Baugenossenschaft «Mehr als wohnen» stellt ihre Überbauung Hobelwerk-Areal in Oberwinterthur fertig

Gebrauchte Teile, neues Leben

Bei der zweiten Bauetappe des Hobelwerks in Winterthur stand die CO₂-arme Erstellung im Fokus. Die Zürcher Baugenossenschaft «Mehr als wohnen» setzte dabei auf Holzbau und die Wiederverwendung von Bauteilen. Das Pionierprojekt zeigt, dass Re-Use-Wohn­häuser bezahlbar und architektonisch überzeugend realisierbar sind. Noch grössere Hebel zur CO₂-Reduktion liegen aber anderswo.

Von Liza Papazoglou | Bilder: Peter Tillessen, Pascal Flammer, Michele Limina, Wohnen, zVg | 2024/04

Viele Eindrücke, viele Eigenwilligkeiten: Spaziert man zur Wohnüberbauung «Hobelwerk Areal» vom gleichnamigen Quartierweg her, wird man empfangen von einem aussergewöhnlichen, dicht gesetzten Gebäudeensemble. Auf der linken Seite ein fünfstöckiges Wohnhaus mit olivgrüner Holzfassade, rechts ein weisser Wohnturm mit rosa Rhomben und dazwischen der Hobelwerkplatz, den eine Dachkonstruktion überspannt. Er grenzt an die Back­steinwände der alten Hobelwerkhalle. Macht man ein paar Schritte, lugen dahinter die geschwungenen Balkone des «Re-Use-Hau­ses» und eine erst spärlich bewachsene Grünfläche hervor. Durchquert man den überdachten Platz, sieht man vor sich einen alles überragenden Kamin sowie zwei langgestreck­-
te Gebäuderiegel. Sie bilden den südseitigen Abschluss des Areals, das sich hinter dem Bahn­hof Oberwinterthur entlang der Gleise befindet, und schirmen es vom Bahnlärm ab.
Die Vielfalt der Gebäude spiegelt einerseits die Geschichte des 15 000 Quadratmeter grossen Areals. Wo noch bis 2017 Holz verarbeitet wurde, bilden heute die zentrale Hobelwerkhalle und der Platz davor das Herzstück eines neuen Genossenschaftsquartiers mit fünf Wohn­häusern (siehe Box). Anderseits entspricht die Vielfalt dem Konzept der Zürcher Baugenossenschaft «Mehr als wohnen», die sich Innovation auf die Fahne geschrieben hat und in vielen Bereichen Neues ausprobiert. Die von anderen Genossenschaften 2007 als Innovations- und Lernplattform gegründete Baugenossenschaft möchte besonders nachhaltige Le­bensorte zum Wohnen und Arbeiten schaffen. Mit ihrer zweiten Überbauung verfolgt sie denn auch wie schon beim 2014/15 in Zürich bezogenen «Hunziker Areal» ambitionierte Ziele. Dabei werden verschiedene Nachhaltigkeitsfragen bearbeitet und im Projekt «Skalierbare Lösungen auf dem Weg zu netto Null» evaluiert, das auch vom Bund unterstützt wird.

Das Hobelwerk-Areal ist dicht bebaut. Haus A und B wurden in einer ersten Etappe erstellt, die Häuser C, D und E bis Ende 2023 bezogen. 

CO₂-arme Erstellung im Fokus
Das Hobelwerk-Areal wurde in zwei Etappen erstellt. Die erste umfasste die Häuser A und B mit insgesamt 76 Wohnungen, die 2021 bezogen wurden. Dabei lag das Augenmerk vor allem auf einer klimagerechten Architektur. Mittlerweile ist auch die zweite Etappe mit den Häusern C, D und E und total 73 Wohnungen sowie acht Wohnateliers fertiggestellt. Seit Ende 2023 leben auf dem Areal somit insgesamt etwa 400 Menschen in ganz unterschiedlichen Wohnformen. Sie profitieren von diversen Gemeinschaftsflächen und Gewerbeangeboten, darunter zwei Dachterrassen, eine Sauna, Bastel- und Gemeinschaftsräume, ein Kindergarten, ein Yogastudio, ein Food-Container und bald auch eine Bäckerei. Der überdachte Hobelwerkplatz und die ehemalige Hobelwerkhalle dienen als zentraler Treffpunkt sowie Veranstaltungsort. Zu diesem Zweck wurden sie erhalten und sanft saniert, obwohl sie nicht unter Denkmalschutz stehen.
Bis über die Landesgrenzen von sich reden macht das Hobelwerk vor allem wegen dem baulichen Fokus der zweiten Bauetappe: eine möglichst CO₂-arme Erstellung der Gebäude. In einem Pionierprojekt hat «Mehr als wohnen» mit dem Wohnhaus D ausgelotet, welche Chancen «Re-Use» – die Wiederverwendung von Bauteilen – birgt. Dabei ging es um ökologische Aspekte, aber auch um Fragen der architektonischen Gestaltung und die Auswirkungen auf Planungs- und Bauprozesse – immer unter der Prämisse, ein enges Budget einzuhalten und bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Bei einem weiteren Gebäude, Haus C, lag der Schwerpunkt bei Optimierungsmöglichkeiten im Holzbau. Die Erkenntnisse zu beiden Themen sollen in einem detaillierten Bericht im Sommer veröffentlicht werden. Aus Kostengründen ist der Wohnturm Haus E konventionell ausgeführt. Ein weiteres Anliegen der zweiten Hobelwerketappe war im Übrigen die Weiterentwicklung neuer Wohnformen.

Haus D ist ein Holzgebäude, in dem auch Re-Use-Teile verbaut wurden. Wiederverwendete und neue Fenster wurden teilweise kombiniert. Im Haus werden Cluster- und überhohe Atelierwohnungen angeboten.

Haus D: Holzbau mit Re-Use 

Ein eigener Charakter haftet dem vierstöckigen Gebäude mit seinen geschwungenen Balkonen schon an. Ins Auge fällt etwa der Fassadenbereich aus Aluminiumblech mit diagonalen Wellen. Auf die Idee, dass es sich beim Haus D um einen Holzbau mit vielen Re-Use-Teilen handelt, kommt auf den ersten Blick aber wohl niemand. Man muss schon sehr genau hinschauen, um Hinweise darauf zu entdecken: etwa die unterschiedlichen, teilweise direkt nebeneinander eingebauten Fenster, die aus verschiedenen Quel­len stammen, oder die ungleichen Brüstungsgitter bei den Balkonen – einige davon dienten ursprünglich in einem provisorischen Polizeigefängnis als Bettroste. Claudia Thiesen, die das Projekt als Vorstandsmitglied in der Baukommission seit den Anfängen begleitet hatte, gefällt diese Ästhetik. «Ich war ehrlich gesagt positiv überrascht. Es war ja nicht absehbar, wie so ein Haus wirkt und sich anfühlt. Dass nicht alles stromlinienförmig und perfekt daherkommt, macht es interessanter und sympathisch.»

Zu weiteren wiederverwendeten Elementen zählen zahlreiche Türen, Spiegelschränke oder Holzroste. Zum Einsatz kamen zudem im Sanitärbereich Bauteile wie Waschtische, Handtuchhalter und ein Dusch-WC, die in einer Altersresidenz eingebaut, aber gar nie benutzt worden waren. Auch Restposten erwiesen sich als geeignete Quelle, sagt Thiesen: «Aus Restposten stammen die keramischen Wand- und Bodenplatten der Nasszellen. Bauherrin und Architekt:innen müssen in solchen Fällen allerdings akzeptieren, dass nicht ihre Wunschfarbe und nicht in jeder Wohnung die gleiche Farbe verwendet wird.»

Hohe Flexibilität und neue Prozesse
Überhaupt bedingt das Bauen mit Re-Use eine hohe Flexibilität. Gewünschte Teile sind nicht, nur kurzfristig oder zum falschen Zeitpunkt verfügbar, sie entsprechen nicht den ästhetischen Vorstellungen der Planenden oder bergen trotz Prüfungen Überraschungen, die bautechnische oder finanzielle Folgen mit sich bringen können. Die granitenen Fassadenplatten etwa, die «Mehr als wohnen» von einem Abbruchgebäude einer Bank sichern konnte, waren bei der Prüfung leicht zu entfernen, entpuppten sich dann aber grösstenteils als stark verleimt, wie Thiesen erklärt. So konnte nur ein Teil von ihnen verwendet werden. Bei einigen Türen stimmten die Masse nicht überall überein mit dem geprüften Muster, was aufwändige Bearbeitungen nach sich zog. Und bei 76 Forster-Küchen, die die Genossenschaft eigentlich übernehmen wollte, dauerte die Prüfung so lange, dass eine andere Bauträgerin ihr zuvorkam. Chancen bieten dafür Fundstücke vor Ort. So verkleidet etwa im alten Hobelwerk gelagertes und dort gelassenes Tropenholz heute die Sauna, Träger von abgebrochenen Indus­triebauten des Areals bilden zusammen mit Holzplatten von einem provisorischen Bahnhofsbau aus Winterthur die Theke in der Eventhalle, und aus zwei alten Hobelwerkwaggons haben Bewohnende in mehreren Workshops kleine Baukunstwerke geschaffen und auf einem alten Gleisstück aufgestellt.
Beim Re-Use-Bauen müssen gängige Prozesse bereits ab Planung hinterfragt, die Rollen zwischen Architekturbüros, Bauherrschaften und Unternehmen neu definiert und vieles rollend ausgehandelt werden. Das ist für alle Beteiligten eine Herausforderung und sorgte bisweilen auch beim Hobelwerk Areal für rauchende Köpfe, erinnert sich Thiesen. Um dennoch mit dem engen Kosten- und Zeitbudget durchzukommen, setzte «Mehr als wohnen» auf eine «Fachplanung Re-Use» und schlanke Entscheidungswege: «Unser Ziel war, dass die Kosten mit Re-use – gerechnet über alle Gewerke – nicht teurer sein sollten als bei einem konven­tionellen Bau. Um uns nicht zu verzetteln, haben wir zusammen mit dem Baubüro In Situ einen Katalog mit zehn Re-Use-Bauteilen erstellt, auf die wir uns beschränkt haben.» Entscheide mussten zum Teil rasch gefällt werden. Fanden die Bauteiljäger etwas Passendes, das auch auf Zustimmung des Architekturbüros stiess, lag die finale Entscheidungskompetenz bei den Bauherrenvertreterinnen, Vorstandsmitglied Claudia Thiesen und Nadine Koppa, die die gesamte Areal- und Projektentwicklung für Topik Partner seit 2017 begleitet hatte.

Neu und alt ergänzen sich im Hobelwerk selbstver-ständlich: Oben die Treppe im Re-Use-Haus (D), in der Mitte ein Re-Use-Geländer, das ursprünglich als Bettrost in einem Gefängnis diente. Die Aluminium-Wellblechfassade auf dem Bild unten stammt von der Coop Grüze.

Kosten- und Reduktionsziele erreicht
Die Re-Use-Teile für Haus D erhielt die Genossenschaft grösstenteils kostenlos. Günstig ist ein solcher Bau dennoch nicht. Denn die Aufwände und Ausgaben für Prüfung, Logistik, Ausbau, Transport, Lagerung, Aufbereitung und Einbau sind nicht zu unterschätzen. Teils erheben zudem Unternehmen, die es nicht gewohnt sind, mit nicht normierten Bauteilen zu arbeiten, zur Absicherung Risikozuschläge. Die Kostenauswertungen laufen noch; wie es aussieht, konnte das vorgegebene Budget aber eingehalten werden. Dabei half auch, dass bei der ersten Bauetappe etwas weniger als geplant ausgegeben worden war und deshalb Reserven zur Verfügung standen.
Insgesamt hat sich bestätigt, dass Re-Use-Bau­teile kostenneutral und ohne Terminverzögerungen in der Erstellung einsetzbar sind. Als Faustregel sei davon auszugehen, dass hochmontierte fertige Bauteile wie Fenster bezüglich Kosten- und CO₂-Bilanz tendenziell besser geeignet sind als flächige Bauteile, wo sich der finanzielle Mehraufwand oft weniger lohne, sagt Martin Ménard. Er begleitet das Bauprojekt im Rahmen der Begleitforschung im Auftrag von «Mehr als wohnen» seit Planungsbeginn.
Bezüglich CO₂-Optimierung schneidet Haus D als Holzbau besser ab als ein typischer Neubau. Weil aufs gesamte Bauvolumen der Anteil der Re-Use-Teile letztlich aber bescheiden ist, sind diese nur für etwa drei Prozent der CO₂-Einsparungen verantwortlich. Am meisten gebracht hat bei Haus D der Verzicht auf Betondecken und vor allem auf ein Untergeschoss.
Die grössten Herausforderungen bei Re-Use sieht Nadine Koppa aktuell bei der Prüfung und Erfüllung der Baunormen sowie den rechtlichen Anforderungen – noch sind viele Fragen rund um Garantie, Haftung oder Bewilligungen offen. «Die Bauherrschaft muss damit umgehen, dass für Einzelteile die Normen, etwa bei den Dämmwerten oder Fenstern, nicht eingehalten werden.» Ausserdem seien Lager und Transport zu teuer und zu kompliziert, und es fehle immer noch an einer zentralen Datenbank für Bauteile mit standardisierten Daten.

Andere Hebel nicht vernachlässigen
Claudia Thiesen, die auch Re-Use-Projekte anderer Genossenschaften begleitet, ist die Diskussion um die Wiederverwendung wichtig. «Es geht auch darum, zu zeigen, dass Werte vor­handen sind und Bauteile eine Geschichte haben. Wie wollen wir mit Baukultur und Ressourcen umgehen?» Um Re-Use-Potenziale gut zu nutzen, müssten aber Ziele und Schwerpunkte festgelegt werden, bevor man mit der Planung starte. «Mehr als wohnen» hatte beim Hobelwerk diesbezüglich wenig Spielraum, weil es ein bereits weit geplantes Projekt übernommen hatte.
Wichtig ist Thiesen aber auch, dass trotz aktuell grossem Interesse für Re-Use, das attraktive Geschichten liefere, andere Hebel nicht vergessen gehen. Diese fallen bei der Emissionsthematik letztlich mehr ins Gewicht: «Beim Netto-Null-Ziel ist die Flächeneffizienz ausschlaggebend. Ein sehr grosses Einsparpotenzial steckt zudem im Verzicht auf Untergeschosse und Tiefgaragen. Das geht oft vergessen oder wird aus anderen Gründen nicht an­ge­tastet.» Ebenso sieht sie viel Potenzial in bautechnischen Fragen, zum Beispiel intelligenten Tragstrukturen und Schachtsystemen. Trotz dieser Relativierungen findet Thiesen es richtig, dass «Mehr als wohnen» das Re-Use-Haus gebaut und so wertvolle Erkenntnisse gewonnen hat; die Berichte darüber sind öffentlich zugänglich. Untergebracht sind im Gebäude neben sechs zusammenschaltbaren Clusterwohnungen acht überhohe Wohnateliers, die vor allem an Kulturschaffende vermietet wurden.

Die 72 vorgefertigten Module des Holzbaus C wurden innert vier Tagen vor Ort montiert, danach erfolgten Innenausbau und Anbau des Erschliessungsteils mit Laubengängen. ­Erprobt wird hier «Micro-Co-Living» mit Kleineinheiten und Gemeinschaftsflächen.

Haus C: das Holzhaus

Eine blassgrüne Welleternitfassade, Stahlträger, industriell anmutende Laubengänge: Dem acht­geschossigen Holzmodulbau entlang der Gleise sieht man nicht an, woraus er zur Hauptsache besteht: Holz aus der Schweiz. Die 72 Module wurden im Werk vorgefertigt und in lediglich vier Arbeitstagen vor Ort montiert, danach erfolgten der Innenausbau und Aussenarbeiten an Fassade und Erschliessungsteil. Um den CO₂-Verbrauch bei der Erstellung von Haus C möglichst tief zu halten, wurde im Wesentlichen an zwei Stellschrauben angesetzt: beim Bestellprozess und beim Materialeinsatz.

Prozesse und Materialeinsatz wichtig
«Der Bau wurde so ausgeschrieben, dass die Holzbauunternehmen neben dem Preis auch die Mengen und Herkunft der eingesetzten Materialien angeben mussten. Unseres Wissens wird dies sonst kaum je eingefordert», sagt Ménard. Mit diesen Angaben hat die Genossenschaft eine Matrix erstellt, dank derer sich Kosten und Treibhausgasemissionen direkt gegenüberstellen liessen. Fünf Offerten hat die Genossenschaft auf die Ausschreibung erhalten, wobei zu ihrer Überraschung die teuersten auch die CO₂-intensivsten waren. Mit der ausgewählten Holzbaufirma Baltensperger hat «Mehr als wohnen» dann die Ausführungsdetails kooperativ weiterentwickelt. Dies ist ebenfalls unüblich, denn normalerweise definieren die Architekt:innen das Projekt und Unternehmen liefern ihre Standardlösung dazu.
Bei der CO₂-Bilanz des Holzes spielt einerseits der Transportweg eine wichtige Rolle. Gemäss Lemon Consult könnten allein durch die Verwendung lokalen Holzes dreissig Prozent Treibhausgase gegenüber importiertem Material eingespart werden. So setzte man im Haus C bei den Massivholzdecken aus Fichte und Tanne auf lokale Lieferanten, das Sägewerk liegt etwa zwanzig Kilometer vom Areal entfernt. Etwas weiter transportiert wurden Dreischicht- und Vollholzplatten, die bei den Wänden zum Einsatz kamen. Anderseits sind die verwendeten Mengen massgebend. Wo immer möglich, wurde bei Haus C deshalb abgespeckt und man hat Schichten weggelassen. Konstruktion und Aufbauten wurden auf das Minimum reduziert, auf unnötige Verkleidungen etwa der Decken sowie Veredelungen hat man verzichtet, Oberflächen sind roh belassen oder nur gestrichen. Gedämmt wurde mit Holzfasern und Mineralwolle. Optimiert wurde auch der Bodenaufbau: Dank eines Wechsels vom ursprünglich vorgesehenen Anhydrit-Unterlagsboden auf ein dün­neres und leichteres System mit einer Noppenplatte wurden acht Prozent CO₂ eingespart.

Der Aussenbereich soll gemäss den Prinzipien der Schwammstadt noch viel grüner werden. Die Hobelwerkhalle und der ­Hobelwerkplatz blieben erhalten und können als Treffpunkte und für Veranstaltungen genutzt werden.

Durchzogene Bilanz
Die Genossenschaft hat sich beim Haus C einen sehr ambitionierten Zielwert von 5 Kilogramm CO₂-Äquivalenz pro Quadratmeter (CO₂-eq/m²) beheizter Fläche gesetzt. Zum Vergleich: Sehr kompakte Holzbauten erreichen heute bei der Erstellung Bestwerte um 6 bis 7 CO₂-eq/m². Nach vorläufigem Berechnungsstand und ohne Berücksichtigung der optimierten Holzlieferkette wurde das hochgesteckte Ziel bei Haus C mit 10,6 CO₂-eq/m² jedoch verfehlt.
Dafür sind verschiedene Gründe verantwortlich. Neben dem engen Kostenkorsett, das einen CO₂-armen Massivholzbau von Anfang an ausschloss, steht zuvorderst der relativ hohe Betonanteil des Gebäudes: Untergeschoss und Erschliessungskerne bestehen aus Beton und Stahl, und letztlich mussten – anders als ursprünglich vorgesehen – auch Erd- und erstes Ober­geschoss aus Beton erstellt werden. Das ermöglichte ein kompaktes Volumen und eine hohe Ausnutzung. Kostentechnisch war das von Vorteil, bei der CO₂-Bilanz des gesamten Gebäudes schlug es aber ungünstig zu Buche, wie Thiesen ausführt.
Dennoch hat man wertvolle Erkenntnisse gewonnen. Claudia Thiesen: «Mit Haus C konnten wir aufzeigen, dass CO₂-arme Lieferketten im Holzbau kostenneutral sind, wenn sie frühzeitig eingefordert werden. Überhaupt haben wir unter dem Strich trotz Holzbau ein extrem ambitioniertes Kostenziel erreicht.» Eine weitere wichtige Erkenntnis nennt Ménard: «Ein Ausschreibungs- und Auswahlverfahren mit dem Vergleich von Kosten und Treibhausgasreduktionen ist nicht nur möglich, es verzögert auch keineswegs den Bauprozess.» Zudem seien die Holzmodule langlebiger als für die Berechnungen angenommen und könnten theoretisch dereinst auch wieder rückgebaut und anderweitig verwendet werden.

Micro-Co-Living
Der modulare Holzbau war gut nutzbar für ein weiteres Ziel der Genossenschaft: Wohnformen weiterzuentwickeln. Neben konventionellen Wohnungen in den obersten Geschossen werden nun im dritten bis fünften Stock von Haus C mit «Micro-Co-Living» 24 sehr günstige Kleineinheiten angeboten, die zusammen eine Grossgemeinschaft bilden sollen: 31 Quadratmeter umfassen die zwölf Einzimmerstudios, 46 bis 48 Quadratmeter die zwölf Zweizimmerapartments, die von zwei Personen bewohnt sein müssen. Alle Mieter:innen dieser Kleineinheiten teilen zudem zwei Gemeinschaftsküchen und einen weiteren Gemeinschaftsraum, die über interne Treppen über drei Geschosse miteinander verbunden sind. Bestehende Wohnkollektive sind keine eingezogen, weshalb die Kleinwohnungen einzeln vergeben wurden. Die Mieter:innen sind nun daran, ihre Gemeinschaft aufzubauen, die mit zwei Wohnstiftungen auch Platz hat für unterstützungsbedürftige Menschen.

Baudaten (2. Etappe)

Bauträgerin
Baugenossenschaft «Mehr als wohnen», Zürich
Architektur
Häuser C, E: Ramser Schmid Architekten, Zürich
Haus D: Pascal Flammer Architekten AG, Zürich
Landschaftsarchitektur
Studio Vulkan, Zürich
Baumanagement
Baumanagement-Wild GmbH, Winterthur
Unternehmen (Auswahl)
Topik Partner AG, Zürich (Bauherren­vertretung)
Baubüro In Situ, Zürich (Re-Use)
Baltensperger AG, Zürich (Holzbau)

Umfang
3 MFH, 73 Wohnungen, 8 Atelierwohnungen, 1 Gästewohnung, 2 Gäste­zimmer,
4 Schaltzimmer, 1 Allmendraum, Mobilitätsstation, 243 Veloabstell- und 15 Auto­parkplätze
Baukosten (BKP 1-5)
beide Etappen, ohne Landkosten:
77,1 Mio. CHF total
bzw. 74,3 Mio. CHF (ohne Parkierung)
3700 CHF/m² HNF (erste Etappe)
4200 CHF/m² HNF (zweite Etappe)
Mietzinsbeispiele (ohne NK)
Micro-Co-Living, 1-Zimmer-Apartement, 31 m²:
480 – 780 CHF
2- bis 2 ½-Zimmer-Wohnung, 47–58 m²:
1160 –1440 CHF
4½-Zimmer-Wohnung, 93-96 m²:
1760 –1960 CHF
Anteilkapital pro m²: 250 CHF

Vom Industrie- zum Genossenschaftsareal

Auf dem Hobelwerk-Areal hatte das Holzverarbeitungsunternehmen Kälin AG von Ende des 19. Jahrhunderts bis 2017 seine Produktionsstätten. Als es seinen Standort verlegte, verkaufte es das Gelände an ein Entwicklungsunternehmen. Dieses liess eine Testplanung durchführen, die fünf Parzellen für Neubauten vorsah. Auf dieser Grundlage wurde 2018 ein privater Gestaltungsplan bewilligt. Die Eigentümerin wollte die Gebäude selbst entwickeln und im Stockwerkeigentum oder als Renditeobjekt verkaufen; nur ein Gebäude sollte an eine Genossenschaft gehen. Die Baugenossenschaft «Mehr als wohnen» konnte aber schliesslich 2019 das ganze Areal zum damaligen Marktpreis von 30,9 Millionen Franken kaufen. Durch den Gestaltungsplan waren Eckwerte wie Gebäudeplatzierungen und -volumina vorgegeben. Für die erste Bauetappe (Häuser A, B) hat «Mehr als wohnen» die bestehende Planung übernommen und nur Wohnungsgrössen und Gemeinschaftsflächen optimiert. Bei der zweiten Etappe (Häuser C, D, E) gab es etwas mehr Spielraum, so dass Holz- statt Massivbauten (Häuser C, D), Re-Use (Haus D) und neue Wohnformen eingeplant werden konnten. Partizipative Teilhabe und gemeinschaftsfördernde Initiativen werden unterstützt.

A propos Nachhaltigkeit

Das Hobelwerk ist eine autoarme Über­bauung. Die in den Gebäuden verbauten Materialien sind baubiologisch unbedenklich und erfüllen die Vorgaben nach Minergie-Eco. Die Gebäudetechnik ist einfach, aber intelligent (selbstlernend), das Lüftungssystem mit Aussenluftdurchlässen in den Fenstern und Abluft im Bad wird energiearm betrieben. Grosse PV-Anlagen auf den Dächern versorgen die Haushalte mit Solarstrom, der über eine Eigenverbrauchsgemeinschaft (ZEV) bezogen wird. Warmwasser und Heizwärme werden von bivalenten Luft-Wasser-Wärmepumpen erzeugt, Spitzen und Ausfälle deckt eine Holzpelletheizung ab. Das Areal wurde nach den Prinzipien der Schwammstadt geplant: Regenwasser wird vor Ort gespeichert, viele Flächen sind sickerfähig und unversiegelt, und Grün an und um die Gebäude soll für ein angenehmes Klima sorgen.