Myriam Vorburger,
Rechtsanwältin
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Auskunfts- und Einsichtsbegehren von Genossenschafterinnen und Genossenschaftern verunsichern. Vorstände befürchten, mit einer Auskunft Geschäftsgeheimnisse zu verletzen oder gegen das Datenschutzgesetz zu verstossen. Die Mitglieder wiederum sind irritiert, wenn Sachverhalte nicht offengelegt werden. Wie können Vorstände die Gratwanderung zwischen Geheimhaltung und Offenlegung schaffen?
Dezember 2020
Die Kontroll- und Auskunftsrechte der Mitglieder sind in Art. 856 f. OR geregelt. Diese Rechte werden durch die Teilnahme an der Generalversammlung (oder Urabstimmung) ausgeübt. Damit besteht ausserhalb der Generalversammlung keine Pflicht des Vorstands, die Generalversammlung oder einzelne Mitglieder zu informieren. Das Auskunftsrecht eines Mitglieds beschränkt sich darauf, dass Mitglieder die Revisionsstelle auf zweifelhafte Ansätze aufmerksam machen und die erforderlichen Aufschlüsse verlangt werden können.1
Die Auskunftspflicht ist allerdings nicht auf die Jahresrechnung oder den Jahresbericht beschränkt. Wenn der funktionale Zusammenhang gegeben ist, können auch Fragen betreffend Organisation, Unternehmensstrategie und dergleichen zulässig sein. Das Recht auf Auskunft ist hingegen nicht schrankenlos. Geschäftsgeheimnisse oder andere schutzwürdige Interessen der Gesellschaft sind einer Auskunft hinderlich. Der Vorstand muss die gegenseitigen Interessen abwägen. Zudem bezieht sich das Auskunftsrecht nur auf erhebliche Sachverhalte, soweit sie für die Mitgliedschaftsrechte erforderlich sind. Diese Schranken können auch durch einen Beschluss der Generalversammlung nicht beseitigt werden.
Einsichtsrecht versus Wahrung der Geschäftsgeheimnisse
Hingegen setzt die Einsichtnahme in die Geschäftsbücher und Korrespondenzen der Genossenschaft formell die ausdrückliche Ermächtigung der Generalversammlung oder einen Beschluss des Vorstands sowie materiell die Wahrung der Geschäftsgeheimnisse voraus. Der Begriff «Geschäftsbücher» wird oft extensiv ausgelegt (zum Beispiel inkl. Mitgliederverzeichnis).2 Die Ablehnung des Auskunfts- oder Einsichtsbegehrens muss vom Vorstand begründet und protokolliert werden (analog Art. 702 Abs. 2 OR).
Im Aktienrecht gibt es die gesetzlich verankerte Möglichkeit, im Fall eines Dilemmas zwischen Informationsrechten von Mitgliedern und ebenso legitimierten Geheimhaltungsinteressen der Genossenschaft einen Sonderprüfer einzusetzen.3 Das Genossenschaftsrecht sieht keine solche Möglichkeit vor. Manche Genossenschaften setzen für einzeln abzuklärende Sachverhalte, manche auch auf Dauer sogenannte Geschäftsprüfungskommissionen ein. Diesen Kommissionen wird nach deren Einsetzung Einsicht in die Bücher und damit in die Geschäftsgeheimnisse gewährt. Trotzdem ist es fraglich, ob diese Gruppe hernach überhaupt in der Lage ist, einen umfassenden Bericht zu erstellen, ohne genau diese Geschäftsgeheimnisse zu verletzen.
Die Treuepflicht des Mitglieds
Wichtig zu erwähnen ist, dass das Mitglied im Gegensatz zum Aktionär einer Treuepflicht unterliegt (Art. 866 OR). Es muss also in Kenntnis der Details in guten Treuen und im Interesse der Genossenschaft handeln. Die Verletzung der Treuepflicht sollte umfassend in den Statuten geregelt sein und vor allem im Zusammenhang mit dem Auskunfts- und Einsichtsrechts einer Geschäftsprüfungskommission thematisiert werden. In den meisten Fällen dürfte es nicht gelingen, einen umfassenden Bericht an die Generalversammlung zu verfassen, ohne Geschäftsgeheimnisse zu verletzen. Es besteht ein schmaler Grat zwischen offener Berichterstattung der Geschäftsprüfungskommission und gleichzeitiger Wahrung der Geschäftsgeheimnisse.
Die Interessen sind nachvollziehbar abzuwägen
Folgende Fragen können helfen, die Interessen zwischen Geheimhaltung und Datenschutz einerseits und dem Auskunfts- und Einsichtsrecht eines Mitglieds abzuwägen und einen Entscheid zu treffen:
Wichtig ist jedoch, dass das Recht der Verweigerung dem Vorstand kein Recht auf Unwahrheit gibt!