
Wegen strengerer Mindestvorschriften halten sich Banken bei Hypothekenvergabe zunehmend zurück
Höhere Hürden
Die Hypothekarzinsen sind zwar nach wie vor auf einem historischen Tiefstand. Dennoch sehen sich manche Baugenossenschaften mit erhöhten Anforderungen und neuen Schwierigkeiten konfrontiert: höhere Margen für die Banken, generell verschärfte Auflagen, tiefe Schätzungen und strenge Kontrollen bei praktisch allen Kreditdossiers.
Von Jürg Zulliger | Bilder: zVg. | März 2016
Im Jahr 2009 kaufte die Genossenschaft Sennrüti das Kurhaus in Degersheim (SG) in der Ostschweiz. Eine alternative, auf Gemeinschaft ausgerichtete Lebensform war ihre Vision. Viel Gewicht hatten von Anfang an ökologische Anliegen, etwa die Umstellung auf erneuerbare Energien. Heute ist die Vision Realität: Das Kurhaus wurde umgebaut, es umfasst 31 Wohnungen, in denen Erwachsene und Kinder in verschiedenen Haushaltsformen leben. Zudem stehen Gemeinschaftsküche, Spielzimmer sowie Tanz- und Schulungsräume zur Verfügung, und die Genossenschaft vermietet Ateliers an Dritte.
Mehr Eigenmittel nötig
Ein weiterer Meilenstein wurde letztes Jahr erreicht, als die Genossenschaft eine grosse Photovoltaikanlage in Betrieb nahm, die rund 100 000 Kilowattstunden Strom liefert. Die Gesamtkosten des Projekts summierten sich auf rund acht Millionen Franken. René Duveen, Präsident Ökodorf Sennrüti, berichtet von den Erfahrungen bei der Finanzierung: «All dies war nur möglich, weil wir über relativ viel Eigenkapital verfügen und auf Darlehen von Verwandten und Freunden zählen konnten.» Gemäss seinem Bericht begegnen die Banken heute solchen Vorhaben mit grosser Vorsicht. Ursprünglich habe man bei drei Banken für eine Finanzierung angefragt. Zwei davon waren schon bald aus dem Rennen, weil sie aufgrund ihrer Richtlinien und Risikobeurteilungen nicht als Finanzierungspartner einsteigen wollten. So blieb eine dritte Bank mit Affinität zu genossenschaftlichen Projekten. Von den acht Millionen Franken Projektkosten finanzierte aber auch sie nur rund die Hälfte über Hypotheken. Alles in allem stellten die Banken bei der Prüfung des Kreditdossiers enorm hohe Anforderungen und legten teils unrealistische Massstäbe an.
Strengere Mindeststandards
«Hinzu kommt, dass einzelne Beurteilungen auf völlig falschen Annahmen beruhen», wundert sich René Duveen. Im Fall einer späteren Anschlussfinanzierung habe zum Beispiel ein potentieller Darlehensgeber bei der Gegenüberstellung von Kosten und Einnahmen Gebäudeteile und Anlagen mitgerechnet, die gar nicht im Eigentum der Genossenschaft sind und somit auch nicht berücksichtigt werden können. So waren immer wieder Hürden zu nehmen – einige Zeit später wieder von neuem, als aufgrund strengerer Mindeststandards von Bankiervereinigung und Finanzmarktaufsicht (Finma) die Bewertungsgrundsätze änderten. Die per Juli 2013 in Kraft gesetzten Bestimmungen schreiben bei nicht selbst genutzten Liegenschaften die Bewertung nach dem Ertragswert vor (siehe Box). Während die Hausbank der Genossenschaft früher einen Mix von Substanz- und Ertragswert zum Massstab genommen hatte, mussten alle Objekte neu zum Ertragswert beurteilt werden. Laut René Duveen hat die schematische Anwendung dieser Standards oft weit reichende Folgen für gemeinnützige Wohnbaugenossenschaften. Völlig unverständlich sei es etwa, wenn sich eine Genossenschaft mit langfristigen Festhypotheken bei einem Zins von 1,8 Prozent absichere und dann dennoch die finanzielle Tragbarkeit von höheren Zinsen nachweisen müsse. «Wenn ein gemeinnütziger Bauträger mit einer vorsichtigen Kostenmiete kalkuliert, wird es schwierig, die von den Banken verlangte Tragbarkeit bei einem Zinsniveau von 5 Prozent nachzuweisen», so René Duveen.
Enorme Unterschiede je nach Bank
Für Daniela Weber Conrad vom Regionalverband Ostschweiz ist dies kein Einzelfall: «Wenn eine Genossenschaft heute Bankofferten zur Finanzierung einholt, sind vor allem die extremen Unterschiede auffallend.» Obwohl die Zinsen sehr tief sind, ist es gut möglich, dass die Finanzierungskosten tendenziell steigen. Das liegt vor allem daran, dass die Banken je nach eigener Geschäftspolitik und je nach Projekt sehr unterschiedliche Margen kalkulieren. Frappant sind auch die Unterschiede bei den Bewertungen. «Manche Banken bewerten Liegenschaften oder Projekte dermassen konkonservativ, dass der gewährte Bankkredit insgesamt nur etwa 60 bis 70 Prozent der Anlagekosten decken würde», so Daniela Weber Conrad. Der Grund dafür ist in der Regel, dass Banken bei der bankinternen Schätzung, die auf dem Ertragswert basiert, ganz unterschiedliche Kapitalisierungssätze zugrunde legen. Während Schätzungsexperten diese für gute Objekte an erstklassigen Lagen bei 2 oder 3 Prozent ansetzen, liegen Kapitalisierungssätze für Umbauprojekte von Genossenschaften manchmal bei 6 bis 7 Prozent oder noch höher. Entsprechend tief fällt die Bankschätzung aus, und in dem Mass schmälert dies zugleich Belehnungshöhen und Kreditlimiten.
Unklare Anwendung der Mindeststandards
Uneinheitlich sind auch die Anforderungen bei den Amortisationen. Während einige Bankinstitute im Sinne der Mindeststandards heute höhere Amortisationen verlangen, räumen andere grosszügigere Fristen ein. In der Summe bedeutet dies, dass Wohnbaugenossenschaften die Angebote der Banken sehr sorgfältig aussuchen und vergleichen müssen. Gemäss Daniela Weber Conrad ist die Finanzierung durch Banken alles in allem schwieriger geworden. «Wenn eine Genossenschaft für ein Projekt heute nur 5 bis 10 Prozent Eigenkapital einbringt und zusätzlich andere Darlehen zur Restfinanzierung beansprucht, bekommt sie in der Ostschweiz kaum noch eine übliche Bankfinanzierung. » Die speziellen und oft erhöhten Anforderungen in der Wohnbaufinanzierung begründeten Bankvertreter sowohl mit den offiziellen Mindeststandards als auch mit bankinternen Vorgaben. Zum Teil erstrecken sich die Mindeststandards auf selbst genutztes Wohneigentum, zum Teil sind sie allgemein formuliert und beziehen sich somit auf jede Art von Hypothekarfinanzierung. In den entsprechenden Dokumenten ist allerdings der genossenschaftliche oder gemeinnützige Wohnungsbau nirgends genannt, was natürlich zu unterschiedlichen Interpretationen führt. Die Finma scheint sich dieser Lücke in der Regulierung sehr wohl bewusst zu sein. Ein Finma-Sprecher sagt dazu: «Es kommt auf den Einzelfall an, ob die Mindeststandards auf den gemeinnützigen Wohnungsbau anwendbar sind.»
Schwierig für junge Genossenschaften
Gemäss Einschätzung von Giampiero Brundia von der HypothekenBörse in Uster (ZH) sind Genossenschaften grundsätzlich im gleichen Mass betroffen wie andere Darlehensnehmer. Er erwähnt zum Beispiel die Amortisation einer zweiten Hypothek innerhalb von 15 Jahren sowie den Nachweis der finanziellen Tragbarkeit bei einem hohen kalkulatorischen Zins von 5 Prozent. Je nach Bankbeziehungen und finanziellem Hintergrund eines Bauträgers sind gleichwohl Abstufungen zu beobachten. Giampiero Brundia sagt dazu: «Wir stellen fest, dass jüngere Genossenschaften mehr Probleme haben als alteingesessene.» Er nennt einen aktuellen Fall einer gemeinnützigen Genossenschaft, die für ein Projekt insgesamt 10 Prozent Eigenmittel einbringen konnte. Erschwerend kam hinzu, dass die benötigten Eigenmittel sowie die Fremdmittel ausserhalb von Bankkrediten während der Bauphase erst nach und nach beschafft werden konnten. «Von einem Dutzend angefragten Banken hat letztlich nur ein Institut offeriert», schildert er den Fall. Sebastian Angst von der Beratungsfirma Pro Ressource bestätigt, dass junge Genossenschaften in erhöhtem Mass von den Veränderungen betroffen sind. Ihm ist zudem aufgefallen, dass höhere Ansprüche in Sachen Energieeffizienz und Ökologie bei der Kreditpolitik nicht richtig abgebildet werden und rein als zusätzlicher Kostenfaktor gesehen würden, der die Baukosten verteuere. Der positive Effekt von später tieferen Betriebskosten würde von den Banken zu wenig berücksichtigt. Laut Sebastian Angst sind aber auch bestehende Kreditdossiers und bestehende Finanzierungen von Verschärfungen betroffen. «Die Banken versuchen bei Verlängerungen die Margen zu erhöhen», so der Experte. Dies gelte sowohl für Fest- wie für Liborhypotheken. Als Argument führen Bankvertreter oft höhere Absicherungskosten im Hypothekargeschäft ins Feld. Vor allem bei Festhypotheken seien die Aufschläge allerdings intransparent.
Unterschiedliche Bewertungen
Kathrin Schriber, Finanzierungsexpertin beim Dachverband, vermeidet es, von einem generellen Engpass bei Finanzierungen zu sprechen: «Wir verzeichneten in den letzten Jahren bei den Darlehen des Fonds de Roulement und des Solidaritätsfonds ein sehr hohes Volumen.» Vor allem viele Neubauten von Genossenschaften seien dank dieser Instrumente finanziert worden. «Das heisst aber auch», so Kathrin Schriber, «dass die Genossenschaften sehr wohl Banken finden, die eine Restfinanzierung über die Fonds des Dachverbandes akzeptieren. » Aber auch ihr fallen die enormen Unterschiede auf – vor allem bei Bewertungen, Kapitalisierungssätzen und den in den Kalkulationen angenommenen Mieterträgen. Während einige Schätzungsexperten der Banken den Wert aufgrund der vergleichsweise günstigen Soll-Netto-Mieten (also Kostenmiete) ermitteln, stellen andere auf die an sich erzielbaren Marktmieten ab – was natürlich zu einer Höherbewertung führt und damit Raum schafft, ein umfangreicheres Darlehen zu gewähren. Fazit: Wenn die eine oder andere Bank die spezifischen Eigenheiten wie Kostenmiete nicht richtig abbilden kann, finden sich in den meisten Fällen trotzdem Lösungen – entweder durch einen Wechsel zu einem Konkurrenzinstitut oder alternative Finanzierungen ausserhalb des Banksektors.
Mindeststandards bei Hypothekarfinanzierung: Wichtige Bestimmungen
- Die Hypothekarschuld ist innerhalb von 15 Jahren auf zwei Drittel des Belehnungswertes zu reduzieren. Die Amortisationen müssen linear erfolgen, sie können also nicht gesenkt oder aufgeschoben werden.
- Bei vermieteten Wohnliegenschaften muss die Bank das Objekt zum Ertragswert einschätzen (früher war ein Mix von Substanz- und Ertragswert möglich). Dies kann zu tieferen Einschätzungen führen.
- Zentral ist das «Niederstwertprinzip»: Liegt der geschätzte Marktwert tiefer als der Kaufpreis einer Liegenschaft, ist der tiefere Wert Basis für die Finanzierung. Bei der Einschätzung ist die Bank verpflichtet, objektspezifische Risiken wie Leerstände, Unterhaltsstau oder schlechte Lagefaktoren zu berücksichtigen.
- Sämtliche Kredite sind periodisch und systematisch zu überwachen (Objekt- und Schuldnerqualität). Verschlechtert sich zum Beispiel die Bonität eines Schuldners, sind Massnahmen zu ergreifen. Selbst bei Festhypotheken sind also Änderungen denkbar, etwa höhere Amortisationen oder gar Kündigungen.
- «Exceptions-to-Policy-Fälle» (ETPFälle, Ausnahmen von bankinternen Regelungen) müssen sorgfältig dokumentiert, nachvollziehbar begründet und laufend überprüft werden. Aufgrund der strengen Vorgaben – auch der Revisionsstellen – und weil ETPDossiers mit mehr Eigenmitteln der Bank unterlegt sein müssen, wollen viele Banken ETP-Fälle reduzieren (zum Beispiel bei schwacher Tragbarkeit eines Kredits).
Grundlagen: «Richtlinien betreffend Mindestanforderungen bei Hypothekarfinanzierungen (2014)», «Richtlinien für die Prüfung, Bewertung und Abwicklung grundpfandgesicherter Kredite (2014)». Download unter www.swissbanking.org