Ein Partizipationsprojekt bezieht Kinder bereits in die Arealentwicklung ein – mit Folgen für die Aussenraumgestaltung

Plätschernde Brunnen unter hohen Bäumen

Was entsteht, wenn Kinder Aussenräume mitplanen? Im Einbezug von Kindern begeht die Kooperation Industriestrasse in Luzern neue Wege und hat bereits beim Projektwettbewerb eine Schulklasse mitarbeiten lassen. Die Kinder haben mit dem Projekt «KinderPlanenStadt» aufgezeigt, was für sie bei der Arealentwicklung wichtig ist.

Von Cla Büchi* | Bilder: Stefano Schröter | August 2020

Nach den Vorstellungen der Kinder wird es an der Industriestrasse in Luzern aus Brunnen und Wasserläufen plätschern und fliessen, auf Flachdächern gibt es ein Labyrinth, und Bassins laden zum Baden ein, Brücken verbinden Dachgärten und farbige Fähnchen flattern im Wind über Gassen und Plätzen. Im «Industriepark» sind Trampoline im Boden eingelassen, es gibt dschungelartige Bereiche zum Verstecken und Klettern, aber auch Kies- und Hartflächen, die für Kinder wie ältere Menschen hindernislos begangen und befahren werden können. WC, Kiosk, Tische, Bänke und natürlich eine Grillstelle runden das Angebot ab. Und an einer anderen Stelle gibt es einen für Kinder reservierten Baubereich, in dem sie ihre Hüttenträume realisieren können. Einige dieser Aspekte wie beispielsweise Brücken, die die Häuser verbinden, Gartenbereiche mit Bäumen und Wasserstellen oder eine Bebauungsstruktur, die einem Labyrinth gleicht, weist auch das städtebauliche Siegerprojekt des Teams Mühlethaler/Schläppi auf.
Das Projekt umsetzen wird die Kooperation Industriestrasse, ein Zusammenschluss von fünf Luzerner Baugenossenschaften, die auf dem Areal Industriestrasse ein neues Stück
Luzern bauen. Es soll eine innovative und gemeinschaftsfördernde Überbauung nach den Vorgaben der 2000-Watt-Gesellschaft mit etwa 140 Wohnungen, Gewerbe- und Kulturraum entstehen. Mitwirkung in der Planung wie auch im Betrieb sieht die Kooperation als einen wesentlichen Bestandteil des nachhaltigen Bauens an. Da die Hälfte der Wohnungen Familien­wohnungen sein werden, sind die Kinder eine wichtige Nutzergruppe. Ihr Wohnumfeld bestimmt ihre Lebensqualität und ihre Entwicklungsmöglichkeiten. Die Ökonomisierung der städtischen Räume und die Vereinnahmung durch den Verkehr haben den Freiraum der Kinder stark reduziert und ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Darum muss städtischer Freiraum vermehrt unter der Berücksichtigung der Bedürfnisse von Kindern entwickelt werden. Und wer eignet sich besser als die Kinder selbst, um ihren Lebensraum mitzugestalten?

Früher Einbezug
Durch den Einbezug in der Wettbewerbs­phase Anfang 2018 ermöglichte die Kooperation einer 5. Schulklasse, ihre Bedürfnisse zu einem frühen Zeitpunkt in den Planungsprozess einzubringen. Wir sprachen den Kindern die Kompetenz zu, ihre Sichtweise auf die Gestaltung des Areals darzulegen, und boten ihnen gleichzeitig die Möglichkeit, Kompetenzen in der Architektur und Stadtplanung zu erlangen. Für die Umsetzung suchten wir die Zusammenarbeit mit der Quartierarbeit der Stadt Luzern und einer Schule in der Nähe des Areals.
Die Aufgabenstellung war dieselbe wie beim Projektwettbewerb, jedoch im Umfang und in der Verständlichkeit auf die Zielgruppe Kinder angepasst. Das Projekt «KinderPlanenStadt» bestand aus fünf Phasen, in denen ich als Projektleiter der Kooperation die Schülerinnen und Schüler während vier Monaten an das Thema der Aufgabenstellung heranführte. Durch gezielte Fragestellungen liess ich die Kinder von ihren Erfahrungen mit räumlichen Gegebenheiten ihres Lebensumfelds berichten und analysierte diese mit ihnen zusammen. Auf Quartierbegehungen wies ich auf Zusammenhänge und Wirkungen städtebaulicher und architektonischer Gegebenheiten hin. Die Kinder sollten beobachten und erkennen, welche Räume sie ansprechen oder eben nicht und wieso. Ziel dieser Phase war es, die Wahrnehmung und Auseinandersetzung der Kinder für städtebauliche, architektonische und soziale Themen zu sensibilisieren.
In den folgenden Phasen lernte man das Quartier, das Areal Industriestrasse und die Leute, die hier wohnen und arbeiten, kennen. Wir besuchten Gewerbebetriebe, Trickfilm- und Illustrationsateliers und liessen uns durch die benachbarte Gassenküche führen, was die Kinder sehr beeindruckte. Ein Mädchen meinte nach diesen Besichtigungen: «Am Anfang war die Industriestrasse sehr dreckig und verlassen, aber jetzt, wo ich weiss, was in den Häusern alles gemacht wird, finde ich sie sehr spannend.»
In den letzten Phasen ging es um die konkrete Auseinandersetzung mit der Aufgabenstellung. Man sammelte Ideen, priorisierte sie, bildete Interessengruppen und arbeitete Entwürfe in einem Werkraum auf dem Areal aus. Nach Wochen der Arbeit zeigte sich das Projekt mit drei Modellen und einer Wand voll Zeichnungen und Fotos fertig und wurde am ersten Tag der öffentlichen Jurierung dem Preisgericht und den Anwesenden vorgestellt. Das Preisgericht war vom Projekt derart beeindruckt, dass es ihm einen Spezialpreis zusprach.

Eines der Kindermodelle zum Areal. 

Begleitung geht weiter
Aus den Kindern sind in der Zwischenzeit Jugendliche geworden; fünf von ihnen begleiten das Projekt weiterhin. Sie nehmen an Dialog­anlässen teil und führen mit Vorträgen oder gespielten Alltagsszenen in die Themen ein, geben an Werkstattsitzungen dem Architektenteam Rückmeldungen und werden die Arbeit des Landschaftsarchitekten begleiten. Der weitergehende Einbezug stellt sicher, dass die Ideen und Anliegen der Kinder über alle Phasen ins Projekt einfliessen.
Zur Frage, was geschieht, wenn Kinder bereits im Planungsprozess involviert werden, sagt Tobias Naunheim von der Quartierarbeit: «Wie der Aussenraum auf dem Areal der Industrie­strasse aufgrund des Einbezugs der Kinder dereinst aussehen wird, kann nicht abschliessend gesagt werden. Was aber klar ist: Die Kindersicht kann ein ganzheitliches Denken der Planenden bereichern.» Dabei gehe es nicht darum, dass die von den Kindern formulierten Wünsche eins zu eins umgesetzt würden. Elementar findet er vielmehr den kreativen Austausch zwischen den Kindern und den Planenden, weil dieser die Planenden auf jene Anliegen sensibilisiert, die den Kindern wichtig sind. Die Kindervorstellungen können dann gemeinsam, trotz aller Komplexität eines Bauprojekts, in der ursprünglichen oder in einer integrierenden Form zur Umsetzung gelangen.

Interesse wachhalten
Um in die Dimension eines solchen kreativen Austausches vorzustossen, so Tobias Naunheim, benötigten die Kinder selbstgelebte Erfahrungen, Vorstellungskraft und Hintergrundwissen. «Diese Aneignung ergibt sich, wenn die Kinder von Beginn an und über längere Strecken in den Entwicklungsprozess involviert sind.» Dabei stellt sich allerdings die Frage, wie man das Interesse der Kinder über mehrjährige Prozesse lebendig hält. Kinder haben dann Lust mitzuarbeiten, wenn sie sich ernst genommen fühlen. Wenn Kindersichten auf Erwachsenenwelten prallen, braucht es neben der Vorbereitung der Kinder auf die Themen eine umsichtige Moderation, die beide Gruppen methodisch in die Diskussionen und Abläufe einbindet. Die Kinder berichteten aus Dialoganlässen nicht ohne Stolz, dass sich die Erwachsenen erstaunt zeigten, was sie an Wissen und Engagement in die Diskussion einbrachten.
Wichtig ist auch, dass die Eltern und Lehrkräfte auf den Weg mitgenommen werden. Und nicht zuletzt ist den Kindern und Jugendlichen Wertschätzung entgegenzubringen für ihre Bereitschaft, sich aktiv für eine höhere Qualität ihres Lebensraums einzusetzen, die letztlich der ganzen Gesellschaft zugutekommt.


*Cla Büchi ist Projektleiter beim Genossenschaftsverband Kooperation Industriestrasse Luzern und für Planung, Entwicklung und Durchführung des Wettbewerbs Arealentwicklung Industriestrasse zuständig.

Publikationsreihe Kooperation Industriestrasse

Die Kooperation Industriestrasse Luzern besteht aus fünf Wohnbaugenossenschaften: allgemeine bau­genossenschaft luzern, Gemeinnützige Wohnbaugenossenschaft Industriestrasse Luzern, Liberale Baugenossenschaft Luzern, Wogeno Genossenschaft Luzern, Baugenossenschaft Wohnwerk Luzern. Sie sammelt bei der Entwicklung des Areals Industrie­stras­se vielfältige Erfahrungen und profitiert vom grossen Wissensschatz der fünf Beteiligten. Die erworbenen Erkenntnisse möchte die Kooperation mit allen teilen, die an nachhaltigem Bauen, dialogischen Bauprozessen und gemeinnützigem Wohnbau interessiert sind. Die Publikationen können unter kostenlos als PDFs herunter­geladen oder in gedruckter Form für 15 Franken bestellt werden.