Olivier Brenner von der EnDK sieht die Kantone im Gebäudebereich in Sachen Energie auf Kurs

«Bei den CO2-Emissionen ist klar ein Absenkpfad eingeschlagen»

Das revidierte CO2-Gesetz sah schärfere Vorschriften für den Gebäudebereich vor. Nachdem es diesen Sommer in der Volksabstimmung gescheitert ist, liegt der Ball nun wieder bei den Kantonen. Wo bereits vorhanden, seien deren neue Gesetze sehr wirksam, sagt Olivier Brenner von der Konferenz Kantonaler Energiedirektoren (EnDK). Herausforderungen bestehen nach wie vor im Bestand.

Interview: Jürg Zulliger | Bilder: zVg | Oktober 2021

Wohnen: Was ging Ihnen am Abstimmungssonntag vom 13. Juni durch den Kopf, als das CO2-Gesetz knapp scheiterte?

Olivier Brenner: Die Nachrichten und die laufend neuen Hochrechnungen habe ich an diesem Sonntag bewusst nicht verfolgt. Ich unternahm stattdessen eine Velotour. Als ich dann um 18 Uhr das Handy einschaltete, kamen gleich Dutzende Nachrichten und SMS. Da war sofort klar, dass etwas passiert ist. Zum «Nein» war mein erster Gedanke, dass dies ein schlechtes Signal an die internationale Gemeinschaft ist. Man kann es so interpretieren, dass die Schweiz nicht vorwärts machen will. CO2-Emissionen kennen aber keine Grenzen. Klimapolitik ist ein globales Anliegen, im Gegensatz zu Umweltthemen wie die Luftqualität, die sich national und regional lösen lassen.

Was bedeutete das Nein für die EnDK?

Für uns war es wichtig, dass wir im Gebäudesektor einen Plan B haben. Das bisherige CO2-
Gesetz von 2013 beinhaltet die Grundlagen ­da­zu. Die Kantone schaffen Standards zur Reduktion der CO2-Emissionen von Gebäuden. Hier sind vor allem die oft zitierten Mustervorschriften (MuKEn 2014, siehe Box) zu nennen, die die kantonalen Energievorschriften har­moni­sie­ren. Die Umsetzung der Basismodule ging zuerst nur sehr schleppend voran. In den letzten zwei Jahren haben wir aber eine deut­liche Beschleunigung verzeichnet. Inzwischen haben 17 Kantone die MuKEn in ihre Gesetzgebung überführt. Damit ist bei den CO2-Emis­sionen klar ein Absenkpfad eingeschlagen.

De facto haben wir allerdings einen Flickenteppich mit kantonal unterschiedlichen Vorschriften. Wäre ein einheitlicher CO2-Grenzwert für die ganze Schweiz nicht einfacher und wirksamer?

Natürlich ist das ein Stück weit ein Flickenteppich. Der föderale Wettbewerb lässt aber auch Freiheiten zu, die wichtige Erkenntnisse generieren. Das gilt für die Erfahrungen in Kantonen wie Basel-Stadt oder Neuenburg, die beim Ersatz eines Heizkessels eine Lösung mit hundert Prozent erneuerbarer Energie verlangen. Entscheidend sind letztlich die Massnahmen: Wenn 26 verschiedene kantonale Energiegesetze am Schluss die gleichen Massnahmen auslösen, ist das Ziel ja erreicht. Ein einziger Standard für die ganze Schweiz birgt politisch ein Risiko: Wenn man mit einer eidgenössischen Vorlage nicht durchkommt, hat man gar nichts.

Der Ball liegt jetzt bei den Kantonen. Welche Themen stehen bei den kantonalen Vorschriften im Vordergrund?

Hoch sind die Herausforderungen vor allem bei bestehenden Gebäuden und beim Ersatz von Wärmeerzeugern. Bei der Dekarbonisierung der Heizungen sind wir gut auf Kurs. Die Anforderungen der Mustervorschriften beziehungsweise die kantonalen Energiegesetze haben zur Folge, dass wir bei Neubauten bereits heute gut unterwegs sind und ein sehr hohes Mass an Energieeffizienz erreichen. Wichtig ist vor allem, dass möglichst keine fossilen Energieträger mehr zum Einsatz kommen.

Was ist die wichtigste Massnahme, die bei Altbauten Wirkung zeigt?

Teil des MuKEn-Basismoduls ist die Anforderung, dass beim Ersatz der Wärmeerzeugung ein Anteil von mindestens zehn Prozent erneuerbare Energie erreicht werden muss. Wer bei einer Renovation weiterhin fossil heizen will, muss dies durch andere Massnahmen kompensieren – etwa mit einer entsprechend guten Wär­medämmung.

Manche Kantone verlangen mehr, nämlich zwanzig oder sogar hundert Prozent Anteil erneuerbare Energie.

Ja, hier gibt es grosse Unterschiede. Es ist klar, dass ein Anteil von hundert Prozent einen hohen Standard darstellt. Basel-Stadt hat sich für diese Maximalvariante entschieden; der Kanton Neuenburg ebenfalls, aber nur in Bezug auf Wohnbauten. Das neue Energiegesetz für Zürich, über das im November abgestimmt wird, geht in die gleiche Richtung.

Olivier Brenner ist seit März 2017 stellvertretender Generalsekretär der Konferenz Kantonaler Energiedirektoren (EnDK). Er ist Mitglied des SIA-Fachrats Energie und diverser SIA-Normenkommissionen, interkantonaler Arbeitsgruppen der Energiefachstellen-Konferenz sowie einer kommunalen Baubewilligungsbehörde und der Energiekommission. Früher war er selber als Planer und Ingenieur auf der Seite von Bauherrschaften tätig (dipl. HLK-Ing. HTL).

Gemäss Erhebungen der EnDK macht es bezüglich erzielter Wirkung kaum einen Unterschied, ob zehn oder zwanzig Prozent erneuerbare Energie verlangt werden. Wie erklären Sie sich das?

Das ist tatsächlich festzustellen. Ursprünglich hatte man ganz bewusst eine niederschwellige Anforderung formuliert. Wird ein Anteil erneuerbare Energie verlangt, müssen die Bauherrin und ihr Planer so bei einer Sanierung auf jeden Fall darüber nachdenken, wie sie diesen ab­decken können. Naheliegend ist zum Beispiel eine zu­sätzliche Investition, um das Warmwasser mit einer Solarthermieanlage zu erzeugen. Für ein Standardhaus kostet eine solche Anlage rund 12 000 Franken. Die zusätzliche Investition hat zur Folge, dass die Kostendifferenz zu einem System mit rein erneuerbarer Energie sinkt. Damit tragen die Vorgaben entscheidend dazu bei, dass wir bei unterschiedlichen Systemen zur Wärme­er­zeugung gleich lange Spiesse haben. Das zieht oft ­einen Einstellungswandel nach sich: Die Bauherrschaft kommt zum Schluss, dass sich eine Umrüstung auf eine Wär­me­pum­pe oder ein anderes erneuerbares System lohnt. Es besteht also kein Zweifel, dass bereits die Mindestanforderung mit zehn Prozent eine Ver­haltens­änderung bei Hauseigentümerinnen und Bau­herrschaften bewirkt.

Trotzdem liess aufhorchen, dass mancherorts fossile Energieträger immer noch vorwiegend durch fossile Energieträger ersetzt werden.

Hier zeigt sich ein klares Bild: In Kantonen, die keine Vorschriften für den Ersatz von Heizungen erlassen, kommt es in rund achtzig Prozent der Fälle zu einem Eins-zu-eins-Ersatz. Das heisst, ein alter Ölkessel wird durch einen neuen Ölkessel ersetzt. In Kantonen, die ihre Energiegesetze angepasst haben, ist es gerade umgekehrt. Hier überwiegen mit einem Anteil von achtzig Prozent die Umrüstungen auf erneuerbare Energie deutlich. Auch das zeigt, dass sich die niederschwellige Anforderung beim Heizungsersatz als sehr wirksam erweist.

Gibt es auch Elemente der Mustervorschriften, die sich weniger bewährt haben?

Neubauten müssen zum Beispiel einen guten Standard aufweisen, um eine gewisse Wärmeenergiekennzahl zu erreichen. Zugleich wird verlangt, dass sie einen Anteil Strom selber produzieren. Manche Bauträger kritisieren, dass die Eigenstromerzeugung des Gebäudes bei der Wärmeenergiekennzahl nicht angerechnet wird. Wir können uns gut vorstellen, dass dieser Einwand bei der nächsten MuKEn-Ausgabe aufgenommen wird. Dann müsste eine ganzheitliche Betrachtung möglich sein, die Wärme und Strom gleichermassen berücksichtigt.

Die Kantone können Ausnahmen erlauben, wenn ein erneuerbarer Energieträger technisch nicht möglich oder wirtschaftlich nicht zumutbar ist. Birgt dies nicht das Risiko einer zu laxen Praxis?

Ob mit kantonalen Energiegesetzen oder eidgenössischen CO2-Grenzwerten: In historisch gewachsenen Altbauquartieren, in Stadtteilen unter Ortsbildschutz und mit engen Gassen sind solche Umrüstungen so oder so eine kniff­lige Denksportaufgabe. Varianten mit Fern­wärme oder Erdsondenwärmepumpen sind da oft schwierig. Das führt aber keineswegs zu einer laxen Praxis, denn es handelt sich wirklich nur um Ausnahmen. Innerhalb einer gewissen Bandbreite sind Mehrkosten zu akzeptieren. Grundsätzlich sind erneuerbare Heiz­systeme auch unter schwierigen Voraussetzungen etwa aufgrund der Lage möglich. Die technische Umsetzung ist dann aber fast immer mit hohen Kosten und hohem Aufwand verbunden. Der Kanton Basel-Stadt etwa löst dies so, indem er entsprechende Fördermittel bereitstellt. So wird der Punkt «wirtschaftlich nicht zumutbar» quasi weggefördert.


«Gebäude von morgen fungieren noch viel mehr als Stromproduzenten.»


Wird das Gebäudeprogramm, das finanzielle Anreize schafft, fortgesetzt?

Ja, das Gebäudeprogramm von Bund und Kantonen ist unbefristet und finanziert sich zu einem wesentlichen Teil aus den CO2-Abgaben auf fossilen Brennstoffen. Aus dem Programm werden bei Umrüstungen, Sanierungen von Gebäudehüllen und beim Ersatz von Wärmeerzeugern je nach Kanton Förderbeiträge an die Investitionskosten und Beratungsangebote ausgerichtet. Nach der Ablehnung des CO2-Gesetzes gab es zur Fortführung einige Missverständnisse. Für Bauträger ist die Botschaft wichtig: Das Gebäudeprogramm läuft wie bisher weiter. Es gibt auch keine Reduktion der Fördermittel, im Gegenteil. Viele Kantone haben ihre Beiträge an das Förderprogramm in den letzten zwei Jahren sogar erhöht.

Die Klimapolitik ist im Wandel, auch die Technik entwickelt sich weiter. Was raten Sie Baugenossenschaften, die Neu- oder Umbauten planen?

Beim Neubau sind wir sehr weit. Die Energieeffizienz und die Qualität von Gebäudehüllen sind heute sowohl ökologisch als auch öko­nomisch sehr nahe am Optimum. Wenn es bei Isolationsmaterialien oder Bauteilen nicht zu einem technologischen Quantensprung kommt, gibt es da nicht viel zu verbessern. Das Ziel, Raumwärme in Neubauten nur mit erneuerbarer Energie zu erzeugen, ist eigentlich «gegessen». Im Bestand von Gebäuden sieht es anders aus. Wenn wir bis 2050 die Vision der klimaneutralen Schweiz umsetzen wollen, muss dort die Energieeffizienz noch verbessert werden. Ich gehe davon aus, dass die Eigenerzeugung von Strom an Bedeutung gewinnen wird. Viele Bauträger und Genossenschaften realisieren auf Dächern von Neubauten Photovoltaikanlagen. Auch auf den Dächern bestehender Gebäude gibt es noch viel Potenzial für solche Anlagen. Weiter kommt es darauf an, Erneuerungen gut zu planen und auf die Lebensdauer von Bauteilen abzustimmen. Energetische Sanierungen oder ein Heizungsersatz sollten nie als «Hüftschuss» beziehungsweise unter Zeitdruck angegangen werden.

Wie schätzen Sie den Effekt anderer Massnahmen ein, etwa von energetischen Beratungen oder Labeln?

Label wie Minergie waren für die Kantone, aber auch für Planende immer ein wichtiges Experimentierfeld. Ursprünglich war die Idee, dass sich fortschrittliche Bauherrschaften damit höhere Ziele setzen als die «normale» Bauträgerin. Aus solchen Projekten konnten wir jeweils wichtige Erkenntnisse gewinnen. Sie zeigen, wie sich gewisse Massnahmen in der Praxis bewähren, ob die Bauwirtschaft die entsprechenden Materialien liefern kann usw. Minergiebau­ten erwiesen sich oft als Vorreiter mit einem eindeutig höheren Standard.

Die kantonalen Energiedirektoren haben ­angekündigt, eine Neuauflage der Muster­vorschriften an die Hand zu nehmen. Was sind künftige Anforderungen an Gebäude?

Vorgaben zur Stromproduktion und Anforderungen an den Heizungsersatz im Bestand ­haben sich als sehr wirksam erwiesen. Es wird da­rum gehen, diese Elemente auch für die nächste Ausgabe zu übernehmen und weiter­zu­ent­wickeln. Es ist gut möglich, dass der geforderte Anteil an erneuerbarer Energie beim Heizungsersatz künftig höher liegt. Ein weiteres wichtiges Thema ist wie erwähnt die Verbesserung der Energieeffizienz im Gebäudebestand. Und Gebäude müssen fit für die E-Mobilität werden.

Wird auch die Eigenproduktion von Strom weiter ausgebaut und gefördert?

Ja, davon gehen wir aus. Der Energiekonsum in Gebäuden wird durch die rasche Verbreitung von Wärmepumpen und die hohen Wachstumsraten bei der E-Mobilität weiter zunehmen. Da immer mehr Gebäudeeigentümer PV-Anlagen installieren, fungieren die Gebäude von morgen noch viel mehr als Stromproduzenten. Das Haus wird mehr und mehr zur zentralen Schaltstelle – zum «Energiehub Gebäude», wie wir das nennen. Das bezieht sich auf den Verbrauch, aber auch auf die Produktion und die Speicherung von Energie. Wir rechnen damit, dass die EnDK die neuen Mustervorschriften 2025 verabschieden wird.

MuKEn 2014

Seit den 1990er-Jahren bemühen sich die Kantone, die energetischen Anforderungen im Gebäudebereich zu harmonisieren, und zwar mit den «Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich» (MuKEn). Letztmals wurden diese 2014 revidiert. Die MuKEn sind Empfehlungen, die durch die Kantone in Recht umzusetzen sind. Sie bestehen aus einem Basismodul, das integral übernommen werden sollte, und zehn freiwilligen Zusatzmodulen. Die Kantone können strengere Bestimmungen erlassen. Bis jetzt haben 17 Kantone die MuKEn 2014 in Gesetze überführt.

Stand der Umsetzung MuKEn 2014:

  • 17 Kantone wenden das Basismodul an: AI, BL, BS, FR, GL, GR, JU, LU, NE, NW, OW, SG, SH, SZ, TG, TI, VD
  • 1 Kanton Volksabstimmung ausstehend: ZH
  • 5 Kantone haben die Vorlage in der parlamentarischen Beratung: AR, BE, GE, UR, ZG
  • 1 Kanton im Vernehmlassungsverfahren: VS
  • 2 Kantone benötigen neuen Anlauf: SO, AG