Neujahrsinterview mit Verbandspräsidentin Eva Herzog
«Das Haus des Wohnens soll eine Drehscheibe für die ganze Schweiz sein»
Für Eva Herzog ist 2024 ein wichtiges Jahr: Als Präsidentin von Wohnbaugenossenschaften Schweiz führt sie den Verband in eine neue Ära und als Ständeratspräsidentin leitet sie die kleine Kammer. Im Interview erzählt sie, was das für sie bedeutet und was sie sich politisch und privat vorgenommen hat.
Interview: Rebecca Omoregie | Bilder: Michele Limina | 2024/01
Wohnen: Eva Herzog, gehören Sie zu den Menschen, die Neujahrsvorsätze fassen?
Eva Herzog: Nein, nicht eigentlich. Aber ich könnte sagen, diesmal habe ich gleich umgesetzt, was man sich sonst so vornimmt: Ich habe tüchtig aufgeräumt und fast täglich Sport getrieben in dieser Zeit «zwischen den Jahren», in der alles etwas langsamer und friedlicher ist und leicht von der Hand geht. Auch ohne Vorsätze liebe ich den Jahresübergang, der einem den Eindruck vermittelt, man habe die Chance auf einen Neuanfang.
Für Wohnbaugenossenschaften Schweiz hat mit dem neuen Jahr eine neue Ära begonnen: Die Geschäftsstelle hat nach über fünfzig Jahren an der Bucheggstrasse einen neuen Bürostandort in Zürich bezogen. Was bedeutet der Umzug für den Verband?
Ich bin sehr froh, dass wir so einen guten neuen Standort gefunden haben. Als ich 2020 das Präsidium übernahm und das erste Mal die Geschäftsstelle besuchte, war ich ehrlich gesagt etwas irritiert: Ich fand den Standort an der Bucheggstrasse für auswärtige Besucher:innen nicht ideal und nicht sehr repräsentativ. Ausserdem waren die Räumlichkeiten nun einfach zu klein geworden.
Viel zentraler sind die neuen Büroräumlichkeiten in der Nähe des Hegibachplatzes aber auch nicht.
Vom Bahnhof sind es auch einige Minuten im Tram, das stimmt. Aber wir haben jetzt ein ganzes Haus, gemeinsam mit dem Regionalverband Zürich, ein «Haus des Wohnens». Das hat eine ganz andere Ausstrahlung.
Was erhoffen Sie sich vom gemeinsamen Bürostandort mit Wohnbaugenossenschaften Zürich?
Das neue Haus des Wohnens soll die zentrale Drehscheibe werden für den gemeinnützigen Wohnungsbau in der Schweiz. Ein nationales Kompetenzzentrum, das die Kompetenzen und Dienstleistungen aus allen Regionen bündelt und allen Regionalverbänden und Mitgliedern in der ganzen Schweiz zur Verfügung steht.
Was heisst das konkret?
Wir wollen enger mit unseren Regionalverbänden zusammenarbeiten. Im Dachverband und in den verschiedenen Regionen haben wir sehr viel Fachwissen und wertvolle Dienstleistungen. Wir müssen aber nicht überall das Rad neu erfinden und überall dieselben Ressourcen aufbauen, sondern können voneinander profitieren. Insbesondere mit dem Regionalverband Zürich, mit dem wir nun die Räumlichkeiten teilen, sehen wir mögliche Synergien, aber auch mit anderen Regionen. Unser oberstes Ziel ist es, das Dienstleistungsangebot für unsere Mitglieder weiterzuentwickeln.
Ein weiterer Meilenstein sind die Verbandsstatuten, die überarbeitet und Ende 2023 von den Delegierten verabschiedet wurden. Was war der Grund für die Revision?
Wir haben uns die letzten Jahre mit der Strategie des Verbands beschäftigt und gemerkt, dass wir auch die Verbandsorganisation anschauen müssen: Es genügt nicht, sich grosse Ziele zu setzen. Wenn wir uns vornehmen, zu wachsen, müssen wir so aufgestellt sein, dass wir dies auch umsetzen können. Grösse und Ressourcen der verschiedenen Regionalverbände sind sehr unter-
schiedlich. Wir wollen aber überall das gleiche Leistungsangebot und die gleiche Qualität anbieten. Gleichzeitig ist die Verankerung und Vernetzung in den Regionen sehr wichtig. Wir hatten überlegt, ob die Regionalverbände zu grösseren überregionalen Einheiten zusammengeschlossen werden sollten. Oder ob es gar genügt, wenn es in den Regionen nur noch regionale Anlaufstellen und lokale Interessengemeinschaften gibt.
Für welche Lösung hat man sich entschieden?
Die Bedürfnisse sind sehr unterschiedlich und der Dachverband will nicht in die Autonomie der Regionalverbände eingreifen. Deshalb haben wir entschieden, dass wir nun erst einmal die Kräfte bündeln und die operative Zusammenarbeit mit den Regionalverbänden stärken. Wenn kleinere Regionalverbände fusionieren wollen, unterstützen wir sie dabei.
Inwiefern sind diese Überlegungen in die Statuten eingeflossen?
Die wichtigste Neuerung ist die Einführung einer Regionenkonferenz, in der alle Regionalverbände vertreten sind. Diese regelt die Zusammenarbeit zwischen Dachverband und Regionalverbänden, koordiniert überregionale Projekte, tauscht sich aus zu den strategischen Zielen des Verbands und kann auch Anträge an die Delegiertenversammlung stellen. Ausserdem wollen wir, dass die Regionen mehr Zeit haben, die Geschäfte der Delegiertenversammlung mit ihren Delegierten zu besprechen. Neben den zwei Regionenkonferenzen gibt es deshalb künftig nur noch eine Delegiertenversammlung pro Jahr.
Sie haben es erwähnt: Zugrunde liegt das Ziel, als Branche zu wachsen, mehr gemeinnützigen Wohnraum zu schaffen. Wie wollen Sie das erreichen?
In erster Linie müssen wir dafür sorgen, dass gemeinnützige Bauträger mehr bauen können, dass sie geeignete Areale oder Liegenschaften erwerben können. Zusätzlich zu unseren Beratungs- und Dienstleistungsangeboten haben wir deshalb eine Arbeitsgruppe zum Thema Akquisition eingesetzt. Diese soll Handlungsvorschläge erarbeiten, wie die Akquisition schweizweit systematisch angegangen werden kann, auf nationaler, kantonaler und lokaler Ebene. Ausserdem haben wir eine Bodenstiftung gegründet, die Grundstücke erwerben und im Baurecht an gemeinnützige Bauträger abgeben wird. Aber letztlich braucht es auch auf politischer Ebene Massnahmen für mehr gemeinnützigen Wohnungsbau.
Was fordern Sie?
Gemeinnützige Bauträger müssen Zugang zu geeigneten Grundstücken erhalten. Wir fordern, dass bei neuen Wohnbauprojekten und bei Um- oder Aufzonungen ein bestimmter Anteil an gemeinnützigen oder preisgünstigen Wohnungen vorgesehen wird. Auch ein Vorkaufsrecht für Gemeinden zugunsten des gemeinnützigen Wohnungsbaus wäre sinnvoll. Das wünschen sich auch die Städte, die ja am meisten von der Wohnungsnot betroffen sind. Daneben braucht es auch finanzielle Förderung. Wir verlangen, dass die bestehenden Finanzierungshilfen des Bundes ausgebaut werden. Die Darlehen aus dem Fonds de Roulement und die Bürgschaften für die Emissions-
zentrale EGW haben sich seit Jahren bewährt und kosten den Bund nichts!
Dass Handlungsbedarf besteht beim Wohnungsmarkt, hat der Bundesrat erkannt und einen Aktionsplan Wohnungsknappheit erarbeiten lassen. Wird dieser solche Massnahmen enthalten?
Der Aktionsplan ist noch am Enstehen. Ein erster Entwurf wurde im November mit Vertretungen der Bau- und Immobilienbranche diskutiert. Anhand der Reaktionen war klar, dass nicht alles mehrheitsfähig ist. Einig war man sich, dass es Massnahmen für mehr bezahlbaren Wohnraum braucht. Also haben wir schon gewisse Erwartungen.
Welche weiteren Ziele verfolgen Sie in der Wohnungspolitik?
Eine ausreichende Wohnraumversorgung wird wohl eine der wichtigsten Herausforderungen der nächsten Legislatur sein. Wir werden über Massnahmen für mehr preisgünstigen Wohnraum, über Innenentwicklung und die Beschleunigung von Verfahren diskutieren. Diese Dynamik müssen wir nutzen. Hier kommen wir nur weiter, wenn es uns gelingt, die Anliegen des gemeinnützigen Wohnungsbaus aus dem Links-Rechts-Schema zu lösen, denn sie gehen alle Parteien etwas an. Zu diesem Zweck wollen wir unter anderem eine parlamentarische Gruppe «gemeinnütziger Wohnungsbau» gründen.
Was beschäftigt Sie als Präsidentin von Wohnbaugenossenschaften Schweiz ausserdem?
Wir müssen den gesellschaftlichen Nutzen des gemeinnützigen Wohnungsbaus sichtbarer machen. Wir müssen erklären, dass wir viel mehr bieten als preisgünstigen Wohnraum und dass von mehr gemeinnützigem Wohnungsbau die ganze Gesellschaft profitiert. Das heisst aber auch, dass wir unsere Expertinnenrolle in sozialen Themen noch ausbauen müssen. Wohnen im Alter, neue Wohnformen, Wohnangebote für Bevölkerungsgruppen mit besonderen Bedürfnissen oder mit erschwertem Zugang zum Wohnungsmarkt: Diesen Themen müssen wir uns annehmen und beweisen, dass wir hier Lösungen haben.
Auch für Sie als Ständerätin ist es ein besonderes Jahr, 2024 präsidieren Sie den Ständerat. Was haben Sie sich in dieser Funktion vorgenommen?
Je länger ich in Bern politisiere, desto stärker fällt mir auf, wie wenig Gehör die Bedürfnisse der Städte in unserer nationalen Politik finden. Obwohl drei Viertel der Bevölkerung der Schweiz in urbanen Regionen lebt, fehlen den Städten die Kanäle, um auf sich aufmerksam zu machen. Ich will das ländliche Narrativ, das wir in der Schweiz pflegen, mit der Realität der Städte ergänzen. Ich träume von einem «Haus der Städte», das den Sorgen, Wünschen und Verdiensten der Städte mehr Sichtbarkeit verleiht. Was uns mit dem «Haus des Wohnens» vorschwebt, müsste doch auch hier zu schaffen sein.