Myriam Vonburger,
Rechtsdienst
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Welche Risiken gehen Baugenossenschaften ein, wenn sie Wohnungen an sozialhilfebeziehende Personen vermieten? Wie lassen sich diese Risiken verringern? Diese Fragen beantwortet der vorliegende Text, während es im ersten Teil in WOHNEN 12/2015 um Grundlagen und die Datenschutzproblematik ging.
Baugenossenschaften, die Wohnungen an Bezüger von Sozialhilfe vermieten, müssen folgende Risiken betrachten:
In der Regel wird die Unterstützung des Sozialamts direkt dem Mieter ausbezahlt. Dies einerseits aus datenschutzrechtlichen Gründen1, und andererseits soll die Sozialhilfe empfangende Person ihre laufenden Kosten in Eigenverantwortung bezahlen2, um so ihre Selbständigkeit zu stärken und die soziale Integration zu fördern.3 Es besteht jedoch die Gefahr, dass der Mieter die Gelder zweckentfremdet, sprich nicht für die Begleichung der Wohnungsmietzinse verwendet. Es kommt auch vor, dass die Sozialhilfe aus verschiedenen Gründen plötzlich eingestellt wird. Diese Umstände führen schliesslich zum Zahlungsverzug und oft zu einer ausserordentlichen Kündigung aufgrund von Art. 257d OR. Die offenen Mietzinse müssen in der Regel aufgrund von Uneinbringlichkeit abgeschrieben werden.
Der Mieter ist verpflichtet, die Mietsache sorgfältig zu gebrauchen und auf die Hausbewohner und Nachbarn Rücksicht zu nehmen.4 Die Verletzung dieser Sorgfaltspflichten macht den Mieter – soweit der Vermieter dadurch einen Schaden erleidet – schadenersatzpflichtig.5 Handelt es sich beim Mieter um eine Sozialhilfe beziehende Person, läuft die Genossenschaft Gefahr, dass der Mieter für die von ihm verursachten Schäden nicht aus eigenen Mitteln aufkommen kann. Die Genossenschaft sollte bemüht sein, die Risiken von Mietzinsausfällen sowie von Forderungen im Zusammenhang mit Schäden am Mietobjekt zu minimieren. Dies kann wie folgt erreicht werden:
Die Sozialbehörden sind verpflichtet, den Sozialhilfe beziehenden Personen «bei einem Umzug in eine neue, der Situation angemessene Wohnung eine Sicherheit gemäss Art. 257 e OR (Mietkaution) zu leisten». Diese gehört laut SKOS-Richtlinien, Kapitel B.3, zu den Unterstützungsleistungen im Rahmen der Wohnkosten. Im Hinblick auf eine Vereinfachung der administrativen Abläufe und eine Minimierung des Zahlungsverkehrs sollen, wenn immer möglich, Garantieerklärungen6 anstelle von Mietkautionen ausgestellt werden.7 Wichtig zu wissen ist dabei, dass die Garantieerklärung weiterbesteht, auch wenn die Sozialhilfe eingestellt wird. Bei Genossenschaftswohnungen wird anstelle einer Mietkaution die Übernahme von Anteilscheinen verlangt, um an Haftungskapital zu kommen. Übernimmt die Sozialbehörde keine Anteilscheine, so ist somit zumindest ein Mietzinskonto zu eröffnen oder eine Garantieerklärung zu erwirken. Damit hat die Genossenschaft Haftungskapital in der Höhe von drei Monatsmietzinsen für Schäden und Mietzinsausfälle.
Um allfällige Schäden in der Mietwohnung abzudecken, können sozialhilfebeziehende Mieter dazu verpflichtet werden, eine Mieterhaftpflichtversicherung abzuschliessen. Die Sozialbehörden dürfen solche Versicherungsprämien einer Person in die Sozialhilfeleistung einberechnen.8 Das Problem dabei ist, dass keine Kontrolle darüber besteht, ob die Prämien auch geleistet werden. Die tatsächliche Zahlung der Prämien beziehungsweise die Kontrolle darüber müsste unbedingt geschehen. Allenfalls könnte auch hier eine Direktzahlung der Sozialbehörde an die Haftpflichtversicherung das Problem lösen oder halbjährlich eine Bestätigung des Zahlungseingangs der Versicherung vom Mieter verlangt werden.
Dem Risiko der Zweckentfremdung der Gelder kann dadurch begegnet werden, dass das Sozialamt die Mieten direkt an die Genossenschaft leistet. Dies ist möglich, wenn entweder die Einwilligung des Sozialhilfebezügers vorliegt oder eine gesetzliche Grundlage die Direktüberweisung erlaubt.9 Politisch ist die Tendenz erkennbar, dass Direktzahlungen bei den Mietzinsen – so wie bei den Krankenkassenprämien bereits üblich – die Regel werden.10 Es empfiehlt sich in den meisten Fällen für eine Genossenschaft, Direktzahlungen als Bedingung für den Abschluss des Mietvertrags zu machen. Man muss jedoch bedenken, dass das Sozialamt die Unterstützung jederzeit einstellen kann. Da zwischen dem Sozialamt und der Genossenschaft in der Regel kein Rechtsverhältnis besteht und meistens auch kein Kontakt, wird das Sozialamt die Genossenschaft über die Einstellung nicht informieren. Das Risiko des Mietzinsausfalls wird konkret. Der Mieter seinerseits verliert eine kostengünstige Wohnung, und seine Chancen auf eine andere Wohnung sinken drastisch. Um dieses Risiko von Mietzinsausständen bei Direktzahlungen weiter zu minimieren, könnte mit dem Sozialamt und dem Mieter eine Vereinbarung getroffen werden, dass das Sozialamt bei Einstellung der Gelder die Genossenschaft in Kenntnis setzt, so dass sofort reagiert werden könnte.
Grundsätzlich werden durch die Sozialhilfebehörden keine Schulden der unterstützungsbedürftigen Person bezahlt. Dies ist nachvollziehbar. Wenn ein Mieter die Barbeträge anstatt für die laufenden Rechnungen und Mietzinse für anderweitige Bedürfnisse ausgibt, kann er danach nicht verlangen, dass die aufgelaufenen Mietzinse durch das Sozialamt übernommen werden sollen. Das Bundesgericht hat diese Ansicht bestätigt. Ein Mieter würde auch im Falle einer Ausweisung nicht obdachlos, da ihm das Sozialamt eine Notwohnung zur Verfügung stellen müsste.
Der Rechtsdienst wurde bereits wiederholt gefragt, was zu tun sei, wenn der Mieter offene Mieten hat, allenfalls bereits eine Kündigung aufgrund von Art. 257d OR erfolgt ist, und das Sozialamt dazu bereit ist, künftige Mietzinse zu übernehmen, nicht jedoch die aufgelaufenen Schulden. Die Erfahrung zeigt, dass das Sozialamt – sofern nach dem kommunalen Recht möglich – bereit ist, Schulden zu übernehmen, wenn garantiert ein neuer Mietvertrag abgeschlossen wird beziehungsweise der bestehende Mietvertrag nicht gekündigt wird. Hier lohnt es sich für Genossenschaften, auf der Zahlung der Schulden zu beharren. Wenn das Sozialamt keine Möglichkeit sieht, die Genossenschaft jedoch aus verschiedenen Gründen bereit ist, das Mietverhältnis weiterzuführen, könnte versucht werden, andere Stellen zwecks Schuldübernahme zu kontaktieren. Beispielsweise können die beiden Landeskirchen um Hilfe angefragt werden.
Gemäss Art. 264 OR kann ein Mieter die Wohnung zurückgeben, ohne vertragliche Kündigungstermine einzuhalten. Er wird von der Zahlung der Mietzinse bis zum nächsten vertraglichen Kündigungstermin befreit, wenn er einen zumutbaren Nachmieter stellt. Zumutbar ist ein Nachmieter, wenn er bereit ist, den Mietvertrag zu den gleichen Bedingungen zu übernehmen, und zahlungsfähig ist. Ob ein Sozialhilfe beziehender Nachmieter als «zumutbar» gilt oder nicht, ist in der Literatur umstritten. Solange das Sozialamt dem Mieter Sozialhilfe gewährt oder das Sozialamt Direktzahlungen an den Vermieter leistet, werden die Mietzinse bezahlt. Wie bereits ausgeführt, kann das Sozialamt jedoch aus verschiedenen – und nicht im Einflussbereich des Vermieters liegenden – Gründen die Gelder kürzen oder streichen. Damit besteht ein konkretes Risiko der Zahlungsunfähigkeit während des laufenden Mietverhältnisses. Zudem ist davon auszugehen, dass der Mieter in der Regel nicht in der Lage sein dürfte, für allfällige ausserordentliche Abnützungen der Mietsache aufzukommen, weshalb der Mieter zwar für die Mietzinse als zahlungsfähig, aber nicht im Sinne des Gesetzes als «zumutbar» gilt, da zu hohe Risiken für die Genossenschaft als Vermieterin bestehen.11 Damit muss nach meiner Ansicht ein sozialhilfeempfangender Mieter nicht als Nachmieter im Sinne von Art. 264 OR akzeptiert werden. Der ausziehende Mieter schuldet damit – so- fern er keinen zumutbaren Nachmieter stellt – die Mietzinse bis zum nächsten vertraglichen Kündigungstermin. Ist eine Genossenschaft trotzdem bereit, den vorgeschlagenen Nachmieter zu akzeptieren, wird es sich lohnen, vom Sozialamt eine Sicherheitsleistung (Garantie oder Mietkaution) zu erhalten und zusätzlich den Nachmieter zu verpflichten, eine Mieterhaftpflichtversicherung abzuschliessen.