Genossenschaft Eins bezieht in Schaffhausen erstes Mehrfamilienhaus

Ein Haus mit Schlössligarten für alle

Die junge «Genossenschaft Eins» konnte am Schlössliweg in Schaffhausen ein hundertjähriges Reihen-Mehrfamilienhaus der Stadt im Baurecht übernehmen und umbauen. Im Frühling wurde der letzte von drei Hausteilen bezogen. Das Projekt soll nicht das einzige bleiben.

Von Esther Banz | Bilder: Dejan Mikavica, Manuel Perujo | 2022/08

Am Schlössliweg in Schaffhausen tut sich eine neue Welt auf. Das zeigt sich einem allerdings nicht auf den ersten Blick. Nüchtern und etwas streng mutet die Vorderseite des dreiteiligen Mehrfamilienhausriegels an, vor dem Florian Keller steht. Der langjährige Gewerkschafter war zusammen mit einem Kollegen die treibende Kraft bei der Gründung der Genossenschaft Eins vor fünf Jahren und ist seither deren Präsident. 2020 hat die Genossenschaft die Liegenschaft, die 1926 erstellt wurde, von der Stadt Schaffhausen im Baurecht übernommen und saniert. Während die Mieterinnen und Mieter des westlichen Hausteils schon im Oktober letzten Jahres einziehen konnten, wurden der mittlere und der östliche Teil im vergangenen April und Mai bezogen.
Tatsächlich wurde auf der Vorderseite des Hauses insgesamt nicht sehr viel gemacht. Ein Anstrich und ein Geländeraufbau bei den kleinen Treppenhausbalkonen seien notwendig gewesen, sagt Keller. Darüber hinaus wurden neue Zugänge zum Untergeschoss gebaut. Auf der Rückseite des Hauses findet man sich aber in einer komplett anderen Umgebung wieder, sowohl was den Aussenraum als auch das Gebäude betrifft. Hier sind neu ein Anbau, eine Veranda und Balkone entstanden – alles aus Holz und zum Garten hin offen. Im östlichsten der drei Hausteile ist im Holzanbau ein zusätzliches Zimmer für jede Wohnung entstanden. Im Untergeschoss findet ein Gemeinschaftsraum mit Küche und Foyer Platz. Auch ein Lift wurde daran gebaut.
Die Holzveranda verbindet alle drei Hausteile miteinander sowie alle Wohnungen mit dem Garten. Sie sorgt zudem dafür, dass zwölf der zwanzig Wohnungen barrierefrei sind. Unter der Veranda ist über die Breite von zwei Häusern eine Laube entstanden.

Die noch intakten Elemente aus der Bauzeit wurden, wo es möglich war, erhalten, so dass alte Parkettböden, gestemmte Türen und sechseckige, weinrote Kacheln in der Küche weiterhin das Bild prägen.

Frei sein – aber gemeinsam
Die dunkelbeige gestrichene Fassade wirkt in Verbindung mit dem hellen Holz des Anbaus warm und einladend. Und es mutet ganz so an, als umarme das Haus mit seinen neuen Elementen den 2000 Quadratmeter grossen Schlössligarten, der zur Liegenschaft gehört und die Form eines grossen Dreiecks hat. Bis anhin war er für die Bewohnenden nur durch die Kelleretage oder über die Seiten des Hauses zugänglich. Durch die Aufwertung hat sich der Garten, in dem mehrere Bäume gepflanzt wurden, in einen Gemeinschaftsgarten verwandelt. Sogar als Quartiergarten soll er genutzt werden, so die Vorstellung der jungen Genossenschaft.
Die Offenheit und das Miteinander sind ein wichtiger Teil ihrer Vision. «Freiheit ist, wonach wir streben. Wir wollen nicht ohnmächtig, nicht ausgeliefert sein. Wir wollen selber bestimmen, unser Schicksal selber steuern. Wir wollen frei sein. Aber gemeinsam», schreiben Keller und seine Vorstandskolleginnen und -kollegen auf der Website. Wohn-, Arbeits- und Kulturraum anzubieten, Begegnungsräume und lebendige Zentren in Quartieren zu schaffen und die Gemeinschaft und Selbstbestimmung der Beteiligten zu fördern, zählen sie zu ihren Zielen.
Im Prinzip sei man eine «politisch motivierte Gründung», erzählt Keller. Der ehemalige Politiker, der die Schaffhauser Alternative Liste mitbegründet hatte und für sie im Kantonsrat war, hat sich bereits zuvor boden- und wohnbaupolitisch engagiert: «Das war in Schaffhausen auch dringend nötig, denn die Stadt verkaufte nach und nach eigenen Boden.» Mit der Zeit habe man ein Umdenken herbeiführen und bewirken können, dass die Gemeinde Land im Baurecht abgibt und dabei besonders darauf achtet, dass Gemeinnützige berücksichtigt werden. Ein Argument dagegen sei immer gewesen, dass es gar keine Genossenschaften gebe ausser den älteren, die aber gar nicht wachsen wollten. «So war es naheliegend, eine eigene Genossenschaft zu gründen. Das Anfangskapital dafür erhielten wir unter anderem von Gewerkschaften», sagt Keller.

Elemente aus der Bauzeit erhalten
Über die hundertjährige Geschichte der Reihen-Mehrfamilienhäuser am Schlössliweg ist Keller zufolge wenig bekannt: «Die Häuser kamen irgendwann zur Stadt. Wie, weiss diese aber nicht mehr.» Saniert worden sei nie, doch habe man die übliche Schindluderei betrieben – Spannteppich, den man auf Parkett leimte, und so weiter. Die Genossenschaft Eins hat den grössten Teil des bisherigen Innenausbaus erhalten respektive wieder hervorgeholt: Den Parkettboden und die Fensterbrettablagen aus Peach Pine Holz, alte Kästen in Küche und Flur, auch die sechseckigen weinroten Kacheln in der Küche, die man von Spezialisten reinigen liess.
Der Schlössliweg ist das erste konkrete Projekt der Genossenschaft. Sie erhielt in einem wettbewerbsähnlichen Verfahren den Zuschlag der Stadt Schaffhausen, der die Häuser gehören. Zuvor hatten sich Keller und seine Kolleginnen und Kollegen für das Wagenareal ganz in der Nähe beworben, das ebenfalls von der Stadt zur Neuentwicklung ausgeschrieben war. Doch das klappte nicht. Die Arbeit des Architekten Dejan Mikavica begeisterte den Vorstand aber so sehr, dass man auch die Eingabe beim Schlössliweg wieder mit ihm zusammen machen wollte. Überzeugt hat die städtische Jury bei diesem Projekt gemäss Jurybericht «der gartenseitige Holzanbau mit Lift, der gute Wohnungsmix und die gemeinsam nutzbaren Flächen.» Auch den Quartier- und Kinderbezug des Projekts hoben die Juroren explizit hervor.

Der gartenseitige Holzanbau mit freistehendem Lift erweitert sechs Wohneinheiten zu grosszügigen, hindernisfreien Familienwohnungen und bietet einen geräumigen Gemeinschaftsraum im Tiefparterre.

Mit Kunststein nach innen gedämmt
Aus bisher achtzehn Wohnungen entstanden durch kleine Veränderungen im Grundriss neu deren zwanzig: Aus vier grösseren machte man sechs kleinere Wohnungen mit zwei, zweieinhalb und dreieinhalb Zimmern. «Wir hatten das Glück, dass die Bausubstanz von hoher Qualität ist und die Wohnungen bereits gut geschnitten waren», sagt der studierte Jurist. Grosse Veränderungen seien nicht nötig gewesen. «Zu Beginn der Planung wollten wir viel mehr an den Grundrissen verändern. Aber je länger wir uns über die Pläne beugten, desto mehr merkten wir: Das ist gar nicht nötig.»
Zum Beispiel habe man am Anfang alle Bäder verschieben wollen, damit sie rollstuhlgängig würden. «Dann sahen wir aber, dass die Rollstuhlgängigkeit auch durch eine kleine Umorganisation erreicht werden kann. So kam das Bad dorthin, wo zuvor das WC war», sagt Keller. Tatsächlich wirkt das Bad nach der Sanierung grosszügig, ebenso die Küchen, die man ganz einfach durch das Entfernen der Tür und die Verbreiterung des Durchgangs weiter geöffnet hat, wodurch sie nun auch heller sind.
Zur Herausforderung wurde indessen das Dämmen, sagt Keller: «Die Frage, wie wir energetische Verbesserungen hinkriegen, trieb uns lange um. Wir sträubten uns zunächst dagegen, nach innen zu dämmen, weil wir Details wie die Fensterbretter erhalten wollten.» Das Dämmen nach aussen habe sich dann aber als sehr teuer und als nicht praktikabel erwiesen. Schliesslich habe man mit einem «Multipor»-Kunststein acht Zentimeter nach innen gedämmt, wodurch unter anderem die Fensterbretter erhalten werden konnten. «Wir isolierten zudem die Kellerdecke von unten her und den Estrichboden von oben, und natürlich ersetzten wir die Fenster. Denkmalschutzauflagen mussten wir keine erfüllen.» Weil der Architekt alles sehr gut durchdacht hatte, sei es letztlich eine unkomplizierte und kostengünstige Renovation gewesen.

Ein Garten für das ganze Quartier
Weil die Stadt bei der Ausschreibung Projekteingaben in einem ausgereiften Zustand erwartete, war es der Genossenschaft nicht möglich gewesen, die Bewohnerinnen und Bewohner in den Prozess des Umbaus partizipativ einzubeziehen: Die Pläne für den Umbau standen am Anfang, die Belegung der Wohnungen folgte erst viel später. Bei der Gestaltung des Gartens konnten dann aber alle mitanpacken. Dazu organisierte man Workshops. In Zukunft wird es im Schlössligarten einen Pavillon geben, eine grosszügige Grillstelle und einen grossen, schweren Tisch, wie Keller erzählt. Ferner stünden jenen, die gärtnern wollen, Pflanztröge zur Verfügung. Eine bunte Blumenwiese soll bald für Summen, Zirpen und Augenweide sorgen.
Lebten zuvor fast nur Einzelpersonen in den sehr günstigen Wohnungen, ist es heute ein bunter Mix an Menschen in immer noch günstigen Wohnungen: Einige haben schon zuvor im Haus gelebt, andere wohnten im Quartier oder sind zugezogen. Unter ihnen gibt es Alleinstehende, Paare und Familien, ältere Menschen ebenso wie Junge. «Es gibt hier viele Kinder», freut sich Keller, der selbst Vater ist, aber nicht am Schlössliweg lebt. Dafür hat er nun beruflich von der Gewerkschaft in die Immobilienbranche gewechselt, «um besser zu verstehen – ich muss noch viel lernen.» Denn so viel ist klar: Die Genossenschaft Eins will in Schaffhausen weiteren günstigen Wohnraum erhalten und mehr Möglichkeiten des gemeinschaftlich ausgerichteten Wohnens schaffen.

Baudaten

Bauträger:
Genossenschaft Eins, Schaffhausen

Architektur und Bauleitung:
Dejan Mikavica Architekten, ­Schaffhausen

Landschaftsarchitektur:
Felix Eder Landscape, Zürich

Umfang:
3-teiliges MFH (Baujahr 1926) mit

neu 20 Wohnungen (zuvor 18), ­
Sanierung und Anbau 2021-2022
Baukosten (BKP 1-5):
4,65 Mio. CHF
Mietzinsbeispiele:
31/2 -Zimmer-Wohnung, 78m²:
alt: 642 CHF plus 166 CHF NK
neu: 1040 CHF plus 172 CHF NK