Baugenossenschaft Wiedikon erneuert Blockrandsiedlung in Zürich

Eine Erneuerung, zwei Strategien

Die Baugenossenschaft Wiedikon aus Zürich entschied sich bei der Erneuerung der Kolonien 1 und 3 für eine Kombination von Ersatzneubau und Weiterbauen im Bestand. Nach dem Abschluss der Bauarbeiten verfügt die Baugenossenschaft über neun zusätzliche Familienwohnungen und deutlich mehr Nutzfläche.

Von Béatrice Koch | Bilder: Roger Frei, Wohnen | 2023/08

Hundert Jahre alt wurde 2021 die Baugenossenschaft Wiedikon, die im Zürcher Kreis 3 drei Siedlungen mit insgesamt 150 Wohnungen bewirtschaftet. Genau zu diesem Zeitpunkt unterzog sie ihre Kolonien 1 und 3 zwischen Goldbrunnen- und Saumstrasse einer umfassenden Verjüngungskur. Dabei entschieden sich die Verantwortlichen für zwei unterschiedliche Vorgehensweisen: Während die Kolonie 1 mit Baujahr 1922 saniert und aufgestockt wurde, musste die Kolonie 3 aus den Siebzigerjahren einem Ersatzneubau weichen. «Unsere Zustands- und Potenzialanalysen haben gezeigt, dass das jüngere Gebäude in einem deutlich schlechteren Zustand war als der Altbau», erklärt Andy Kammermann, Präsident der BG Wiedikon. «Ausserdem war die Ausnutzung eher schlecht, weil das Erdgeschoss für Park- und Abstellflächen verschwendet wurde. Aufgrund der Statik war eine Aufstockung zudem kaum möglich.» Durch den Ersatzneubau konnte die Baugenossenschaft im Vergleich zum Vorgängergebäude fünfzig Prozent mehr Nutzfläche realisieren und zudem die ursprünglichen, sehr bescheidenen Ein- und Zweizimmeralterswohnungen durch einen Mix aus zeitgemässen Familienwohnungen und modernen, seniorengerechten Kleinwohnungen ersetzen; die Kolonie 3 am Leonhard-Ragaz-Weg ist weiterhin das einzige Wohnhaus im Bestand der BG Wiedikon, das über einen Lift verfügt.

Ansicht von der Goldbrunnenstrasse auf die Ko­lonien 3 (Ersatzneubau links) und 1 (sanierte und teils aufgestockte Altbauten daneben).

Im Ersatzneubau führen die Treppen zu einer Dachterrasse mit Freiluftküche und Kräutergarten, die von allen Genossenschafterinnen und Genossenschaftern genutzt werden darf.

Viele sind zurückgekehrt
Anders ging die Baugenossenschaft bei der Kolonie 1 vor: Hier entschied man sich für eine umfassende Sanierung und Aufstockung. Einerseits hätte gemäss der Potenzialanalyse ein Neubau nicht viel mehr Nutzfläche ermöglicht. Andererseits fiel der Entscheid aus ökologischen – Stichwort graue Energie –, vor allem aber aus sozialen Gründen: «Unser Ziel war es, weiterhin günstige Wohnungen anbieten zu können», so Kammermann. Und schliesslich hätten bei einem zweiten Gebäudeabriss insgesamt knapp fünfzig Mietparteien ihre Wohnungen verlassen müssen: «Das wäre an der Generalversammlung kaum durchgekommen.» So wurde die Sanierung der Kolonie 1 in vier sechsmonatigen Etappen durchgeführt. Allen Mieterinnen und Mietern wurde für die Dauer der Bauarbeiten eine Übergangswohnung in den eigenen Häusern zur Verfügung gestellt. Zudem bezahlte ihnen die Baugenossenschaft eine Umzugspauschale. Die temporäre Umquartierung der Mieterschaft sei im gesamten Projekt die grösste Herausforderung gewesen, meint Kammermann rückblickend. «Aber am Ende haben wir für alle eine akzeptable Lösung gefunden.» Einige Genossenschafter:innen zogen weg, manche sind in der Zwischenzeit verstorben, manche in der Ersatzwohnung geblieben. «Viele sind aber wieder in ihre frühere Wohnung oder zumindest in ihr Haus zurückgekehrt», sagt Kammermann.
Die Bauprojekte erforderten eine lange Vorbereitungsphase. Die Zustandsanalyse stammt aus dem Jahr 2013. Fünf Jahre später lancierte die Baugenossenschaft einen Architekturwettbewerb, aus dem ein Projekt der Zürcher Architekten Zimmermann Sutter als Sieger hervorging. Nachdem die Generalversammlung den Baukredit genehmigt hatte, starteten im Sommer 2021 Abriss und Neubau der Kolonie 3. Zeitgleich begann man mit der Sanierung der Wohnungen an der Goldbrunnenstrasse 158. Der Ersatzneubau passt sich den vorhandenen architektonischen Gegebenheiten an, sodass zusammen mit den Häusern der Kolonie 1 ein einheitlicher Blockrand entstanden ist; entsprechend hat der Vorstand der BG Wiedikon die ehemaligen Kolonien 1 und 3 vor Kurzem offiziell zur «Siedlung Goldsaum» umbenannt.

Rote Klinkerböden, farbige Küchen: In der Kolonie 1 wirken die Wohnungen frisch und modern. 

Mischung aus Jung und Alt
Wichtig war der Bauherrschaft der Zugang zum Innenhof: Die Wohnungen im Neubau werden hofseitig über ein offenes Treppenhaus erschlossen, das den Bewohnenden auch als Ort der Begegnung dienen soll. Die Treppen führen weiter zu einer Dachterrasse mit Freiluftküche und Kräutergarten, die von allen Genossenschafterinnen und Genossenschaftern genutzt werden darf. Im Erdgeschoss hat sich ein neuer städtischer Kindergarten eingemietet, der den Hof ebenfalls nutzt. Zudem steht neu ebenerdig ein Gemeinschaftsraum dem Vorstand für seine Sitzungen und der Mieterschaft für kleinere Zusammenkünfte zur Verfügung.
Die Wohnungen im Altbau wurden umfassend saniert: Sie erhielten neue Küchen und Bäder, alle Fenster, elektrischen Leitungen und Abwasserleitungen wurden ersetzt. An der Goldbrunnenstrasse 160 wurden das oberste Wohngeschoss sowie die Estrichflächen rückgebaut und stattdessen zwei neue Wohngeschosse errichtet. Die Grundrisse der unteren Wohnungen blieben weitgehend unverändert. An der Goldbrunnenstrasse 158 wurden die ursprünglichen Estrichflächen zu grosszügigen Maisonettewohnungen ausgebaut. Die Häuser an der Saumstrasse 61 und 63 erhielten durch den Estrichausbau je eine zusätzliche Zweieinhalbzimmerwohnung. Im Innern präsentieren sich die Wohnungen durch die neuen roten Klinkerböden und farbigen Küchen frisch und modern, Einbauschränke sorgen für zusätzlichen Stauraum.
Die Aufstockung und der Ausbau der Estrichfläche in der Kolonie brachte der Baugenossenschaft 16 Prozent mehr Hauptnutzfläche gegenüber dem Originalzustand. Durch den Neubau und die Aufstockung ist auch der Wohnungsmix in den beiden Kolonien vielfältiger geworden: Zwar sind Zweizimmerwohnungen nach wie vor am häufigsten vertreten, daneben entstanden aber auch neun zusätzliche Familienwohnungen mit vier bis fünfeinhalb Zimmern. Entsprechend habe sich auch die Zusammensetzung der Mieterschaft verändert, sagt Kammermann: «Heute leben hier deutlich mehr Kinder als früher, eine gute Mischung aus jüngeren und älteren Mietern.»

Alte Holzbalken und fröhliche Farben tragen zum Charme der neuen Wohnungen im Dachstock bei. Aufstockung und Ausbau der Estrichfläche brachten 16 Prozent mehr Hauptnutzfläche gegenüber dem Originalzustand.

Soziale Nachhaltigkeit
Wie viel graue Energie die BG Wiedikon einsparte mit ihrem Entscheid, die Struktur aus den Zwanzigerjahren zu bewahren und für eine weitere Generation nutzbar zu machen, kann Kammermann nicht sagen, auf eine entsprechende Analyse wurde verzichtet. Ohnehin sei beim Entscheid weniger die ökologische als die soziale Nachhaltigkeit im Vordergrund gestanden. Der Neubau erfülle selbstverständlich die heute üblichen energetischen Standards, ein offizielles Energielabel gibt es jedoch nicht. Alle Dächer wurden isoliert und wo möglich mit PV-Modulen versehen. Die alte gemeinsame Ölheizung der Kolonien 1 und 3 wurde durch eine Holzpelletanlage ersetzt. «Im Altbau haben wir die Radiatoren beibehalten, im Neubau wurde hingegen eine Fussbodenheizung installiert. Diese beiden Systeme zu kombinieren, war anspruchsvoll.» In diesem Sommer wurden die Bauarbeiten bis auf letzte Umgebungsarbeiten abgeschlossen. Während die Mieterschaft bei der Innenausstattung nur beschränkt mitreden konnte, ging die Baugenossenschaft bei der Gestaltung des Innenhofs stärker auf die Wünsche der Bewohner:innen ein. So wurde beispielsweise Platz für künftige Pflanzbeete reserviert. Im Übrigen verfügt die Siedlung nur über drei Autoparkplätze, weitere Parkplätze wurden in einer benachbarten Tiefgarage dazugemietet. Veloständer befinden sich vor den Hauseingängen und im Innenhof.
Trotz laufender Bauarbeiten feierte die BG Wiedikon im Spätsommer 2021 ihr 100-Jahr-Jubiläum mit einem Fest auf der Baustelle. Zudem wird demnächst ein reich bebildertes Buch erscheinen, das die Geschichte der Baugenossenschaft im Kontext des politischen Geschehens erzählt. Das nächste Kapitel wird schon bald geschrieben werden: In zwei Jahren steht die Innensanierung der Kolonie 2 an, die heute offiziell als «Siedlung Steinau» bezeichnet wird. Die Häuser an der Steinstrasse mit insgesamt 96 Wohnungen wurden 1930 errichtet und vor zehn Jahren aussen komplett saniert, inklusive Fassadendämmung. Die nun bevorstehenden Arbeiten werden erneut etappenweise und in bewohntem Zustand durchgeführt werden.

Das Buch «Die BG Wiedikon zwischen bürgerlicher Gründungszeit und gentrifizierter Gegenwart» kann bei andy.kammermann@bgwiedikon.ch bestellt werden.

Baudaten

Bauträgerin
BG Wiedikon
Architektur
Zimmermann Sutter Architekten AG,
Zürich
Landschaftsarchitektur
Albiez de Tomasi GmbH, Zürich
Bauleitung
Meier+Steinauer Partner AG, Zürich
Unternehmen (Auswahl)
Astor Küchen AG (Küchen)
Suter Zotti AG (Baumeister)
Fensterfabrik Albisrieden AG (Holz-
Metall-Fenster)
Emi Sanitär AG (Sanitäranlagen)
Schindler Aufzüge AG (Aufzüge)
Umfang
Sanierung und Aufstockung Kolonie 1:
32 Wohnungen (2 bis 51/2 Zimmer), Erneuerung Bäder, Küchen, elektrische Leitungen, Abwasserleitungen
Ersatzneubau Kolonie 3:
Je 8 Wohnungen mit 21/2 bzw. 41/2 Zimmern, 1 Gemeinschaftsraum, 1 städtischer Kindergarten,

Gemeinschaftsdachterrasse
Neugestaltung Innenhof, neue Holzpelletheizung, PV-Anlage
Baukosten
16,8 Mio. CHF
Mietzinsbeispiele
Neubau:
2 1/2-Zimmer-Wohnungen, 50 bis 54 m²:
1249 bis 1402 CHF plus 272 CHF NK
4 1/2 -Zimmer-Wohnungen, 95 bis 104 m²:
2085 bis 2231 CHF plus 447 CHF NK
Altbau:
2-Zimmer-Wohnung, 39 m²:
alt: 531 CHF plus 171 CHF NK
neu: 691 CHF plus 237 CHF NK
5-Zimmer-Wohnung, 106 m²:
alt: 1121 CHF plus 355 CHF NK
neu: 1579 CHF plus 482 CHF NK
Hinweis: Wegen höheren Energiepreisen hat die BG Wiedikon die Nebenkosten im gesamten Bestand deutlich erhöht.