
Die Bankfinanzierung erhält mehr Konkurrenz
Hypotheken zum Nulltarif
Wohnbaufinanzierungen galten lange Zeit als Domäne der Banken. Doch im Umfeld der extrem tiefen Zinsen und mangels ertragssicherer Anlagen haben andere potentielle Darlehensgeber Hypotheken neu entdeckt. Dabei sind gemeinnützige Bauträger besonders gesuchte Schuldner, wie Marktbeobachter feststellen.
Von Jürg Zulliger | Bilder: Archiv Wohnen | März 2017
Seit es Banken und Hypotheken gibt, hat die Wohnbaufinanzierung in der Schweiz schon manches Auf und Ab erlebt. Es gab Zeiten, in denen Finanzierung von Neubauten und Renovationen überhaupt infrage stand – entweder weil die Zinsen ein völlig abgehobenes Niveau erreicht hatten oder weil die Banken ihre Kredittätigkeit plötzlich einschränkten. Ganz anders die heutige Situation: Für das laufende Jahr könnten die Rahmenbedingungen kaum besser sein, wie Giampiero Brundia von der HypothekenBörse in Uster (ZH) ausführt: «Der Kreis potentieller Darlehensgeber ist grösser geworden.» Denn wegen der tiefen Zinsen suchen institutionelle Anleger wie Versicherungen, Pensionskassen, Anlagestiftungen, Grossunternehmen, teils auch vermögende Familien («family offices» der Banken) nach neuen, sicheren Anlagemöglichkeiten.
Verlagerung zu neuen Geldquellen?
Grosse Pensionskassen und Versicherungen wie Publica, die Vorsorgeeinrichtung der SBB, Suva, Axa oder die Beamtenversicherungskasse BVK haben sich zwar nie ganz aus der Wohnbaufinanzierung verabschiedet, messen ihr aber jetzt wieder grösseres Gewicht bei. Hans Rupp, Geschäftsführer ABZ, stellt fest, dass der Markt für Hypotheken divergenter werde: «Den Hauptunterschied sehe ich darin, dass zahlreiche neue Player aktiv sind, die das klassische Hypothekargeschäft der Banken konkurrenzieren.» Diese neuen Darlehensgeber rechnen anders, legen ihre Konditionen nach eigenen Grundsätzen fest und müssen auch nicht die gleichen Regulierungen wie die Banken beachten. «Wenn es den Banken nicht gelingt, neue Angebote zu entwickeln, kommt es zu einer deutlichen Verlagerung hin zu diesen neuen Anbietern», sagt Hans Rupp.
Finanzierungen kommen teils direkt zwischen einem kapitalkräftigen Darlehensgeber (zum Beispiel einer Pensionskasse) und einer Genossenschaft zustande. Doch Anlegern stehen heute mehrere Kanäle offen, um in nachhaltige Hypotheken zu investieren: nicht allein über direkte Kontakte, sondern auch über Formen eines Poolings. Verschiedene Unternehmen haben sich darauf spezialisiert, Hypotheken im Auftrag von Pensionskassen oder anderen institutionellen Anlegern zu platzieren. Weiter sind auch neue Hypotheken-Anlagestiftungen zu erwähnen, wie sie zum Beispiel die ZKB und die UBS lanciert haben.
Gefragte Genossenschaften
Vor allem gemeinnützige Bauträger und Baugenossenschaften von erstklassiger Bonität sind gesuchte Schuldner. Denn sie sind langfristig orientiert, gelten aufgrund tiefer Belehnungen als wenig risikoreich, verfügen teils über stille Reserven beziehungsweise weisen eine sehr gesunde Finanzierungsstruktur auf und sind in einer stabilen Lage, was die Mieterträge betrifft. Laut Giampiero Brundia urteilen potentielle Darlehensgeber positiv über Genossenschaften: Sie tätigten keine riskanten oder spekulativen Geschäfte und seien ethischen Prinzipien und der Nachhaltigkeit verpflichtet. «Langfristige Werte zu schaffen», so Giampiero Brundia, «ist im heutigen Umfeld sicher ein gewichtiges Pro-Argument.»
Bei Ausschreibungen und Konkurrenzofferten beobachtet der Experte «massive Unterschiede». Ein Beispiel: Eine alteingesessene Genossenschaft, die bei ihrer Hausbank kurzfristige Darlehen zu einem Zins von 0,6 Prozent beschafft, hat plötzlich eine Konkurrenzofferte für exakt die gleiche Finanzierung bei 0,3 Prozent auf dem Tisch. Da Hypothek nicht gleich Hypothek ist, müssen bei Vergleichen zwar die konkreten Umstände berücksichtigt werden – je nach Laufzeit und je nach Sicherstellung gestalten die Darlehensgeber die Konditionen abgestuft. In Einzelfällen und bei erstklassigen Geschäftsbeziehungen ist aber davon auszugehen, dass Genossenschaften heute in einen Bereich von 0 bis 0,2 Prozent Zins vorstossen.

Die ABZ setzt bei der Finanzierung auf einen Mix verschiedener Hypotheken und Laufzeiten. Im Bild die Siedlung Sihlfeld, anlässlich der umfassenden Sanierung im Jahr 2012.
Geschäftsbeziehungen überprüfen
Bei so viel Bewegung und Wettbewerb lohnt es sich für alle Bauträger, die Möglichkeiten auf dem Markt auszuloten. Experte Giampiero Brundia schliesst auch ausdrücklich junge und dynamische Genossenschaften ein, die finanziell gesehen noch nicht über die gleiche Substanz verfügen wie Bauträger mit einer langen Geschichte: «Die Finanzierungsmöglichkeiten sind heute auch für solche Genossenschaften deutlich besser als früher.» Umso mehr erstaunt es, dass viele kleinere Genossenschaften unverändert an jahrelangen Geschäftsbeziehungen festhalten. Geht es um alltägliche kleinere Bauaufträge, müssen oft drei oder vier Handwerker Offerten einreichen. Handelt es sich aber um Hypotheken, sind Vergleiche nicht selbstverständlich.
ABZ-Geschäftsleiter Hans Rupp empfiehlt generell, mehrere Offerten und Vergleiche einzuholen: «Selbst wer über viele Jahre mit der gleichen Bank zufrieden ist, sollte sie vor ei-
nem neuen Vertragsabschluss mit einer Gegenofferte konfrontieren.» Die Unterschiede seien zum Teil erheblich. Das hängt damit zusammen, dass die Geschäftsmodelle und Kostenkalkulationen je nach Herkunft der Mittel völlig unterschiedlich sind. Hinzu kommt, dass sogar innerhalb der Bankenwelt heute gegenläufige Trends zu beobachten sind: Manche Bankinstitute versuchen, ihre Margen bei Hypotheken zu erhöhen. Andere wiederum senken die Margen und sind flexibel bei den Konditionen, weil sie um jeden Preis ihr Volumen halten oder ausbauen wollen.
EGW als Alternative
Die Einschätzung von Guido Gervasoni, Direktor der Emissionszentrale für gemeinnützige Wohnbauträger EGW, klingt ähnlich: «Die Banken sind in jüngster Zeit teurer geworden.» Der Gap zwischen üblichen Bankhypotheken und den Finanzierungsinstrumenten der EGW ist zusehends grösser geworden. Vor allem in den Jahren 2015 und 2016 erfreute sich die EGW
einer sehr grossen Nachfrage. Die Konditionen sind tatsächlich kaum noch zu schlagen: Im letzten November platzierte die EGW eine neue Anleihe, die gemeinnützigen Bauträgern finanzielle Mittel zu rekordtiefen Zinsen beschafft – bei einer Laufzeit von 15 Jahren handelt es sich um ein Darlehen zu «All-in-costs» von nur 0,429 Prozent. Die EGW beschafft die Mittel
direkt auf dem Kapitalmarkt und nimmt ihre Aufgabe mit einer schlanken Struktur wahr. Während die Banken trotz Negativzinsen null Prozent als Ausgangslage nehmen und dann eine Marge beziehungsweise die Kosten für Eigenkapitalunterlegung, Risiko, Verwaltung usw. addieren, rechnet die EGW anders: «Solche Kosten fallen bei uns nicht im gleichen Ausmass an», so Guido Gervasoni. Wichtig ist vor allem, dass die Anleihen der EGW den Vorzug einer Bundesbürgschaft ausspielen können. Dies gibt den Geldgebern auf dem Kapitalmarkt eine grosse Sicherheit und führt entsprechend zu tiefen Renditeanforderungen. Solch attraktive Konditionen haben zur Konsequenz, dass die Zahl an Finanzierungsgesuchen bei der EGW deutlich gestiegen ist. Der Vorstand sah sich daher veranlasst, gewisse Kriterien klarer zu formulieren und Prioritäten zu setzen. Diese richten sich im Wesentlichen nach dem Sinn und Geist des Wohnraumförderungsgesetzes. Der Fördergedanke wird so interpretiert, dass ausdrücklich mittlere und kleinere Genossenschaften profitieren sollen. «Es wäre fragwürdig, wenn einzelne grössere Genossenschaften zum Nachteil kleinerer grosse Tranchen beziehen, die sie lediglich zur Ablösung bestehender Finanzierungen benötigen», fasst der EGW-Direktor zusammen. Weiter will man speziell aktive Bauträger fördern. Nicht finanziert werden Akquisitionen, Bauprojekte, Landkäufe oder dergleichen. Selbstverständlich wird die EGW 2017 weitere Anleihen platzieren und plant einen Rahmen von insgesamt gegen 400 Millionen Franken.
Dauerhafte Verlagerung
ABZ-Geschäftsführer Hans Rupp geht davon aus, dass die Verlagerung hin zu Nichtbanken von grundsätzlicher Natur ist: «Die neu entstandenen Geschäftsbeziehungen stellen einen sicheren Wert dar und werden auch über die Zeit einer allfälligen Zinswende hinaus Bestand haben.» Nebst einem guten Zinssatz sind für ihn vor allem auch ethische Grundsätze bei der Wahl der Finanzierungspartner und die langfristige Stabilität bei der Finanzierung ausschlaggebend. Die ABZ achtet daher auf einen guten Mix von verschiedenen Hypotheken und unterschiedlichen Laufzeiten – um diese Staffelung sicherzustellen, dürfen bei der ABZ pro Jahr höchstens zehn Prozent der Finanzierungstranchen fällig werden.