On Deck – ein Ausnahmeprojekt der Baugenossenschaft Brünnen-Eichholz, Bern

Mit schwebenden Etagen zur optimalen Ausnutzung

Mit ihrer futuristisch anmutenden Architektur betritt die Siedlung «On Deck» Neuland im hiesigen Genossenschaftsneubau. Trotzdem hat sich hier niemand ein Denkmal setzen wollen. Vielmehr nutzt das Gebäude die vorhandene Parzelle unter Berücksichtigung städtischer Vorschriften optimal aus. Und auch der Vermietungserfolg gibt der Bauträgerin Baugenossenschaft Brünnen-Eichholz recht.

Von Thomas Bürgisser | Bilder: Alexander Gempeler | Januar–Februar 2016

Der Neubau liegt zwar am Stadtrand, war aber trotzdem Stadtgespräch. Denn das mehr als aussergewöhnliche Gebäude im Quartier Brünnen, ganz im Westen der Stadt Bern, zieht die Blicke auf sich. «On Deck» heisst es – der treffende Name des Wettbewerbsprojekts ist längst zum Siedlungsnamen geworden. Kreuzweise angeordnet bilden acht einzelne Riegel über vier Etagen beinahe ein Quadrat und lassen das Gebäude mit den dazwischengeschobenen Terrassen fast schwebend erscheinen. Eine Leichtigkeit, die von den durchgehenden Fensterfronten zusätzlich betont wird. Die gewagte Architektur war vor allem in Bezug auf das Quartierbild nicht unumstritten. Von den neuen Mietern aber habe man durchwegs positives Feedback erhalten, sagt Thomas Balmer, Präsident der Baugenossenschaft Brünnen-Eichholz, die dieses Projekt in die Tat umgesetzt hat. Mit rund 1800 Wohnungen ist sie die zweitgrösste Baugenossenschaft in der Stadt Bern. Die Unternehmergenossenschaft – die Mieter können nicht Mitglied werden – zählt gerade einmal elf Genossenschafter, nebst der Stadt Bern alles Privatleute. «Das erleichtert die Entscheidungsprozesse enorm», erklärt Thomas Balmer.

Mit der Überschneidung der Riegel hat man einen Kompromiss zwischen städtischen Vorgaben und Wohnkomfort erreicht. Vor dem Haus liegt der vorgeschriebene Spielplatz.

Blick von der Strassenseite: Eine der städtischen Bauvorgaben war eine Anbaupflicht an die Grundstückgrenze, weshalb direkt vor dem Gebäude die Tramschienen verlaufen.

Durch die Terrassen zwischen den Geschossen dringt zusätzliches Licht in den Innenhof.

«Anbaupflicht» als Herausforderung

Gemäss Statuten hat die Genossenschaft zum Ziel, qualitativ guten Wohnraum zu preisgünstigen Mieten zu schaffen. Im Durchschnitt liege ihr Angebot dreissig Prozent unter den marktüblichen Mieten vergleichbarer Objekte in Bern, betont Thomas Balmer. Im neuen Quartier Brünnen – das Einkaufszentrum Westside von Stararchitekt Daniel Libeskind ist sein Wahrzeichen – erwarb die Genossenschaft nach und nach drei Baufelder. Die Erschliessung durch die Stadt habe jedoch lange gedauert, weshalb die Genossenschaft ihre erste Überbauung hier erst im Jahr 2006 realisieren konnte. Fünf Jahre später begann die Planung für das zweite, 5040 Quadratmeter grosse Baufeld, geprägt durch die Überbauungsordnung der Stadt. So waren unter anderem ein öffentlicher Architekturwettbewerb, eine Maximalbauhöhe von 18 Metern sowie eine Bebauung bis ganz an den südlichen Rand des Baufeldes vorgegeben. Damit wollte die Stadt eine Blockrandbebauung forcieren, erklärt Thomas Balmer. Tatsächlich sei diese Anbaupflicht eher aussergewöhnlich, sagt auch Philipp Ryffel von Nord GmbH Architekten aus Basel, die den Architekturwettbewerb für sich entscheiden konnten. Für ein quadratisches Gebäude war das Baufeld fast zu klein, ein Innenhof wäre zum dunklen Lichtschacht geworden. Mit zwei getrennten, parallel verlaufenden Häuserzeilen hingegen wären entweder die nach Süden ausgerichteten Balkone im Erdgeschoss direkt an das Trottoir zu liegen gekommen. Oder man hätte die Häuserzeilen um neunzig Grad gedreht und nur die Seiten an den Trottoirrand gebaut, womit man stark von den städteplanerischen Vorstellungen abgewichen und die Baugenehmigung riskiert hätte. «Deshalb haben wir uns für die Stapelung als Kombination beider Ansätze entschieden», so Philipp Ryffel. Eine kreative Eingabe, die aus der Masse der 38 Wettbewerbseingänge herausstach und auch bei der fünfköpfigen Jury, bestehend aus Genossenschaftern und Fachrichtern, Anklang fand.

Viel Licht und ein hochwertiger Ausbau sind die Merkmale der Wohnungen.

Bis 130 Quadratmeter Terrassenfläche

Im April 2013 legte man den Grundstein, gut zwei Jahre später waren die 55 Wohnungen bezugsbereit. Auch wenn alles mehr oder weniger reibungslos ablief, führte die spezielle Architektur zu einigen Herausforderungen, zum Beispiel bezüglich der Statik. Hier entschied man sich für vier grosse Kerne aus Stahlbeton, die das gesamte Gebäude wie auf Säulen tragen. Rund um diese markanten Säulen hat man unter dem Gebäude eine offene Parkfläche sowie den Technikraum für die Fernwärmeunterstation und die zentrale Lüftung untergebracht. Von der Strasse her führt eine kleine Brücke über die Parkfläche direkt in den Innenhof, in den über die grossen Terrassen zwischen den Etagenriegeln viel Licht einfällt. Von hier aus gelangt man in die vier Treppenhäuser mit Liftanlage, die in den tragenden Kernen eingelassen sind. In den Wohnungen sorgt die durchgehende Glasfront, bei der sich alle Fenster öffnen lassen, für viel Licht. Gleichzeitig sticht auch die Qualität des Innenausbaus ins Auge. Für den Boden wählte man Eichenparkett, die Küchenarbeitsfläche ist aus dunklem Granit und die Küchenrückwand aus gehärtetem Glas. In den Badezimmern – von denen es in den grösseren Wohnungen zwei gibt – hat man mit dunklen Steinzeugbodenplatten gearbeitet, blaue Keramikplatten an den Wänden sorgen für Farbe. Hier wie auch über der Küche wird Luft abgesogen, im Wohnbereich gefilterte Frischluft eingelassen. Aufgrund des Wartungsaufwandes hat man sich bewusst gegen eine Lüftung nach Minergiestandard entschieden, auch wenn das Gebäude ansonsten die Zertifizierungsanforderungen erfüllen würde. Imposant sind die riesigen Terrassenflächen, pro Wohnung zwischen 27 und 130 Quadratmeter gross, teilweise aufgeteilt auf zwei Terrassen. Das Spezielle daran: Sämtliche Terrassen teilt man sich mit mindestens einer Nachbarwohnung. Für die Privatsphäre stehen hier Vorhänge zur Verfügung, die bisher jedoch kaum zum Einsatz kämen, so Thomas Balmer. Andere Begegnungszonen finden aber kaum Anklang. Ein von der Stadt vorgeschriebener Gemeinschaftsraum steht mehrheitlich leer, gleich wie der obligatorische grosse Spielplatz am Nordrand des Gebäudes.

Die Wohnungsgrundrisse unterscheiden sich stark: im Bild Beispiele eines grösseren Wohnungstyps mit zwei Terrassen und eines kleineren mit einer Terrasse.

Ideale Einzellösung

Dass der Spielplatz nicht genutzt wird, liegt wohl auch am Mietermix. Fünf Monate nach Bauschluss waren abgesehen von einer 4 ½-Zimmer-Wohnung alle Einheiten vermietet. Die Mieterschaft besteht je zur Hälfte aus Einzelpersonen und Paaren. Familien leben bisher keine in der Überbauung. Thomas Balmer führt dies auch auf das Versäumnis der Stadt zurück, im Quartier rechtzeitig ein Schulhaus zu bauen. Die Wohnungen richten sich an den Mittelstand, mit einer durchschnittlichen Miete von 2430 Franken netto für eine 4 ½-Zimmer- Wohnung. Angesichts der grosszügigen Terrassen, des hohen Ausbaustandards sowie der Wohnflächen von bis zu rund 130 Quadratmetern sei dies vergleichsweise günstig, betont Thomas Balmer. Allgemein sei es zwar ein teurer Bau, der Komfort für die Mieter aber stimme und die Rendite erreiche man über die hohe Ausnützungsziffer. Bei aller Besonderheit: Von einer exemplarischen Architektur möchte Architekt Philipp Ryffel trotzdem nicht sprechen, vielmehr von einer idealen Einzellösung. «Man darf auch nicht vergessen, dass durch die grosse Oberfläche der Ressourcenverbrauch vor allem für die Dämmung viel höher war als bei einer konventionellen Bebauungsform», gibt er zu bedenken. Zumindest bei der Baugenossenschaft Brünnen-Eichholz könnte das Ausnahmeprojekt aber Appetit auf mehr machen, schliesslich besitzt sie im gleichen Quartier noch ein drittes, kleineres Baufeld. Ob man dort auch wieder Neuland betritt? Damit warte man noch einen Moment, winkt Thomas Balmer ab, zuerst stehen einige Sanierungsprojekte bei anderen Objekten an.

Baudaten

Bauträgerin:

Baugenossenschaft Brünnen-Eichholz, Bern

Architektur:

Nord GmbH Architekten, Basel

Baumanagement und Bauleitung:

Burckhardt+Partner AG, Bern

Bauingenieur:

Emch + Berger AG, Bern

Unternehmen (Auswahl):

Frutiger AG (Baumeister-Arge) AFP Küchen AG (Küchen)

Umfang:

1 MFH, 55 Wohnungen, 1 Gemeinschaftsraum, 55 gedeckte Parkplätze

Baukosten (BKP 1–5):

24,65 Mio. CHF total
5089 CHF/m2 HNF

Mietzinsbeispiele (Durchschnitt):

2 ½-Zimmer-Wohnung (61–69 m2):
ca. 1560 CHF plus 200 CHF NK
3 ½-Zimmer-Wohnung (70–110 m2):
ca. 1890 CHF plus 270 CHF NK
4 ½-Zimmer-Wohnung (121–127 m2):
ca. 2430 CHF plus 380 CHF NK

Baukosten (BKP 1–5):

24,65 Mio. CHF total
5089 CHF/m2 HNF

Mietzinsbeispiele (Durchschnitt):

2 ½-Zimmer-Wohnung (61–69 m2):
ca. 1560 CHF plus 200 CHF NK
3 ½-Zimmer-Wohnung (70–110 m2):
ca. 1890 CHF plus 270 CHF NK
4 ½-Zimmer-Wohnung (121–127 m2):
ca. 2430 CHF plus 380 CHF NK