So setzen Baugenossenschaften naturnahe Aussenräume zusammen mit Bewohnenden um
Befreit, belebt, biodivers
Baugenossenschaften gestalten ihre Aussenräume vermehrt um. Einheimische Hecken ersetzen Immergrün, Kiesflächen versiegelte Böden. Wie werden solche Projekte konkret umgesetzt und welche Rolle spielen Genossenschaftsmitglieder dabei? Zwei Beispiele.
Von Esther Banz | Bilder: Ursula Tschirren | September 2021
Betrat man vor wenigen Jahren den Innenhof der Siedlung Engel der Genossenschaft GBMZ, traf man auf immergrüne Sträucher, die einen Boden aus Verbundsteinen säumten, auf eine blaue Schaukel, die vermuten liess, dass auch Kinder ab und zu den Innenhof benutzen, auf Bänke sowie auf zwei niedrige Ahornbäume, die etwas Schatten spendeten. Aber dieser Schatten reichte in den Sommermonaten auf den glühenden Steinen nirgendwohin. Denn im dicht bebauten und wenig grünen Zürcher Stadtkreis 4, wo die Genossenschaft vor bald hundert Jahren ihre ersten Siedlungen erstellte, kann es richtig heiss werden, zumal in Innenhöfen wie diesem.
Ein Jahr später markierten bepflanzte Hochbeete im Hof einen Neuanfang. Initiiert hat ihn eine Bewohnerin der Siedlung. Ursula Tschirren war seit ein paar Jahren Mitglied der Siedlungskommission (Siko), als sie dort thematisierte, was sie schon länger wahrnahm: «Was unser Begegnungsort sein sollte, ist meistens menschenleer.» Die andern Siko-Mitglieder bedauerten diesen Zustand ebenso, man war sich einig: Mit einer Umfrage sollten alle Bewohner die Gelegenheit erhalten, ihre Meinung und ihre Wünsche zum Innenhof zu äussern.
Anfängliche Skepsis
Ging es Tschirren und ihren Kolleginnen anfänglich ganz stark ums Soziale, schwang bereits ein zweites Thema mit: Der Innenhof sollte ein auch für die Fauna wertvoller Lebensraum werden. Man schrieb das Jahr 2015 und das Artensterben war ein grosses Thema. 2016 wurde die Kommission dann konkret mit der Planung: Sie führte einen Workshop durch, schaute die Bedürfnisse der Menschen an und die der Pflanzen, besuchte mit den Velos verschiedene Grünflächen anderer Genossenschaften – und präsentierte schliesslich dem GBMZ-Vorstand, was ihr vorschwebte.
Dort traf sie erst einmal auf Skepsis. Tschirren: «Die Biodiversität war gerade in aller Munde. Der Vorstand fürchtete wohl, unsere Idee sei eine trendige Eintagsfliege. Wir sind aber drangeblieben.» Die Siko machte die Hofumgestaltung zu einem partizipativen Prozess für alle rund 175 Bewohnenden der Blockrandüberbauung, in der viele Einzelpersonen leben und nur wenige Kinder. Tschirren arbeitet in der Kommunikationsabteilung eines städtischen Departements. Sie weiss: «Es ist wichtig, die Leute ins Boot zu holen, so dass sich niemand übergangen fühlt.»
Pragmatisch vorgehen
Die sieben Bewohnerinnen und Bewohner, die Lust hatten, sich in der neu gegründeten Hofgruppe zu engagieren, beschlossen, die Veränderungen Schritt für Schritt anzugehen, nicht alles aufs Mal machen zu wollen, und immer zu informieren, welches die nächsten Schritte sind. Zuerst entfernten sie mit Unterstützung von Gartenprofis einen Teil des Immergrüns, besorgten Hochbeete und pflanzten Kräuter an, die von allen geerntet werden durften. Im darauffolgenden Jahr meldeten sich immer mehr Leute, die mitmachen wollten. Also kaufte die Gruppe weitere Hochbeete. Auch die bestehenden Beete an den Rändern des Hofs wurden zu Pflanzbeeten.
«Wir sagten den Leuten: Schaut einfach, wo es Platz hat, und pflanzt dort!» Anfangs sei vereinzelt Gepflanztes von anderen ausgerissen worden – wohl in der Meinung, das sei Unkraut, und um dort selber etwas anzupflanzen. «Wir platzierten dann ein Schild, dass darauf bitte zu verzichten sei. Ein grosses Regelwerk stellten wir aber nie auf, wir fanden stets: Die gemeinsame Nutzung muss auf gegenseitigem Respekt basieren.» Das funktioniere gut, sagt Tschirren. Beim Gärtnern seien neue, hof- und kulturübergreifende Kontakte entstanden, Bewohner verschiedener Herkunft etwa tauschten Setzlinge.
Dies war aber erst der Anfang. In der Siedlung waren sich alle einig, dass man den Innenhof gänzlich neu gestalten sollte: Raus mit den Verbundsteinen und an deren Stelle eine Ruderalfläche, also ein Rohboden, der für Insekten Lebensräume bietet. «Solche Flächen sind auch als Massnahme gegen die Hitze gut», ergänzt Tschirren: «Während befestigte Flächen die Hitze speichern, die sich dann in so einem Innenhof regelrecht staut, speichert freier Boden Wasser, das verdunsten kann. Das kühlt den ganzen Innenhof.»
Von Bewohnerinitiative zu Genossenschaftsstrategie
Fünf Jahre nach der ersten Idee zur Umgestaltung erkennt man den Innenhof kaum mehr wieder. Drei neue Bäume wurden gepflanzt und anstelle des harten Steinbelags ist mit Unterstützung der Landschaftsgärtnerin Katharina Köchli auf 120 von insgesamt 825 Quadratmetern ein sandiger Kiesboden entstanden. Er ist Nistplatz und bietet mit bunten, einheimischen Pflanzen wie Skabiosen-Flockenblume, Blutrotem Storchschnabel, Rundblättriger Glockenblume, Natternkopf, Wegwarte oder Sonnenröschen Wildbienen und anderen Insekten auch Nahrung. Eine Biologin, die in der benachbarten Siedlung der Genossenschaft wohnt, hat die Hofgruppe beraten. Ein Tisch und Bänke laden unter einer Blumenesche zum Verweilen ein. Auch eine Bocciabahn gibt es jetzt, und für die Kinder nebst den Spielgeräten Versteckmöglichkeiten. Der ganze Innenhof sieht viel lebendiger, bunter, natürlicher und auch wilder aus.
Auch die Genossenschaft ist begeistert, wie Geschäftsleiter Matthias Lüthi zum Ausdruck bringt: «Dass die Aussenräume artenfördernd und klimagerecht umgestaltet werden sollten, war uns eigentlich bewusst, und wir planten auch, in diese Richtung zu gehen. Durch die Eigeninitiative der Bewohnenden hat das nun aber eine ganz andere Dynamik erhalten. Jetzt haben wir ein Pilotprojekt, und in der strategischen Planung der Genossenschaft ist festgehalten, dass wir alle Siedlungen auf Biodiversität umstellen.» Nicht zuletzt dank der grossen Eigeninitiative der Bewohnerinnen sei die Umgestaltung von allen in der Siedlung befürwortet worden und zudem auch sehr günstig gewesen. Von dieser einen Überbauung auf andere übertragen lasse sich dieser Erfolg aber nicht, sagt der Geschäftsführer, deshalb sei noch offen, wie die Aufwertung in den anderen Siedlungen der GBMZ gestaltet werde.
Neue Dynamik bei der BG Oberstrass
Schon seit 2013 ist die Nachhaltigkeit und damit verbunden das Schaffen naturnaher Aussenräume für die Baugenossenschaft Oberstrass (BGO) im Zürcher Kreis 6 ein Thema. «Die Genossenschaftsmitglieder stimmten damals an der GV einer entsprechenden Strategie zu», erzählt Geschäftsführerin Esther Weber. Nachdem dann aber länger wenig Konkretes passiert war, wurde das Thema mit einem Workshop 2018 ins Rollen gebracht. An diesem zeigte sich, dass die Mitglieder klar eine naturnahe Gartengestaltung wünschen. Die bewusste Einstellung eines Gärtnerteams mit
viel Kompetenz auf dem Gebiet führte zu zusätzlicher Dynamik.
Zusammen mit Flavio Cotichini, der seit eineinhalb Jahren als Gärtner bei der BGO arbeitet, zeigt Esther Weber den Hof an der Oberen Winterthurerstrasse, der gerade erst komplett neu gestaltet wurde. Man sieht zwei Trockenmauern, dazwischen eine Ruderalfläche und gleich daneben einen Steinhaufen. Auf der Ebene oberhalb der Mauer hat es ein Gemeinschaftsbeet, eine kleine Spielwiese, einen Grillplatz, eine hohe Linde, einen Sichtschutz aus aufgestapeltem Holz. Davor Stauden und Beerensträucher. Ein Tisch lädt zum Verweilen in der werdenden Naturoase ein.
Mehr Natur, mehr Begegnung
«In diesem ersten Hof, den wir umgestaltet haben, fügen sich zwei Projekte ineinander», erklärt Weber: «Zum einen die naturnahe Aufwertung, zum andern Einrichtungen wie Pingpongtisch oder Grill, welche die Nutzung des Aussenraums attraktiver machen. Letztere realisierten wir in einem Projekt mit interessierten Genossenschafterinnen und Genossenschaften, die Aufwertungen für die Biodiversität wiederum gingen vom Vorstand und der Geschäftsstelle aus. Da konnten die Bewohner in Einzelaktionen aber ebenfalls mithelfen.»
Nicht alle neuen Flächen sehen jetzt stets so gepflegt aus wie früher, dafür sind sie wertvoll, fürs Leben und fürs Mikroklima. «Fast allen gefällt es so», erzählt Cotichini. «Aber es gibt natürlich auch Leute, die sich daran stören, dass auf dem Kiesweg Pflanzen wachsen und es an manchen Stellen weniger ordentlich aussieht.»
Mitglieder und Profis Hand in Hand
Für die Neugestaltung erhielt das Gärtnerteam an zwei Aktionstagen in diesem Frühjahr die Unterstützung von interessierten Bewohnerinnen und Bewohnern: «Mit ihnen pflanzten wir unter anderem Stauden, Beerensträucher und zwei Quittenbäume. Auch ein Sichtschutz entstand mit ihrer Hilfe. Für die Trockenmauer holten wir die externe Gartenbaufirma SKW.» Für das Erstellen der Leitsätze, für Massnahmen, Pflege- und Umgebungspläne beauftragte die BGO die Firma Greenmanagement.
Er sei froh um dieses konzeptionelle Fachwissen, den Aussenblick und den Austausch – und nicht zuletzt um den Überblick, den die digitalen Pläne und Karten erlaubten, die erstellt werden, sagt Cotichini. Und Esther Weber meint: «Ein Pflegeplan ist für die Gärtner wichtig. Und die Leitung sieht, welche pflegerischen Massnahmen notwendig sind und wie viel Zeit diese in Anspruch nehmen. Es sind andere Arbeiten als früher; was beispielsweise auf den Kieswegen unerwünscht wächst, wird heute nicht mehr abgeflammt, die Gärtner hacken und jäten von Hand.» Die hier gemachten Erfahrungen werden bei der Umgestaltung der anderen BGO-Siedlungen dienen, die eine nach der andern in den nächsten Jahren biodivers aufgewertet werden.
Auch viele andere Genossenschaften sind mittlerweile am Thema dran. Die Beispiele zeigen, wohin die Reise geht und wie man sie antreten kann. Manchmal reicht eine einzige begeisterte Bewohnerin, um den Anstoss zu geben.