Cornelia Fleischli,
Rechtsdienst
cornelia.fleischli@wbg-schweiz.ch
Mängelrügen sind Voraussetzung zur Durchsetzung von Mängelrechten. Für Wohnbaugenossenschaften ist eine fristgerechte und inhaltlich vollständige Mängelrüge essenziell – vor allem bei teuren Baumängeln, die von keiner Versicherung gedeckt werden.
2024/08
Zeigen sich bei Bauprojekten Mängel, ist es äusserst wichtig, dass schriftliche Mängelrügen rechtzeitig, inhaltlich korrekt und an den richtigen Ansprechpartner gerichtet werden. Hält sich eine Wohnbaugenossenschaft als Bauherrin eines Bauprojekts nicht an diese formellen Vorgaben, kann dies ihren kompletten Rechtsverlust bedeuten.
Ein Werkmangel ist eine Abweichung von der vertraglich vereinbarten Beschaffenheit des Werks1, also eine Differenz zum vereinbarten Leistungsprogramm. Haben die Parteien die Soll-Beschaffenheit vertraglich nicht oder nicht vollständig definiert, ist die Leistungspflicht des Unternehmers mithilfe der Kriterien Gebrauchstauglichkeit und Verkehrsanschauung auszulegen, was in juristischen Streitigkeiten mitunter kostenintensiv wird. Es empfiehlt sich somit, Werkbesonderheiten bereits im Voraus vertraglich zu vereinbaren.
Stillschweigende Genehmigung
Genehmigt der Bauherr das abgelieferte Werk, so wird der Unternehmer von seiner Haftpflicht befreit, soweit es sich nicht um versteckte oder absichtlich verschwiegene Mängel handelt.2 Die Genehmigung kann ausdrücklich erfolgen, aber auch stillschweigend. Den praktisch wichtigsten Fall einer stillschweigenden Genehmigung regelt das Gesetz in Art. 370 Abs. 2 OR. Demnach wird eine stillschweigende Genehmigung vermutet, wenn der Werkbesteller die Prüfung des Werks und die anschliessende Mängelrüge innert Frist unterlässt. Die Vermutung ist unwiderlegbar.3 Eine Wohnbaugenossenschaft kann sich zum Beispiel gegenüber dem Unternehmer nicht darauf berufen, sie habe gemeint, die beauftragte, externe Bauleitung sei für die Mängelrüge zuständig oder ihre Mietenden hätten ihr den Mangel nicht gemeldet.
Die geltenden Fristen für die Rüge von Mängeln richten sich nach den vertraglichen Vereinbarungen. Wird die SIA-Norm 118 (Allgemeine Bedingungen für Bauarbeiten) für anwendbar erklärt, was bei grösseren Bauprojekten regelmässig der Fall ist, gelten längere Fristen als nach dem Obligationenrecht. In anderen Fällen, in welchen Handwerker mit kleineren Umbauarbeiten (etwa Küchenrenovationen) einzelner Wohnungen beauftragt werden, wird die SIA 118 vielfach nicht als Vertragsbestandteil erklärt.
Werk nach Ablieferung sofort prüfen
Die Frist zur Prüfungs- und Anzeigepflicht beginnt mit der vollzogenen Ablieferung des Werks. Das Obligationenrecht enthält keine konkrete Frist, innert welcher das Werk zu prüfen ist. Die Prüfungsfrist bestimmt sich nach der Dauer, die ein sorgfältiger Besteller für das vorliegende Werk benötigt.4 Will sich der Bauherr später nicht vorenthalten lassen, dass er die Prüfungs- oder Anzeigefrist verpasst hat, ist er gut beraten, das Werk nach Ablieferung sofort zu prüfen und entdeckte Mängel umgehend zu rügen.
Auch versteckte Mängel, die nicht sofort erkennbar sind, müssen sofort nach Entdeckung gerügt werden. Gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts beträgt die Frist für eine sofortige Mängelrüge zwei bis sieben Tage, je nach den konkreten Umständen, insbesondere, wenn durch Zuwarten eine Gefahr zur Schadensvergrösserung besteht.5
In der Praxis zeigt sich, dass das Verpassen dieser kurzen Fristen die Mängeldurchsetzung verunmöglicht, wenn die Schadensverursacher:innen nicht freiwillig einlenken. Die kurzen Fristen sind für Bauherren weder praktikabel, noch können sie sachlich gerechtfertigt werden. Aus diesem Grund plant der Bundesrat nach parlamentarischer Zustimmung eine Verlängerung der Rügefrist für Werk- und Grundstückkaufverträge auf sechzig Tage.
Rüge per Einschreiben versenden
Die Vereinbarung der SIA-Norm 118 führt zu erheblich längeren Fristen: Sie gewährt dem Bauherrn eine zweijährige Rügefrist. Innerhalb dieser Frist können alle erkannten Mängel jederzeit gerügt werden. Bei Mängeln, die zur Vermeidung von weiterem Schaden unverzüglich behoben werden müssen, empfiehlt es sich dennoch, umgehend eine Mängelrüge zu versenden. Von Bedeutung bleibt, dass bei einer gemeinsamen Bauwerksprüfung zwischen dem Bauherrn respektive der Bauleitung und dem Handwerksunternehmen die offensichtlichen Mängel sofort nach Abschluss der Prüfung gerügt werden müssen. Für versteckte Mängel gilt eine zusätzliche dreijährige Frist nach Ablauf der ersten zwei Jahre.
Der Bauherr muss jeden Mangel in der Mängelrüge genau beschreiben. Eine nur allgemeine Erklärung, das Werk sei mangelhaft, genügt grundsätzlich nicht. Es genügt, wenn der Bauherr den vorhandenen Mangel so beschreibt, wie er ihn selbst sieht und beschreiben kann. Wichtig ist, dass der Unternehmer aus der Rüge den Mangel hinsichtlich Art, Lage und Umfang erkennen kann. Der Besteller sollte in seiner Mängelrüge zudem klar zum Ausdruck bringen, dass er das Werk nicht als vertragsgemäss akzeptiert und den Unternehmer haftbar machen will.6 Zu Beweiszwecken wird empfohlen, die Mängelrüge per Einschreiben zu versenden.