtig sein, bei einer grösseren Wohnüberbauung aber sehr wohl. Das kann viel Geld wert sein.
Was bedeutet die Digitalisierung für Bauherren?
Müssen sie sich nun alle technisch hochrüsten, um mithalten zu können? Ich denke nicht, dass sie viel mehr Software oder IT-Infrastruktur brauchen – ausser sie machen die Bewirtschaftung selber. Viel wichtiger ist, dass sie ihre Bestellkompetenz verbessern. Ein Bauherr muss sich bei einer BIM-Planung genau überlegen, was er mit dem Gebäude will. Eigentlich weiss jeder, wo bei ihm die neuralgi schen Punkte liegen. Vielleicht passiert es ihm immer wieder, dass er von Unternehmen nicht das geliefert bekommt, was er sich vorgestellt hat. Das ist meist ein Kommunikationsproblem. Änderungen während der Planungsphase stellen eine grosse Herausforderung dar – Entscheide werden schnell getroffen, wenig protokolliert, so dass Abrechnungen oft nicht den Erwartungen entsprechen. Da fragt sich der Bauherr dann, ob er das wirklich so bestellt hat, und sieht, dass es in den Verträgen nicht klar genug geregelt ist. Bei einer BIM-Planung hingegen braucht es eindeutige Spielregeln und konkrete Angaben, wie man plant, was man wann wie detailliert liefert, wie Kommunikations- und Entscheidungswege definiert und welche Tools verwendet werden. Diskutieren Bauherr und Planer dieses Regelwerk, zeigt sich sofort, wo noch Fragen offen bleiben oder Risiken bestehen. Man plant sozusagen die Planung besser.
Mit BIM lassen sich Fehler frühzeitig erkennen. Das spart Zeit und Kosten.
Wie kann sich eine Baugenossenschaft sonst noch für die BIM-Zukunft wappnen?
Ich empfehle, bescheiden anzufangen. Es reicht, wenn man zum Anfangen drei, vier seiner neuralgischen Punkte angeht und diese mit Hilfe der Digitalisierung aus dem Weg räumt. Der grösste Fehler, den die meisten gemacht haben, ist, dass sie mit BIM alles auf einmal erschlagen wollten. In der Ausschreibung stand dann einfach, das Projekt müsse mit BIM ausgeführt werden. Das funktioniert so nicht. Man sollte klein anfangen und erst einmal einzelne Aspekte über BIM adressieren.
Wie kommen Bauherren zum nötigen Know-how?
Es gibt mittlerweile gute Schulungsangebote. Oder man zieht ein Beratungsbüro bei. Viele, die es allein probieren, haben ein langes Tal der Tränen vor sich. Das kostet Zeit, Geld und Nerven. Mit professioneller Hilfe kann man hingegen rasch realistisch abschätzen, was mit BIM auf einen zukommt. Damit steht man nicht mehr vor einem Monster, das nicht bezwingbar ist, sondern man kann sich Schritt für Schritt entwickeln. Und kommt schnell zu Erfolgserlebnissen, weil man sieht, man kann effizienter und günstiger bauen. Oder für den gleichen Preis qualitativ bessere Wohnungen anbieten. Hier sehe ich ein grosses Potenzial für Baugenossenschaften. Wenn sie einen angenehmeren und besseren Planungs- und Bauprozess haben und danach auch noch zufriedene Mieter, ist das ein Gewinn für alle.
Das tönt alles sehr positiv. Wo sehen Sie Stolpersteine?
Die grösste Herausforderung ist, dass die Digitalisierung die ganze Branche betrifft und verändern wird. Das erfordert nicht nur auf allen Seiten eine neue Denkhaltung und Bereitschaft zur Innovation, sondern auch grundlegende Anpassungen bei der Ausbildung. Dort fehlt es aber am entsprechenden Bewusstsein. Es gibt zwar einige Weiterbildungsangebote auf Hochschulniveau, etwa an der Fachhochschule Nordwestschweiz oder an der ETH Zürich. Bei den Berufsschulen und den meisten regulären Fachhochschulstudiengängen ist die Digitalisierung aber noch nicht angekommen. Da sehe ich ein Risiko.
Wer profitiert von BIM?
Profitieren können alle, die vorwärtsdenken und bereit sind, sich zu verändern. Der Bauherr, weil er ein Gebäude bekommt, das seinen Anforderungen im Betrieb entspricht, die Planer, weil sie mehr Zeit finden, an kreativen Lösungen zu arbeiten, die Baufirmen, weil sie mit präziseren Unterlagen bauen können. Wer dagegen meint, er könne einfach so weitermachen wie bisher, wird in Schwierigkeiten geraten. Der Druck wird steigen, und zwar von verschiedener Seite. Wir sprechen aktuell etwa mit Bauherrenversicherungen. Die sind sehr interessiert an BIM-Modellen, denn sie erhoffen sich, damit Risiken viel präziser einschätzen zu können. Gut möglich, dass irgendwann auch die Banken kommen und nur noch Projekte finanzieren, die mit BIM gebaut werden, weil diese eine viel höhere Kosten- und Terminsicherheit erlauben.