HGW verdichtet Wohnsiedlung in Winterthur

Drei Strategien für drei Baukörper

In der Siedlung Schachen entschied sich die HGW Heimstätten-Genossenschaft Winterthur für eine Kombination von Ersatzneubau und Weiterbauen im Bestand. In Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege hat sie zwei Häuser aus der Nachkriegszeit sorgfältig saniert und umgebaut und eines durch einen Neubau mit Kleinwohnungen ersetzt. 

Von Daniel Krucker | Bilder: Andreas Mader | 2024/08

1942 und 1949 erlebte die Schweiz eine beispiellose Wohnbauoffensive. Damit sollte einer drohenden Wohnungsnot und einer sozialen Krise entgegengewirkt werden. Insgesamt förderte die öffentliche Hand den Wohnungsbau mit 750 Millionen Franken, nach heutigen Massstäben mehrere Milliarden Franken. In Winterthur betrug der Anteil der subventionierten Neubauwohnungen in den mittleren 1940er-Jahren rund 90 Prozent. Auf das Frühjahr 1947 musste die Stadt etwa 30 neue Wohnungen bereitstellen. Im Rosenbergquartier beauftragte sie darum eine Handwerkerbaugenossenschaft mit der Bebauung von drei Parzellen, und so entstanden in kurzer Bauzeit drei Wohnblöcke mit je vier Zweifamilienhäusern. Bund, Kanton und Stadt leisteten einen Barbeitrag von je 15 Prozent an die subventionsberechtigten Anlagekosten, was insgesamt 45 Prozent ausmachte. Entworfen und ausgeführt wurde das Projekt vom bekannten Winterthurer Architekten Franz Scheibler. Weil das Baumaterial in den Nachkriegsjahren knapp und teuer war und man rasch neuen Wohnraum zur Verfügung stellen wollte, wählte Scheibler für die Mehrfamilienhäuser, die als Arbeiterunterkünfte genutzt wurden, eine einfache Holzkonstruktion mit gemauerten Brandmauern und einem betonierten Untergeschoss.

Aufgefrischte Holzböden: Nach der sanften Renovation verfügen die Altbauwohnungen noch immer über sehr viel Charme.

Charme der Altbauten erhalten
Die HGW Heimstätten-Genossenschaft Winterthur, die grösste Wohnbaugenossenschaft der Region Winterthur, hat die Siedlung Schachen 2001 erworben. 2016 wurde sie ins Inventar der schutzwürdigen Bauten aufgenommen. Ein Jahr später traf sich die HGW ein erstes Mal mit den Architekt:innen und der Fachgruppe der Denkmalpflege zu einem Ideenaustausch. Gemeinsam einigte man sich darauf, die Gebäude an der Buchackerstrasse und am Hainbuchenweg für die Zukunft zu erhalten und zu sanieren, während am Unterrütiweg ein Ersatzneubau entstehen sollte. Im März 2022 fuhren die Bagger auf, im Herbst 2023 waren die beiden Totalsanierungen und der Bau des neuen Gebäudes bereits abgeschlossen.
Bei den Sanierungen achtete das Architekturbüro besonders darauf, den Charme der Altbauten zu erhalten. Bäder und Küchen wurden erneuert, die Holzböden aufgefrischt. Vor allem der Schallschutz, die Statik und die energetische Situation sollten verbessert werden, sagt Peter Sturzenegger von Isler Architekten AG. Über ausgeklügelte bauliche Eingriffe unter der Geschossdecke wurde die Schallübertragung massiv verbessert. Und weil die bestehende Baukonstruktion nicht mehr den heutigen Normen entsprach, mussten Mittelwand und Geschossdecke verstärkt werden. Auch bei der energetischen Fassadensanierung mussten die Planenden über eine Standardlösung hinausdenken.

Keine Standardlösung bei Fassade
Auf die Aussenfassaden konnte wegen der denkmalpflegerischen Auflagen nicht einfach eine 20 Zentimeter dicke Dämmung angebracht werden. Die zusätzliche Isolation wurde schliesslich im Querschnitt der alten Wand verbessert, wie Sturzenegger erklärt. Das sei herausfordernd gewesen, doch am Ende habe man es in Zusammenarbeit mit einem Bauphysiker geschafft, die alte Kokos-Dämmschicht durch eine etwa doppelt so dicke Mineralwollschicht zu ersetzen, ohne dass eine Hinterlüftung der Holzfassade notwendig wurde. Auch ein Windpapier wurde eingezogen, und sogar die Auswahl des Farbtons für die Holzschalung an der Fassade folgte energetischen Überlegungen: Die Farbe musste aus einem dunklen Spektrum gewählt werden, damit das Holz bei Sonneneinstrahlung die Wärme besser aufnimmt. Ein dunkler Farbton fördert auch die Austrocknung bei Kondensation in der Dämmschichtebene. Die alten Gasheizungen wurden durch eine Erdsondenwärmepumpe ersetzt. Um deren Effizienz zu erhöhen, wurden sämtliche Radiatoren durch neue ersetzt.
Während das Haus an der Buchackerstrasse ohne Umbaueingriffe originalgetreu saniert wurde, ermöglichte die Denkmalpflege am Hainbuchenweg eine bauliche Veränderung im Eingangsbereich. Mit der Entfernung einer Wand in der Diele sind dort offene Küchen und Raum für einen Einbauschrank und eine zweite Toilette entstanden. Als «erstklassigen Entwurf» bezeichnet Michael Otto, Projektleiter Bau und Planung bei der HGW, die ursprünglichen Wohnungsgrundrisse. Dank der fast korridorfreien Fläche hätten die gesamten 82 Quadratmeter pro Wohnung schon früher optimal als Wohnraum genutzt werden können.

Bäder und Küchen wurden sorgfältig erneuert, in einigen Wohnungen wurde die Küche geöffnet und Platz für ein zusätzliches WC geschaffen. Vor der Sanierung (Bild unten) prägten Eternitschindeln an der Fassade das Bild ‒ heute dominiert Holz. 

Nur Kleinwohnungen im Neubau
Beim Haus Unterrütiweg entschied man sich für einen Ersatzneubau, weil das Gebäude auf der Parzelle mit der grössten Baumassenreserve stand. Das Grundstück ermöglichte also die angestrebte Verdichtung und bot gleichzeitig den nötigen Raum für die Einfahrt zur neu erstellten Tiefgarage. Mit den 18 neu entstandenen Zweieinhalb- und Dreieinhalbzimmerwohnungen trägt die HGW dazu bei, dem steigenden Bedarf an kleineren Wohnungen im Quartier gerecht zu werden – auch wenn dieser allein damit nicht gedeckt werden kann, wie Otto erklärt.
In Anlehnung an die Altbauten präsentiert sich auch der Neubau ab der Decke über dem Untergeschoss als Holzelementbau. Auch Treppenhaus und Liftschacht sind vollständig in Holzbauweise erstellt. Zwar sei ein Holzbau im Vergleich zum Massivbau immer noch etwas teurer, sagt Sturzenegger. Aber die Wahl sei vor dem historischen Hintergrund der Sied-lung Schachen fast logisch gewesen. «Auch die schnelle Bauzeit des Elementbaus hat uns überzeugt, und es braucht bei einem Trockenbau keine Austrocknungszeiten», ergänzt der Architekt.
Der Neubau Unterrütiweg präsentiert sich in einem fast schwarzen Kleid. Durch Druckimprägnierung mit schwarzen Pigmenten wurde eine dunkle Holzschutzlasur auf das Fichtenholz aus inländischer Produktion gebracht. Nicht nur bei der Materialwahl, auch bei den Grundrissen liess sich das Architekturbüro von Franz Scheibler inspirieren. «Wir wollten dunkle Raumabschnitte in Form von Gängen vermeiden, was unserer Meinung nach gut gelungen ist», erklärt Sturzenegger.

Auf der Parzelle des Ersatzneubaus sind zehn Wohnungen mehr entstanden. Der Neubau verfügt über 18 Zweieinhalb- und Dreieinhalbzimmer­wohnungen. Dank den kleineren Wohnungen sollen Bewohnende später bei einer Haushaltsverkleinerung im Quartier bleiben können.

Vernetzungskorridore für Aussenraum
Die Aussenräume der Altbauten wurden nicht komplett neu angelegt, sondern mit Sorgfalt aufgefrischt. Über die Jahre sind hier biodiverse Grünräume entstanden. Die meisten Wohnungen wurden von neuen Genossenschaftsmitgliedern bezogen, darunter viele Familien, die sich besonders über die reaktivierten Gartenbeete freuen. Für deren Nutzung unterzeichnen sie zwar einen separaten Vertrag, jedoch ohne Kostenfolge. Beim Neubau hat sich die Landschaftsarchitektur an den sogenannten innerstädtischen Vernetzungskorridoren orientiert. Dabei handelt es sich um von der Stadt Winterthur erarbeitete Empfehlungen für natürliche urbane Grünräume. Modellierte Flächen, Stein- und Holzhaufen für Tiere sowie Pflanzenarten, die mit dem wärmer werdenden Klima zurechtkommen, sind typisch für diese neue Art der zukunftsgerichteten Grünraumgestaltung in Siedlungsgebieten.
Zwischen den Häusern Hainbuchenweg und Unterrütiweg liegt ein öffentlicher Freiraum, an den auch der Quartierkindergarten grenzt. Der kleine Platz wird von der Stadt schon bald mit Spielgeräten, einer Aufenthaltszone mit Brunnen sowie der Einrichtung einer Tempo-20-Zone neu gestaltet. Diese Massnahmen tragen zur weiteren Attraktivität der Siedlung bei, weshalb sich auch die HGW mit einem namhaften Beitrag an den Kosten beteiligt.
Bei der Realisierung des Sanierungs- und Neubauprojekts kamen vor allem lokale Produkte und Materialien zum Einsatz, was der Nachhaltigkeit zugutekommt. Der sorgfältige Einsatz von Ressourcen und eine ebensolche Planung sowie die effizienten Grundrisse trugen wesentlich zur Kosteneffizienz bei. Auch die Nachwehen der Pandemie und die Bauteuerung haben beim Bauvorhaben nicht voll durchgeschlagen, was sich positiv auf die Erschwinglichkeit der Mieten auswirkt.

Baudaten

Bauherrschaft
HGW Heimstätten-Genossenschaft ­Winterthur
Architektur
Isler Architekten AG, Winterthur
Baumanagement
Dürsteler Bauplaner GmbH, Winterthur
Landschaftsarchitektur
Grünwerk AG, Winterthur
Unternehmen Sanierung
Bösch Parkett GmbH (Parkett)
BWT Bau AG (Baumeister und Holzbau)
Elibag (Küchen)
Elprom AG (Elektro)
Scherer AG (Fenster)
Stähli Haustechnik AG (Heizung)
Steimer Markus (Sanitär)

Unternehmen Ersatzneubau
Corti AG (Baumeister)
Sprenger Söhne AG (Holzbau)
Umfang
3 Mehrfamilienhäuser, 34 Wohnungen,
Tiefgarage
Baukosten (BKP 1-5)
15,2 Mio. CHF total
Mietzinsbeispiel Sanierung
4 ½-Zimmer-Wohnung, 82 m²:
alt: 920 CHF plus 110 CHF NK
neu: ab 1490 CHF plus 90 CHF NK
Mietzinsbeispiele Ersatzneubau
2 ½-Zimmer-Wohnung, 62 m²:
ab 1420 CHF plus 70 CHF NK
3 ½-Zimmer-Wohnung, 75 m²:
1630 CHF plus 80 CHF NK