
Gebäudeintegrierte Photovoltaik besitzt grosses Potenzial
Power aus der Wand
Seit dreissig Jahren stehen Photovoltaikanlagen auf Dächern. Nun können sie auch in Fassaden integriert werden. Erste Schweizer Projekte zeigen das grosse Potenzial solcher Lösungen – auch ästhetisch, denn die Palette der Gestaltungsmöglichkeiten wird immer grösser.
Von Michael Staub | Bilder: Viridén + Partner, Nina Mann | April 2017
Lichtgrau, himmelgrau, elefantengrau? Den Farbton zu beschreiben, ist nicht leicht. Denn das Mehrfamilienhaus an der Hofwiesenstrasse in Zürich besitzt eine Glasfassade. Keine Reflexionen, aber doch ein gewisser Schimmer liegt auf den Oberflächen. Dahinter befinden sich Solarzellen. Das Gebäude mit dreissig Wohnungen gehört damit zu den ersten Objekten in der Schweiz, die auf gebäudeintegrierte Photovoltaik (Building Integrated Photovoltaic, BIPV) setzen. Mit BIPV können bisher ungenutzte Flächen für die Stromproduktion erschlossen werden. Aus diesem Grund wurde der Umbau als Leuchtturmprojekt vom Bundesamt für Energie (BFE) gefördert.
Mut zur Innovation
Karl Viridén, Projektleiter und Inhaber des Architekturbüros Viridén + Partner, spricht allerdings nicht von BIPV, sondern von einer «aktiven Glasfassade». Dank ihr wurde der jahrzehntelang mit Öl beheizte Bau in ein modernes Plusenergiehaus verwandelt. Die Fassadenmodule sind nach dem Sandwichprinzip aufgebaut. Das äussere Glas ist nicht nur bruchsicher, sondern auch satiniert, entspiegelt und matt. So erreicht man eine dezente, blendungsfreie Oberfläche. Auf die Rückseite des Aussenglases wurde mittels digitalen Glaskeramikdruckes die Farbe im gewünschten NCS-Ton aufgebracht. Hinter dem Frontglas sind die monokristallinen PV-Zellen zwischen Einkapselungsfolien eingebettet. Das Element wird mit einem Rückglas abgeschlossen. Auf eine spezielle Oberflächenbeschichtung des Glases hat man verzichtet: «Die Elemente sind rahmenlos, Blütenstaub und andere Verschmutzungen sollten damit vom Regen abgewaschen werden», erläutert Karl Viridén.
Die neue Fassade war Teil eines grösseren Umbau- und Aufstockungsprojektes. Die normalen Bauarbeiten verliefen problemlos und konnten unter dem Kostenvoranschlag abgeschlossen werden. Die aktive Fassade jedoch wurde wegen der finanziellen Unwägbarkeiten und technischen Risiken als separates Projekt behandelt. Bau und Betrieb übernahm die EcoRenova AG, die seit 15 Jahren in umweltfreundliche und ressourcenschonende Bauprojekte investiert. Geschäftsleiter des Unternehmens ist Karl Viridén. «Wir haben durch dieses Projekt sehr viel gelernt. In zwei bis fünf Jahren wird es nicht mehr sinnvoll sein, bei einer hinterlüfteten Konstruktion auf eine aktive Fassade zu verzichten», ist der Architekt überzeugt. Für Planung, Solartechnik und Mehraufwand könne man gegenüber einer normalen Glas- oder Eternitfassade eine Differenz von 300 bis 400 Franken pro Quadratmeter annehmen. «Diese Differenz wird in 15 bis 20 Jahren durch den Verkauf des produzierten Stroms amortisiert.»

Der Gebäudekomplex an der Hofwiesenstrasse vor dem Umbau.

Hinter dem Deckglas befinden sich die PV-Zellen.
Erstmals energieautark
Nicht grau, sondern anthrazitfarben ist die Fassade eines Neubaus in Brütten (ZH). Die Umwelt Arena Schweiz hat hier das erste energieautarke Mehrfamilienhaus gebaut. Es besitzt keinen Anschluss ans Stromnetz, sondern erzeugt sämtliche elektrische und thermische Energie über die PV-Anlage. Neben den vollflächig verbauten Indachelementen sind auch die fassadenintegrierten Module bemerkenswert. Sie liefern etwa 37 Prozent der jährlichen Solarernte. Die Aussenhaut besteht aus hinterlüfteten Glasplatten, in die rahmenlose PV-Dünnschichtmodule integriert sind. Eine hydrophobe (wasserabweisende) Beschichtung minimiert Verschmutzungen. Mit einem Quadratmeterpreis von rund 600 Franken inklusive Dämmung ist die Solarfassade etwas teurer als reguläre Glasfassaden.
Nach etwa 25 bis 30 Jahren wird sie gemäss Berechnungen aber sogar günstiger sein als eine Fassade mit Wärmedämm-Verbundsystem (WDVS). Der Grund: Unterhalt und Sanierungen entfallen, der produzierte Strom kann verkauft werden. Die Entwicklung und Umsetzung der PV-Fassade in Brütten wurde vom Ingenieurunternehmen Basler & Hofmann begleitet. «Wir sind jetzt an der Schwelle, wo es wirtschaftlich interessant wird. Wer bei einer Südfassade ohnehin ein vorgehängtes System verwenden will, sollte unbedingt die wirtschaftliche Prüfung einer Solarfassade in Betracht ziehen», meint Eric Langenskiöld, zuständiger Projektleiter und PV-Experte bei Basler & Hofmann.
Genau rechnen lohnt sich
Die Kosten einer regulären Naturstein-, Eternit- oder Glasfassade könne man bei der Berechnung abziehen: «Gebaut wird ohnehin, man muss also nur die Mehrkosten für die PV-Funktion ermitteln.» Bei den heutigen Modulpreisen lohne es sich in jedem Fall, für Dächer und Fassaden eine kurze Potenzialanalyse zu machen, meint Eric Langenskiöld: «Gerade bei Sanierungen kann das interessant sein. Natürlich muss man die Beschattungssituation und die gestalterischen Wünsche des Architekten auch einbeziehen. Aber gerade Baugenossenschaften sollten PV-Fassaden erwägen, schon nur wegen der Signalwirkung.»
Die Kosten einer Solarfassade hängen stark von der Anzahl verschiedener Modultypen ab. Bei Neubauten lassen sich diese allenfalls durch die Optimierung von Geschosshöhen und Fenstereinteilungen drücken. In Brütten wurde jedoch wegen der speziellen Gebäudeform eine Vielzahl verschiedener Typen benötigt. Die Nachrüstung von Bestandesbauten kann dagegen knifflig werden. An der Hofwiesenstrasse konnten die anfänglich 50 verschiedenen Typen immerhin auf 18 reduziert werden – und das trotz einem Sanierungsprojekt mit aufwendiger Fassadenabwicklung. Bei beiden Wohnhäusern handelt es sich jedoch um Solitärbauten. Baugenossenschaften, die ganze Siedlungen sanieren, können hingegen auf Skaleneffekte zählen: Wenn drei, vier oder gar fünf Häuser mit derselben Typologie eine neue Fassade erhalten, wird diese tendenziell günstiger.

Das erste energieautarke Mehrfamilienhaus der Schweiz in Brütten (ZH): Die Aussenhaut besteht aus hinterlüfteten Glasplatten, in die rahmenlose Photovoltaikmodule integriert sind.
Strom selber nutzen
Ein wichtiger Punkt bei Photovoltaikprojekten ist die Finanzierung und Amortisation der Anlage. In Brütten wird der Solarstrom nicht ins Netz eingespeist. Vielmehr landen die Überschüsse in einem ausgeklügelten Arrangement von Speichern. So kann je nach Situation die Erdsonde regeneriert, ein Warmwasser- oder Batteriespeicher geladen oder gar Wasserstoff mittels Elektrolyse erzeugt werden. Die Möglichkeit einer vollständigen Autarkie vom Strom- und Wärmenetz wurde damit bewiesen. Weiterführende Projekte werden auf Teilautarkie setzen und eher in Richtung Quartiervernetzung gehen.
Wer anstelle der überlangen und damit illusorischen KEV-Warteliste die Einmalvergütung wählt, kann seinen Strom nicht kostendeckend an Swissgrid verkaufen. Dafür steht die Elektrizität für den Eigenverbrauch zur Verfügung. Genau hier sieht Eric Langenskiöld den Schlüssel zur Wirtschaftlichkeit: «In einem Einfamilienhaus ist die Stromverbrauchskurve extrem volatil. Bei Mehrfamilienhäusern oder Siedlungen werden die Kurven aber durch die hohe Anzahl Parteien geglättet. So kann man Spitzen auffangen.» In einem Einfamilienhaus liegt der mögliche Eigenverbrauch des Solarstroms etwa bei 30 bis 40 Prozent, mit einem Batteriespeicher lassen sich bis zu 60 Prozent erreichen. Bei einem 20-Familien-Haus könnte der Wert gemäss Basler & Hofmann nochmals 10 bis 20 Prozent höher liegen. Baugenossenschaften, die eine Batterielösung evaluieren, empfiehlt Eric Langenskiöld, zuerst die PV-Anlage zu bauen und danach mindestens ein Jahr lang den Stromverbrauch zu messen. Ein allfälliger Batteriespeicher kann so richtig dimensioniert werden.
Warum zögern Architekten?
Aus Ingenieursicht sind die Herausforderungen der Stromerzeugung und -speicherung schon heute lösbar. Doch wie steht es um die Akzeptanz von BIPV durch Architekten? Patrick Heinstein ist ausgebildeter Kunsthistoriker und Industriedesigner am Centre Suisse d’Electronique et Microtechnologique (CSEM) in Neuenburg. Das CSEM hat sich unter anderem mit der Entwicklung von farbigen PV-Modulen einen Namen gemacht. Für die Vorbehalte vieler Architekten gegen Photovoltaik im Allgemeinen und BIPV im Besonderen sieht Patrick Heinstein zwei Gründe: «PV-Module sind keine gängigen Bauelemente. Ihre Normierung und Zertifizierung bezieht sich neben Aspekten der Langlebigkeit vor allem auf Stromführung und Verkabelung, weniger auf bautechnische Belange. Das sorgt mitunter für Unsicherheiten und begründet wohl eine gewisse Distanz. Europäische und schweizerische Normenausschüsse nehmen sich jedoch dieser Probleme gerade an.»
Daneben gebe es unter den Architektinnen und Architekten eine grosse Unkenntnis bezüglich aktueller Produkte, Lösungen und Referenzobjekte. Für das breite Publikum sei die Ästhetik zwar auch wichtig, aber nicht allein ausschlaggebend: «Der Preis und eine einfache, schnelle Installation werden höher gewichtet.» Eine verstärkte Nutzung der Fassaden für die Stromproduktion sei in vielen Fällen wünschenswert, meint Patrick Heinstein.
Viele Gestaltungsmöglichkeiten
Doch die Vorurteile gegen die «hässliche» Photovoltaik sitzen tief. Eric Langenskiöld sammelt deshalb seit einigen Jahren Fassadenmuster, um seinen Auftraggebern die Vielfalt demonstrieren zu können: «Heute existieren sehr viele Möglichkeiten bezüglich Farbton, Mattigkeit und Transparenz. Zudem gibt es flexible PV-Elemente von Flisom, die auf normale Metallfassaden geklebt werden können, oder Module der Firma PVT, die sogar hinter dünnen Marmor- oder Holzschichtimitationen noch fünfzig Prozent Leistung erzielen.» Solche Beispiele sind bis heute kaum bekannt. Dieses Problem sieht auch Karl Viridén, der mit zahlreichen PV-Herstellern in Kontakt steht: «Die Mehrheit der Architekten hat einfach Mühe mit der Photovoltaik und den technischen Aspekten. Wir brauchen nicht hocheffiziente Fassadenmodule, die dann von hundert Architekten in Europa verwendet werden. Wir brauchen schönere Module, die etwas weniger leisten, aber dafür von 10 000 Architekten benutzt werden.»
Die aktuelle Diskussion über die Energiestrategie 2050 und die ungewisse Zukunft der grossen Schweizer Stromkonzerne lassen vermuten, dass der Strompreis mittel- bis langfristig wieder anziehen wird. Ein solches Marktumfeld würde die Einspeisung ins Netz unrentabel, den Eigenverbrauch dagegen attraktiv machen. Dieses Szenario sollten Baugenossenschaften auch unter dem Imageaspekt betrachten: «Der Selbstversorgungsgedanke und die höhere Sicherheit bei Blackouts sind durchaus Argumente. Moderne Genossenschaften sind auch attraktiver für Mieterinnen und Mieter», meint Karl Viridén.
Mehr zu BIPV
Viele Informationen zu BIPV, darunter eine nachgeführte Bibliographie wissenschaftlicher Aufsätze, finden sich auf einer Website der Supsi (Scuola universitaria professionale della Svizzera italiana) in Manno:
www.bipv.ch/index.php/de/publikationen. Eine kleine Datenbank führt auch die Dozentur für Baustatik und Konstruktion der ETH Zürich:
www.buk.arch.ethz.ch/Solardatenbank.
Zu BIPV gibt es relativ wenig deutschsprachige Literatur. Eine Ausnahme ist der Band «Gebäudeintegrierte Solartechnik» (Hrsg. von Roland Krippner, Detail Verlag, 978-3-95553-325-0,
ca. 70 Franken).
Eckdaten zu den erwähnten Projekten:
www.viriden-partner.ch
www.umweltarena.ch
www.csem.ch