Biwog stellt Siedlung Muttimatte in Brügg fertig

Zweite Lebenshälfte im nachhaltigen Holzbau

Nach über fünfzig Jahren wagte sich die Bieler Traditionsgenossenschaft Biwog wieder an ein Neubauprojekt. In Brügg schuf sie Wohnqualität für Menschen in der zweiten Lebenshälfte: 27 kleinere, bezahlbare Wohnungen und viel Raum für gemeinschaftliche Aktivitäten. Dabei setzte die Biwog ganz auf Nachhaltigkeit, mit einem Holzbau, ökologischem Innenausbau und Photovoltaikanlage.

Von Thomas Bürgisser | Bilder: Thomas Bürgisser, Mark Baumgartner, Biwog | Mai 2017

Seit 1925 bietet die Bieler Wohnbaugenossenschaft Biwog Wohnraum für Familien zu erschwinglichen Preisen. Mit dem jüngsten Neuzugang wagt sie sich nun auf neues Terrain. Die Überbauung Muttimatte richtet sich spezifisch an Menschen in der zweiten Lebenshälfte. «Ein Wohnangebot, das es in unserer Region bisher so noch nicht gibt», erklärt Thomas Bachmann, Vizepräsident der Biwog. Ein solches Projekt hatte man schon länger ins Auge gefasst. Das Bauland in Biel aber ist knapp. Fündig wurde die Biwog in Brügg, einer kleinen, sehr gut erschlossenen Gemeinde nur wenige Kilometer westlich des Bieler Stadtzentrums. Auch das ist Neuland für die Biwog, befinden sich doch ihre bisherigen sieben Siedlungen mit insgesamt 170 Wohnungen allesamt in Biel. «Mit der Muttimatte aber hat sich uns eine einmalige Gelegenheit geboten, unser erstes Bauprojekt seit über fünfzig Jahren endlich zu verwirklichen», fasst Thomas Bachmann zusammen.

Sozialer Auftrag
Muttimatte heisst das über 3000 Quadratmeter grosse Gelände in Anlehnung an Walter Mutti, einen Brügger Spenglermeister. Muttis Erben verkauften das Bauland 2004 an die Gemeinde, mit der Auflage, ein Projekt mit sozialem Aspekt umzusetzen. Dem Aufruf der Gemeinde zur Projekteingabe seien drei Bieler Baugenossenschaften gefolgt, weiss Thomas Bachmann. «Unser Konzept überzeugte: kleiner, erschwinglicher Wohnraum für ältere, aktive Menschen, kombiniert mit viel Raum für gemeinschaftliche Aktivitäten.» 2011 erhielt die Biwog die Muttimatte im Baurecht. Die Projektausarbeitung erfolgte in enger Zusammenarbeit mit der Gemeinde. Diese meldete auch gleich ihr Interesse als Mieterin an, um die bisher verstreuten Sozialdienste an einem Ort zusammenzufassen.
Wie eng die Zusammenarbeit zwischen Gemeinde und Genossenschaft war, zeigt sich auch bei der Architektenwahl: Beide brachten jeweils ein Architekturbüro ein. Die Realisierung jedoch vergab die Biwog in die Hände eines Generalunternehmens. «Auch weil wir vom Biwog-Vorstand alle zusätzlich Vollzeit arbeiten», begründet dies Thomas Furrer, Leiter der Baukommission der Biwog.

Blick von der Eingangsseite: Nicht nur das Baumaterial Holz ist nachhaltig, auf den Dächern wird auch Strom produziert.

Nachhaltig bis ins Detail
Heute stehen auf der ehemaligen Weide mitten im Dorf drei langgezogene, dreistöckige Gebäude, parallel zur Hauptstrasse hintereinander aufgereiht. Die Holzbauten mit Betonkern sind nordseitig einzig durch Erker-ähnliche Fenstereinlassungen aufgebrochen. In den hinteren zwei Häusern finden sich sechs Dreieinhalb- und 18 Zweieinhalbzimmerwohnungen, zwischen 46 und 75 Quadratmeter gross, allesamt mit südlich ausgerichtetem Balkon beziehungsweise Sitzplatz. Im vordersten Haus sind anderthalb Stockwerke für die Sozialen Dienste der Gemeinde Brügg reserviert, zusätzlich sind hier drei Zweieinhalbzimmerwohnungen, ein Gemeinschaftsraum, ein Gästezimmer für Besucher sowie die Haustechnik für alle drei Gebäude untergebracht.
Für das Warmwasser sei zuerst eine thermische Solaranlage angedacht gewesen, erzählt Thomas Furrer. «Wir haben uns dann aber entschieden, dafür ausschliesslich die Pelletheizung einzusetzen und die Dachflächen, Nord wie Süd, partiell mit Photovoltaikmodulen auszustatten. Mit der Gesamtleistung von 110 Kilowatt-Peak sollten wir zukünftig über die Hälfte unseres Stroms selbst produzieren können.» Allgemein legte die Biwog grossen Wert auf ökologische Aspekte. So wird in einem 40 000-Liter-Tank Regenwasser gesammelt und für die WC-Spülungen sowie die Gartenbewässerung genutzt. Die Gebäude sind mit Komfortlüftungen ausgestattet und Minergie-zertifiziert.
Im Innenausbau wurden unter anderem Massivparkett für den Boden, mineralische Farben für die Wände und Zellulose zur Wärme- und Schalldämmung verwendet. Pro Wohnung gibt es ein Badezimmer mit Dusche und Waschturm. Die Küche bietet viel Stauraum und hoch­wertige Geräte. Natürlich sind sämtliche Wohnungen schwellenfrei gehalten, inklusive direktem Zugang von der Tiefgarage per Lift zu den Stockwerken. Und auch die Idee des gemeinschaftlichen Zusammenlebens liess man gekonnt in die Architektur mit einfliessen. Direkt vor der Wohnungstür liegt die erste Begegnungszone: Jedes Stockwerk verfügt im Innenbereich über eine Art geschlossene Laube. Ein «halbprivater Raum», wie es die Biwog nennt, den die Bewohnenden der jeweils vier Wohnungen selbst gestalten können.

Als «halbprivater Raum» fungieren die Flure vor den Wohnungen, eine Art Laube im Innern des Gebäudes.

Auch im Innenausbau legte die Biwog Wert auch Nachhaltigkeit, unter anderem mit Massivparkett für den Boden und mineralischen Farben für die Wände.

Vielfältige gemeinsame Aktivitäten
Seit Ende 2016, nach rund anderthalb Jahren Bauzeit, sind die hinteren zwei Häuser mehrheitlich bewohnt – und die Lauben bereits dekoriert sowie mit Sesseln zum Verweilen ausgestattet. Der halbprivate Raum fand wohl auch deshalb so schnell Anklang, weil sich viele der Mieter bereits kannten. Diese sind – auch wenn die Biwog keine Alterslimiten vorschreibt – allesamt zwischen 67 und 85 Jahre alt und wohnten zu einem grossen Teil schon zuvor in Brügg. An zwei Veranstaltungen im Dorf habe man im Voraus über die Siedlung informiert. Und noch vor Baubeginn seien 19 der 27 Wohnungen weg gewesen, erzählt Thomas Bachmann. «Teilweise hatten die Mieter schon damals untereinander abgemacht, wer welche Wohnung übernehmen wird.» Dies habe sich herausgestellt, als man sich vor dem Einzug mit den Bewohnenden traf, um gemeinsame Aktivitäten anzustossen. Ein Vorstandsmitglied der Biwog hat dabei bis heute die Projektleitung inne, nimmt Ideen auf, zeigt Umsetzungsmöglichkeiten und knüpft bei Bedarf Kontakte. «Später sollen die Projekte aber grösstenteils von den Genossenschaftern selbst geführt werden», so Thomas Bachmann.
Eines dieser Projekte ist die Nutzung des Aussenraums. Zwischen den Gebäuden findet sich viel Grünfläche, die als öffentliche Begegnungszone konzipiert ist. Geboten werden unter anderem Pavillons zum gemeinsamen Verweilen, eine Bocciabahn sowie Hochbeete, welche die Biwog aufbaut, die Mieter aber selbst bewirtschaften sollen. Auch beim siebzig Quadratmeter grossen Gemeinschaftsraum ist die Initiative der Genossenschafter gefragt. Hier sind gemeinsame Aktivitäten wie Malen, Singen oder zusammen Kaffeetrinken angedacht, je nach Lust und Laune. Auch die Dorfbevölkerung soll miteinbezogen werden, zum Beispiel mit einem Mittagstisch für Senioren. Oder mit Zeichenstunden, die Bewohnende gemeinsam mit den Kindern aus dem angrenzenden Kindergarten verbringen.

Grundriss des Hauses Mitte mit 2½-Zimmer-Wohnung, dem häufigsten Typ.

Grosse Verzögerungen
Viele dieser Projekte seien aber noch nicht fix. Auch weil sich die Fertigstellung des letzten, vordersten Gebäudes verzögerte. «Hier führten einige Wünsche der Gemeindeverwaltung zu Planänderungen, weshalb erst ein halbes Jahr später als geplant mit dem Bau begonnen werden konnte», erklärt Thomas Furrer. Insgesamt sei man sogar anderthalb Jahre später dran. Denn bereits nach Baueingabe Anfang 2013 musste die Biwog das Gesamtprojekt aufgrund zahlreicher Einsprachen um ein Jahr verschieben. «Praktisch keine der Einsprachen hatte Änderungen zur Folge, trotzdem ist die Verspätung natürlich ein Wermutstropfen», sagt Thomas Furrer. Per Anfang Mai 2017 konnte die Gemeinde nun aber ihre Büroräumlichkeiten beziehen, die restlichen Räume sollen per
1. Juni fertig sein. «Wenn alles fertig ist, werden wir auch die noch freien Wohnungen bis Mitte Sommer allesamt vermietet haben», zeigt sich Thomas Bachmann überzeugt.
Die Verzögerung war nicht der einzige Wermutstropfen. So wurden die budgetierten Baukosten aufgrund von Statik- und Brandschutzvorgaben, die sich durch diverse Auflagen im Rahmen der Baubewilligung ergeben hatten, um rund vier Prozent überschritten. Die Finanzierung über Eigenmittel, Bankkredit, Fonds de Roulement sowie die Age-Stiftung war aber auch so gesichert. So oder so wolle man nun nach vorne schauen, freue sich über die positiven Feedbacks der Bewohnenden – und bereits auf das nächste Projekt. In Biel erstellt die Genossenschaft in den nächsten Jahren eine autofreie Siedlung. Geplant ist nebst Familienwohnungen eine Pflegeabteilung für Demenzkranke. Wiederum neues Terrain für die Biwog.

Baudaten

Bauträgerin:

Bieler Wohnbaugenossenschaft Biwog, Biel

Architektur:

Bauart Architekten und Planer AG,
Bern
Kaufmann Partner Architekten AG,
Studen

Baumanagement und Bauleitung:

Stuberholz, Schüpfen

Umfang:

3 MFH, 27 Wohnungen, 1 Gastzimmer,

1 Gemeinschaftsraum, 350 m2 für Gemeinde, Einstellhalle mit 20 Plätzen

Baukosten (BKP 1–5)

13,9 Mio. CHF total
5800 CHF/m2 HNF (ohne Parkierung)

Mietzinsbeispiele:

2 ½-Zimmer-Wohnung (47 m2):
1030 CHF plus 180 CHF NK
3 ½-Zimmer-Wohnung (77 m2):
1620 CHF plus 220 CHF NK

Grösstes Holzbauprojekt der Region

Mit dem Holzbau setze die Biwog konsequent auf Nachhaltigkeit, wie Vizepräsident Thomas Bachmann erklärt. Tatsächlich seien Holzbauten je länger, je beliebter, so Nik Stuber des ausführenden Holzbauunternehmens Stuberholz. «Holz speichert CO2 und entlastet damit das Klima. Und dank der Elementbauweise kann die Bauzeit fast halbiert werden.» So benötigte die Stuberholz dann auch nur drei Wochen pro Gebäude für das Aufstellen des Rohbaus. Auch weil die einzelnen Holzelemente aus europäischer Fichte und sibirischer Lärche (Fassadenschalung) bereits im Voraus im Werk in Schüpfen gefertigt werden konnten. «Dank dieser raschen Bauweise haben wir zumindest einen Teil der Verzögerungen, die sich zuvor durch die Einsprachen ergeben hatten, wieder wettgemacht», bestätigt
Thomas Bachmann.