
Littering ist in vielen Genossenschaftssiedlungen eine Herausforderung
Einfälle gegen Abfälle
Plakatkampagnen, Wettbewerbe und Aufräumerinnen: Im Kampf gegen Littering verfolgen Wohnbaugenossenschaften unterschiedliche Strategien. Etwas haben die Massnahmen gemein: Anstatt mit dem Drohfinger auf Abfallsünder zuzugehen, setzt man auf positive Inputs, Freundlichkeit und Humor.
Von Patrizia Legnini | Bilder: zVg | 2022/01
Wo Menschen sich bewegen und aufhalten, fällt Abfall an. Wird dieser draussen nicht im öffentlichen Mülleimer entsorgt, sondern achtlos weggeworfen oder liegengelassen, ist der Ärger vorprogrammiert. In der Schweiz landen vor allem Lebensmittelverpackungen und Zigaretten auf dem Boden. Ihre Entsorgung kostet das Land pro Jahr rund 200 Millionen Franken, wie einer Studie des Bundesamts für Umwelt zu entnehmen ist. 150 Millionen Franken entfallen dabei auf die Gemeinden, 50 auf den öffentlichen Verkehr. Welche Kosten in Wohnsiedlungen zusätzlich anfallen, ist nicht bekannt. Aber viele Wohnbaugenossenschaften sind ebenfalls von Littering betroffen. Um ihre Überbauungen sauber zu halten, gehen sie unterschiedliche Wege.
Auch bei der Familienheim-Genossenschaft Zürich (FGZ) kennt man das Problem. «Tagtäglich lagen auf den Spielplätzen und an anderen Orten mit Sitzgelegenheiten zahlreiche Getränkedosen, PET-Flaschen und andere Abfälle herum. Nach schönen Sommertagen und -nächten war es besonders schlimm», sagt Carla Coester, Bereichsleiterin Soziales und Genossenschaftskultur. Der Abfall verminderte an diesen Orten im Friesenbergquartier nicht nur die Aufenthaltsqualität, sondern führte auch zu einem Mehraufwand bei der Reinigung. Um das Problem in den Griff zu bekommen, scheute die Genossenschaft in den letzten Jahren weder Aufwand noch Kosten.

Mit zwei Plakatkampagnen animierte die Familienheim-Genossenschaft Zürich zum korrekten Entsorgen von Abfällen – und hatte damit Erfolg. Bei der zweiten Kampagne hielten Mitglieder des Jugendbeirats den Kopf hin für kunstvolle «Abfallfrisuren».

Workshops organisiert
Zusammen mit dem Quartier Saatlen hat Friesenberg den höchsten Anteil an Jugendlichen in der Stadt Zürich. Anwohnerinnen und Passanten liessen sich gelegentlich durch das laute Auftreten der Jungen einschüchtern, sie beschwerten sich bei der Verwaltung generell über Lärm und über herumliegenden Abfall. Als sich die Meldungen häuften, liess Coester zusätzliche Mülleimer installieren. Darüber hinaus lancierte die FGZ auf den Sommer 2020 unter dem Motto «De Frieseberg blibt suber» die erste von zwei aufwändigen Anti-Littering-Kampagnen. Sie beauftragte dafür eine Werbeagentur. Mit auffälligen Plakaten, die Take-Away-Behältnisse und Getränkedosen mit knalligen Sprechblasen zeigen und an fünfzehn Littering-Hotspots aufgestellt wurden, sind Jugendliche und Erwachsene angesprochen und zum korrekten Entsorgen ihrer Abfälle animiert worden.
Um das gegenseitige Verständnis zu fördern und gemeinsam eine Verbesserung zu erzielen, organisierte Coester mit Jugend- und Sozialarbeitern ausserdem zwei Workshops, an denen je knapp zwanzig Personen teilnahmen. «Im einen ging es darum, den älteren Leuten aufzuzeigen, dass sie auch selbst den Dialog mit den Jugendlichen suchen dürfen, ohne dass es zu einer Konfrontation kommen muss», sagt Coester. Im anderen diskutierten Erwachsene und Jugendliche darüber, wie eine gemeinsame Nutzung des Aussenraums klappen kann, ohne dass sich die einen von den anderen gestört fühlen. Beide Workshops wertet Coester aufgrund der guten Rückmeldungen als Erfolg, genauso wie die Plakatkampagne. Tatsächlich entschärfte sich das Littering-Problem in den darauffolgenden Monaten erheblich. Die FGZ blieb dennoch am Thema dran.

Um die Hausordnung bekannt zu machen, schenkt die Zürcher Baugenossenschaft Schönheim neuen Bewohnerinnen und Bewohnern jeweils ein Quartett mit Fotos von Playmobilfiguren.
Fotoshooting fürs Plakat
Auch bei der zweiten Kampagne wollte man nicht mit dem Drohfinger auf die Jungen zeigen, sondern setzte auf spannende Eyecatcher. Im Frühling 2021 standen zwei Mitglieder des Jugendbeirats für neue Plakatsujets Modell. Für das Fotoshooting bekamen sie von den Maskenbildnern kunstvoll zusammengeklebte Frisuren respektive Irokesenschnitte aus Abfall auf den Kopf gesetzt. «Müll entsorgen ist keine Kunst», lautete der Slogan auf dem Plakat. Darüber hinaus versahen die Verantwortlichen die Mülleimer in den Siedlungen mit speziellen Aufklebern und stellten mobile «Kundenstopper» auf – Werbetafeln, an denen eine Abfallzange und Abfallsäcke hingen. Mit einem Wettbewerb wurden die Bewohnerinnen und Bewohner animiert, im Quartier Abfall zu sammeln und ein Beweisfoto an die Verwaltung zu schicken. «Wir wollten mit der Aktion einen humorvollen, lustvollen Input setzen», sagt Coester. Etwa vierzig Fotos sind eingegangen. Zwar hätte sie sich eine höhere Teilnehmerzahl gewünscht. Aber die Rückmeldungen seien positiv gewesen. Coester ist überzeugt davon, dass auch die zweite Kampagne im Friesenberg Wirkung gezeigt hat. «Die Situation ist viel besser geworden», sagt sie. 42 000 Franken hat die Kampagne insgesamt gekostet, ihr eigener zeitlicher Aufwand nicht eingerechnet.
Auch Roland Lang, Fachbereichsleiter Gartenunterhalt bei der Allgemeinen Baugenossenschaft Luzern (ABL), ist bei seiner Arbeit mit Littering konfrontiert – überall dort, wo es Sitzgelegenheiten gibt, aber auch rund um die Parkplätze. Abgesehen davon ist in den Siedlungen der ABL auch Sperrgut, das nicht ordnungsgemäss entsorgt wird, eine Herausforderung: «Oft stellen die Leute alte Pfannen, Möbel und Elektroschrott ohne Sperrgutkleber an die Strasse oder werfen alles in einen Container», sagt er.
Kommunikation und «Hilfsgärtner»
Um dem entgegenzuwirken, setzt man in Luzern seit etwa dreissig Jahren auf sogenannte Hilfsgärtner. Das sind gewöhnliche Mieter, die in der Freizeit bei den Containern zum Rechten schauen, Abfall auflesen, Plastiksäcke aus dem Kompost fischen und bei Problemen direkt auf Bewohnerinnen und Bewohner zugehen. Die 46 Hilfsgärtner können das Littering-Problem zwar nicht aus der Welt schaffen. Aber die Genossenschaft hat gute Erfahrungen mit ihnen gemacht. Darüber hinaus setzt man bei der ABL stark auf Kommunikation und Information. «Wir versuchen, solche Themen auf allen möglichen Kanälen aufzugreifen, etwa bei der Wohnungsübergabe, im Magazin, das jeden Monat erscheint, oder auch in speziellen Briefen an die Liegenschaften.»
Auf eine ähnliche Weise geht man bei der Baugenossenschaft Glattal Zürich (BGZ) mit dem Problem um. Vor allem in den städtischen BGZ-Siedlungen hat Littering in den letzten Jahren «tendenziell zugenommen», erklärt Geschäftsführer Michael Gross. Nicht selten seien es Auswärtige, die keinen Bezug zum Quartier hätten und ihren Müll im Vorbeigehen fallen oder auf einem Bänkli liegen lassen. «In diesem Fall nützt halt auch die Sensibilisierung wenig. Wir haben einiges probiert, mussten aber merken, dass wir das Thema nicht loswerden. Ganz egal, was wir dagegen unternehmen», so Gross. Um die Siedlungen dennoch sauber zu halten, stellt die BGZ seit vielen Jahren «Greencleanerinnen» an. Die aktuelle ist seit acht Jahren im Amt und dreht im 80-Prozent-Pensum in den BGZ-Siedlungen in Zürich ihre Runden.
Pro Woche füllt sie rund dreissig 110-Liter-Säcke mit Zigarettenstummeln, PET-Flaschen, Aludosen und Kuriositäten. Den meisten Abfall findet sie im urbanen Schwamendingen. Insgesamt 60 000 Franken gibt die Genossenschaft pro Jahr für das Sauberhalten ihrer Siedlungen aus. «Dank der Greencleanerin gibt es kaum noch Reklamationen. Für uns ist das im Moment die einzige gute Lösung», sagt Gross.

In den Siedlungen der Allgemeinen Baugenossenschaft Luzern (ABL) wird Sperrgut oft nicht korrekt entsorgt. Darum schauen 46 «Hilfsgärtner» bei den Abfall-Hotspots zum Rechten.
Quartett mit Playmobilfiguren
Dafür zu sorgen, dass die Regeln von allen eingehalten werden: Das ist in vielen Genossenschaften eine Herausforderung. Zwar ist Littering bei der Baugenossenschaft Schönheim in Zürich kein sehr grosses Thema, wie die Kommunikationsverantwortliche Janine Lüdi sagt. Aber man habe in einigen Siedlungen auch schon «Fötzeltage» durchgeführt, an denen Bewohnerinnen und Bewohner draussen zusammen Abfall sammeln – zuletzt in Kloten. Auch bei der Schönheim hat man gute Erfahrungen mit einer wohlwollenden, lösungsorientierten Kommunikation mit den Mietern und einer ansprechenden Kampagne gemacht.
Um die Hausordnung unter den neuen Bewohnerinnen und Bewohnern bekannt zu machen, bekommen diese am ersten Mietergespräch ein Quartett mit Fotos von Playmobilfiguren geschenkt. Zentral ist der Hauswart Köbi, der die anderen Figuren auf die kleinen Probleme im Wohnalltag aufmerksam macht und ihnen Tipps gibt für unterschiedliche Situationen. Dass Abfall in Gebührensäcken verpackt und in die offiziellen Container geworfen werden muss, wird etwa auf einer Karte der Kategorie «Energie und Umwelt» erwähnt. «Das wirkt ganz anders, als wenn man ein A4-Blatt in die Hand gedrückt bekommt, auf dem geschrieben steht, was man darf und was nicht», sagt Lüdi.
Immer neue Inputs
Vor etwa acht Jahren hatte die Genossenschaft eine Werbeagentur damit beauftragt, das recht undankbare Thema charmanter zu verpacken und spielerisch aufzugleisen, ohne damit negative Gefühle bei der Bewohnerschaft auszulösen. In der Folge entwickelte die Agentur eine Bildsprache, die im Stil einer Instagram-Ästhetik arbeitet und mit den Playmobilfiguren auf ein Spielzeug setzt, das bei Kindern und Erwachsenen ein positives Image geniesst. Auch in den Innenräumen der Überbauungen schreiben die Hauswarte ihre Anliegen seither auf Post-its, die mit denselben Bildern aufwarten.
Im Friesenberg in Zürich sind für dieses Jahr keine weiteren Aktionen gegen Littering geplant. Für Carla Coester von der FGZ ist aber klar, dass das Problem nicht aus der Welt geschafft ist. Es sei richtig und wichtig, dass eine Genossenschaft das Thema aufnehme. Aber man könne es nicht allein stemmen. «Wir sind darauf angewiesen, dass die Sensibilisierungsarbeit an verschiedenen Orten stattfindet.» Man müsse realistisch bleiben, was die Nachhaltigkeit solcher Aktionen anbelangt. «Sie sind keine Selbstläufer, wirken nur eine gewisse Zeit lang. Weil vieles wieder vergessen geht und immer neue Jugendliche nachrücken, sind ständig neue Inputs gefragt.» Wenn Coester darüber hinaus etwas gelernt hat, dann das: Dass eine gewisse Vielfalt bei den Massnahmen sinnvoll ist. Und dass Humor und Verständnis füreinander zielführender sind als ein gehässiger Ton.