
Mit weniger Plastik besser Leben
Ein 17-Liter-Abfallsack im Jahr
Tara Welschinger und ihr Partner Christof Studer produzieren praktisch keinen Abfall mehr. Zusammen haben sie den ersten Unverpackt-Laden in der Deutschschweiz eröffnet. Bewusster Konsum prägt auch ihr übriges Leben.
Text und Fotos: Daniel Krucker | April 2021
«Doch, ja, man kann schon von einem Erweckungserlebnis sprechen», sagt Tara Welschinger, die seit 25 Jahren als passionierte Globetrotterin unterwegs ist. Auf einer Südostasienreise im Jahr 2015 stiess sie buchstäblich überall auf Abfall. Er stach ihr derart ins Auge, dass sie das Thema nicht mehr losliess. Sie fragte sich, wie es wohl wäre, wenn wir in der reichen und ressourcenverschleissenden Schweiz keine Abfallverbrennung hätten. Ihre Antwort war eindeutig: «Wir würden innert kürzester Zeit buchstäblich im Abfall ertrinken!»
Kaum Unverpacktes im Laden
Ihr Partner Christof Studer war zur selben Zeit in Skandinavien unterwegs, er begleitete einen Monat lang eine Walforscherin. Er zeichnete viel, lebte sehr einfach und tauchte in einen Lebensrhythmus ein, der bei ihm ebenfalls einen Denkprozess auslöste. Zurück in der Schweiz ging es praktisch Schlag auf Schlag. Tara Welschinger las im Netz ein paar Blogs zum Thema «Zero Waste» (null Abfall), und bald darauf machte sie ein Experiment: Sie ging mit dem Vorsatz einkaufen, nichts in den Warenkorb zu legen, das in einer Verpackung steckt. Und sie kam mit sehr, sehr leichter Einkaufstasche nach Hause zurück. «Von da an war sozusagen die Büchse der Pandora geöffnet und mein ‹Plastikäugli› eingeschaltet», sagt sie. Und schon wenige Monate nach seinen Reisen beschloss das Paar, einen Unverpackt-Laden zu gründen.
Mit sprühendem Enthusiasmus und grosser Zufriedenheit erzählen die beiden davon, wie der Zero-Waste-Gedanke ihnen «den Ärmel reingezogen» habe. 2017 eröffneten sie mit dem «Foifi», der seinen Namen dem Zürcher Stadtkreis 5 verdankt, den ersten Unverpackt-Laden überhaupt in der Deutschschweiz. Das Foifi deckt alle Bedürfnisse des Alltags. Von Haushaltsartikeln über Lebensmittel bis zu Körperhygieneprodukten: Nichts geht hier in einer Einwegverpackung über die Theke. Die Auseinandersetzung mit dem Thema brachte die beiden aber auch dazu, ihren gesamten Lebensstil zu hinterfragen. Christof Studer war als Gärtner viel unterwegs, verbrauchte Unmengen von Wegwerf-Kaffeebechern; Tara Welschinger, Kommunikationsfachfrau und Mitglied der Geschäftsleitung einer Kreativagentur, erfreute sich an über 120 Paar Schuhen in ihrem Ankleidezimmer im Siebenzimmerhaus.
Abfallfrei und minimalistisch
Heute kaufen beide kaum mehr neue Sachen, sondern stöbern in Secondhandläden oder nutzen Tausch- und Ausleihmöglichkeiten, um ihre Bedürfnisse zu decken. Wer ihre einfache Dreizimmerwohnung mit Blick auf die Limmat betritt, merkt schnell: Hier gibts nur das, was auch wirklich gebraucht wird. Keine Nippes, kaum Bilder, keine überfüllten Schränke oder Schubladen, auch nicht in der kleinen Küche. Tara Welschinger und Christof Studer folgen der Logik des Minimalismus, der Beschränkung aufs absolut Unverzichtbare. Deshalb gibt es in ihrer Küche von allem nur zwei: zwei Messer, zwei Löffel, zwei Gläser, zwei Teller. Und wenn Besuch kommt? «Unsere Freunde kennen uns und bringen ihr eigenes Geschirr mit», sagt die Mittvierzigerin. Und nimmt das ungläubige Gesicht ihres Besuchs mit Heiterkeit zur Kenntnis.
Mittlerweile vermeiden Christof Studer und Tara Welschinger so konsequent Abfall, dass sie in einem Jahr nicht viel mehr davon produzieren als in einem 17-Liter-Züri-Sack Platz hat. In einem klassischen Supermarkt einkaufen waren sie vor drei Jahren das letzte Mal. Je länger das Paar über Haarseife, unverpackte Zahnpasta und Deos oder sein komplett abfallfreies Putzkonzept spricht, desto mehr versteht man das Bild vom «Plastikauge», das im normalen Alltag immer und überall Kunststoff erblickt. Konsequenz beim Vermeiden ist also anspruchsvoll. Dennoch sprechen Tara Welschinger und Christof Studer entspannt über ihren neuen Lebensstil. Sie geben auch keine konkreten Tipps, wie und wo wir alle spürbar Abfall vermeiden können. Tara Welschinger meint nur: «Man soll dort anfangen, wo es für einen persönlich am einfachsten ist und am wenigsten schwerfällt. Und dann einfach immer in kleinen Schritten weitermachen!»

In der einfachen Dreizimmerwohnung des Paars gibt es nur das, was wirklich gebraucht wird. Das minimalistische Prinzip gilt auch für Besteck und Geschirr, wo von allem nur zwei vorhanden sind, und Mehrweggebinde sind sowieso selbstverständlich.

Unverpackt im Trend
Als Gast hat Tara Welschinger schon an verschiedenen Podiumsdiskussionen teilgenommen und sich dabei regelmässig zu den Themen Verzicht und Geld geäussert. Ja, sagt sie, die Kosten für Lebensmittel steigen, wenn man lokal und in kleinen Läden einkauft. Untersuchungen hätten aber gezeigt, dass Haushaltsbudgets insgesamt deutlich sinken, wenn ernsthaft Abfall vermieden wird. Gründe sind zum Beispiel die wegfallenden Spontankäufe oder die extreme Ergiebigkeit von Produkten, die Unverpackt-Läden anbieten. Und ja, sie empfinde ihren Entschluss, innerhalb von Europa nicht mehr zu fliegen, schon als Verzicht. Aber sie liebe das Reisen und werde bestimmt irgendwann wieder ihren Rucksack packen und für ein paar Wochen oder Monate weit weg fliegen. Christof Studer dagegen empfindet keinen bewussten Verzicht. Er betont aber den grösseren Aufwand, der das Mehrwegprinzip mit sich bringt, wenn jede einzelne Bierflasche wieder den Weg zurück zum Händler finden muss. Das kostet Zeit. Aber das ständige Optimieren spornt den 41-Jährigen an und macht ihm Spass.
Das Unverpackt-Prinzip kommt an: Seinen ersten Laden hat das Paar vor kurzem in ein neues Lokal der Genossenschaft Dreieck gezügelt, und im Zürcher Freilagerquartier hat es bereits einen zweiten Laden eröffnet, der auch ein Quartiercafé ist. Schweizweit gibt es mittlerweile in diversen Ortschaften über 40 Unverpackt-Läden, immer wieder kommen neue hinzu. Während Tara Welschinger sich vor allem ihren Läden widmet und ihrem eigentlichen Beruf nur noch reduziert nachgeht, arbeitet Christof Studer etwa zur Hälfte als selbständiger Gartengestalter. Seine Kunden und Kundinnen besucht er nur noch mit E-Bike und Anhänger. Auf ein Lastenfahrzeug kann er verzichten. «Ich nehme aus keinem Garten etwas mit, nicht einmal ein Blatt.» Der gesamte Gartenschnitt wird vollständig vor Ort verarbeitet, umgenutzt oder kompostiert.
Bisweilen stösst der Lebensstil der beiden auf Kritik. Weil sie Fleisch essen und auch fliegen, heisse es schnell: Dann nützt ja alles andere nichts mehr. Tara Welschinger und Christof Studer sehen das natürlich etwas anders. «Wir erwarten von niemandem, den gleichen Weg wie wir zu gehen. Aber wir möchten die Menschen sensibilisieren und motivieren, selber etwas zu tun.»
Unverpackt-Läden und Tipps zum nachhaltigenLeben: www.zerowasteswitzerland.ch