Klima, Ressourcen, Umwelt: Nachhaltig bauen wird immer dringlicher

Mit Regenwürmern die Umwelt retten

Grosse innovative Würfe und kleine Schritte im Alltag: Es braucht ­beides, um dereinst wirklich umwelt- und klimatauglich zu wohnen. ­Bau­genossenschaften wie Equilibre in Genf machen vor, wohin die ­Reise gehen könnte.

Von Liza Papazoglou | Bilder: François de Limoges, Benoît Molineaux, Laurence Chaber, Thomas Maisonasse, Annik Wetter, zVg | April 2021

Kein Grund, die Nase zu rümpfen. Selbst dann nicht, wenn man bei hochsommerlichen Temperaturen im Liegestuhl im Garten der Genossenschaftsüberbauung Soubeyran in Genf sitzt. Dort, unter einem gut zehn auf zwölf Meter grossen Holzrost in einer Wiese, sind Scharen von Regenwürmern am Werk; laut Berechnungen würden sie zusammen etwa 300 bis 400 Kilogramm auf die Waage bringen. Ihre Aufgabe: Sämtliche Abwässer aus 38 Haushalten – inklusive fester Bestandteile – in Gartenkompost und Brauchwasser zu verwandeln. «Es stinkt überhaupt nicht. Unser Kläranlagensystem funktioniert!», stellt Uli Amos fest. Die Architektin ist Projektleiterin der Coopérative Equilibre, die im Raum Genf drei wegweisende Wohnüberbauungen realisiert und bereits mehrere weitere in der Pipeline hat.
Für Aufsehen gesorgt hat Equilibre vor ­allem mit der Aufbereitung des Brauchwassers ihrer Wohngebäude (siehe Wohnen 9/2017) – ein vielleicht wenig appetitliches, angesichts unserer problematischen Ressourcennutzung aber wichtiges Thema. Ein Drittel des Trinkwassers, das in Wohnbauten ver­braucht wird und dessen Aufbereitung viel Energie benötigt, landet einfach im WC. Dieser Verschleiss wird allerdings kaum an­gegangen. Anders bei Equilibre: Die 2006 von einer kleinen Gruppe engagierter befreundeter Familien gegründete Genossenschaft hat einen umfassenden ökologischen Anspruch, der Bauen und Wohnen mit all seinen Auswirkungen im Auge hat. Dabei beschreitet Equilibre in mancherlei Hinsicht unkonventionelle Wege. Und befasst sich, wenn nötig, eben auch mit Regenwürmern.

Im Wurm die Wahrheit
In der 2017 bezogenen Siedlung Soubeyran sind wassersparende Trennklos im Einsatz, die Flüssig- und Feststoffe separat aufnehmen. Sowohl das Schwarzwasser (Fäkalien, Spülwasser, WC-Papier) wie auch das Grauwasser (Abwasser aus Küchen und ­Bädern) werden durch ein mehrstufiges ­biologisches und mineralisches Filtersystem im Garten geleitet – und dies mitten in der Stadt Genf. In den Anlagen mit Sägemehl, Holzspänen und Stroh wandeln Regen­würmer alle Stoffe vollständig in Wasser, ­Kohlendioxid, Wärme und Mineralsalze um. Dadurch entsteht Kom­post für den Garten und, nach einer weiteren Filtrationsstufe durch Sandschichten, auch Wasser. Dieses wird zusammen mit Regenwasser, das auf dem Dach gesammelt wird, zum Giessen und für WC-Spülungen verwendet. So schliesst sich der Wasserkreislauf, und zehn Tonnen ­organisches Material jährlich landen nicht einfach in den städtischen Kläranlagen, sondern werden für den gemeinschaftlichen Permakultur-Gemüsegarten nutzbar gemacht.
Ein Erfolg also für die Genossenschaft. Auch wenn man am Anfang herumprobieren musste, bis alles rund lief, wie Uli Amos ­erzählt. «Probleme bereitete uns das Grauwasser. Weil das Fett aus den Seifen die Filter verstopfte.» Es sei aber normal, dass es etwas Zeit brauche, bis neue Systeme richtig eingestellt seien. Jedenfalls hat Equilibre in Soubeyran den Beweis erbracht, dass solche Anlagen auch bei grossen Überbauungen im urbanen Umfeld funktionieren. Den Auftakt machte die Genossenschaft mit ihrem ersten, 2011 bezogenen Haus mit 13 Wohnungen in Cressy, einer Vorortsgemeinde südwestlich von Genf. Auch dort waren Abwasseraufbereitungssysteme von Anfang an Teil des ökologischen Programms. Man setzte auf Trockentoiletten ohne Spülung, mit individuellen Kompostern im Keller und ebenfalls Pflanzenkläranlagen im Garten. Beim jüngs­ten Projekt, drei 2018 ­fer­tiggestellten Häusern mit 65 Wohnun­gen im «Ökoquartier» Les Vergers in Meyrin (GE), sind nun auf freiwilliger Basis «Kakarusselle» im Einsatz. Das sind Wurmkom­poster, bei denen die Fäkalien unter dem eigenen Trennklo vor Ort in Humus verwandelt werden; der Urin wird zu Dünger verarbeitet. Ihren Namen verdanken die Ka­ka­russelle der Tatsache, dass ihre fünf Kompostkübel im Kreis angeordnet sind und weggedreht werden können.

Gartentag in Cressy. Der Perma­kultur­garten gedeiht nicht zuletzt dank dem Kompost, der aus den Ausscheidungen der Bewohnenden gewonnen wird.

In Kreisläufen denken
Vier Familien haben die Kakarusselle zwei Jahre lang getestet, drei davon werden sie ­behalten, und eine Handvoll weiterer Interessierter wird in nächster Zeit ihre konventionellen durch diese Spezialtoiletten ersetzen. «Mit solchen Projekten wollen wir alternative ­Lösungen vorantreiben, auch bei Themen, die sonst wenig Beachtung finden, und aufzeigen, dass Kreislaufsysteme bereits heute funktionieren», erklärt Uli Amos. Die Genossenschaft arbeitet denn auch mit Hochschulen, Forschungsanstalten und dem Bundesamt für Wohnungswesen (BWO) zusammen; bald soll eine Broschüre mit Erkenntnissen zu den ­erprobten Systemen erscheinen, so dass auch andere Bauträger davon profitieren können.
Wasserkreisläufe sind ein wichtiger, aber nicht der einzige Umweltaspekt, mit dem sich Equilibre intensiv beschäftigt. Wer wirklich nachhaltig bauen möchte, stösst unweigerlich auf unbequeme Fragen. Wie kann über den gesamten Le­benszyklus, vom Bau über den Betrieb bis zum Rückbau, eine möglichst geringe Umweltbelastung erreicht werden? Welche Rolle spielen eingesetzte Materialien, Energieverbrauch, Bauweise, Um­gebung? Und welche weiteren Faktoren wie Mobilitätsverhalten oder Lebensmittel­ver­sor­gung beeinflussen die ökologische Bilanz des Wohnens ebenfalls? Noch immer befassen sich zu wenige Bauträger wirklich konsequent mit solchen Themen. Dabei täte dies dringend Not.

Wohnen belastet die Umwelt
In der Schweiz zählt Wohnen neben Ernährung und Mobilität zu den Bereichen mit den grössten Auswirkungen auf die Umwelt, wie eine 2020 im Auftrag des Bundesamts für Umwelt publizierte Studie festhält: Es ist für über einen Viertel der Gesamtumweltbelastung verantwortlich. Betroffen sind vor allem Klima und Energie, Ressourcen- und Ma­terialverbrauch sowie Flächenverbrauch und Zersiedelung. Rund ein Viertel des CO2-Ausstosses stammt in der Schweiz aus Gebäuden. Auch das Uno-Umwelt­programm stellt in einem Bericht von 2019 fest, dass der Gebäudesektor eine wichtige Rolle spielt, um die im Abkommen von Paris 2015 vereinbarten Klimaziele zu erreichen, die eine starke Reduktion der Treibhausgase einfordern. Insgesamt sind Gebäude für vierzig Prozent der energie- und prozessbedingten CO2-Emis­sionen verantwortlich. Der Report geht zudem davon aus, dass sich der Gebäudebestand weltweit bis 2050 verdoppelt. Keine schönen Aussichten. Erst recht nicht, wenn man weiss, dass das Bauwesen 60 Prozent sämtlicher Materialien verbraucht – deren Ver­arbeitung wiederum Unmengen an Energie erfordert und Emissionen ver­ursacht – und 50 Prozent des Abfalls erzeugt.
Ob solcher Zahlen könnte man verzweifeln. Oder aber man nimmt sie zum Anlass, da, wo man kann, anzufangen und etwas zu tun: im eigenen Umfeld. Wie dies auch die Gründerinnen und Gründer von Equilibre ­taten. Ursprünglich wollten sie eigentlich ­einfach ein Projekt auf einem Bauernhof ­realisieren. Uli Amos: «Es war aber bald klar, dass das kaum mit urbanem Leben und ­umweltfreundlicher Mobilität in Einklang zu bringen ist.» Deshalb suchte man in der Nähe der Stadt Genf ein Stück Land und wurde in Cressy auch bald fündig.

Holz und Lehm
Die Genossenschaft strebt in ihrer Charta eine nachhaltige Bau- und Lebensweise an, die sparsam mit Ressourcen umgeht, konseuqent partizipativ ist und – entgegen dem vorherrschenden Hightech-Trend – bewusst auf Einfachheit setzt. Ihr erstes Haus baute Equilibre vorwiegend aus Holz, zum Dämmen wurden natürliche Materialien wie Zellulosewatte und Steinwolle verwendet. Auf Beton wurde weitgehend verzichtet, denn er ist problematisch: Die für die Herstellung benötigten Ressourcen Sand und Kies werden weltweit knapp, und die Produktion benötigt extrem viel Energie. Mit der alternativen Materialwahl sparte man in Cressy im Vergleich zu einem Betongebäude je etwa dreis­sig Prozent CO2-Emissionen und graue Ener­gie ein, also Energie, die für Herstellung, Transport, Lagerung und Entsorgung benötigt wird. Auch sonst wurden für Umwelt und Gesundheit unbedenkliche Materialien verbaut. Geheizt wird mit Fernwärme aus einer Müllverbrennungsanlage, der Strom­bedarf der Haushalte wird durch Photovoltaikanlagen gedeckt. Und bei der Architektur wurde auf optimale Sonnennutzung im Winter sowie Hitzeschutz im Sommer ge­achtet. Damit erreichte das Gebäude früh eine Zertifizierung nach dem Label Minergie-­P-Eco, das für energiearmes, gesundheits- und umweltfreundliches Bauen steht.
Noch weiter ging die Genossenschaft 2017 mit Soubeyran. Die Wurmkomposteranlage im Garten ist nämlich nur eine der Be­son­derheiten, durch die sich die sechsgeschossige Überbauung auszeichnet. Sie wurde aus vorfabrizierten Holz-Stroh-Lehm-Elementen erstellt, bei deren Einbau die Genos­senschaf­terinnen und Genossenschafter selber Hand anlegten; nur die Tragstruktur be­steht wegen Brandschutzvorschriften aus Beton. Uli Amos: «Wir wollten ein Referenzobjekt schaffen und zeigen, dass auch grosse Wohngebäude mit natürlichen Materialien gebaut ­werden können. Diese weisen nicht nur eine gute Ökobilanz auf, sie schaffen auch ein gesundes Wohnraumklima.» Ein Thema, das sonst bei vielen Bauträgern noch kaum auf dem Radar ist. Das Haus war zudem die erste Wohnsiedlung in Genf, wo die Bewohnenden den vor Ort produzierten Solarstrom mit einer Eigenverbrauchsgemein­schaft selber nutzen. Beim dritten Equilibre-Projekt Les Vergers wiederum erreichen die Gebäude sogar den Passivhausstandard (Mi­ner­gie-A), sie pro­duzieren also mehr Strom als im Gebäude verbraucht wird.

Beim Gebäude mit 38 Wohnungen in Soubeyran hat Equilibre gezeigt, dass Holz-Lehm-Bauten in diesem Massstab möglich sind. Im Garten wird mit einem natürlichen Filtersystem und der Hilfe vieler Regenwürmer das Abwasser aufbereitet.

Wie öko ist das Ökoquartier?
Dass die Equilibre-Bauten strenge Labelwerte spielend erreichen, versteht sich eigentlich von selbst. Auch Uli Amos findet es gut, dass solche Labels eingeführt wurden. «Das ­allein reicht allerdings nicht!», stellt sie fest. Weshalb, zeigt gerade Les Vergers. Das Ökoquartier ist in vielerlei Hinsicht zwar vor­bildlich, etwa mit seiner flusswasserbasierten Wärmeversorgung, einer fussgänger- und velo­freund­lichen Gestaltung und der par­ti­zipa­ti­ven Entwicklung (siehe Wohnen 4/2014). Auf ehemaligem Landwirtschaftsland bauen sieben gemeinnützige Bauträger und sechs private In­vestoren den neuen Stadtteil, der unter anderem 1350 Wohnungen in 30 Häusern für 3500 Menschen bietet. Der Passivhausstandard Minergie-A muss dabei in allen Gebäuden erreicht werden.
«Womit und wie man baut, ist allerdings kein Thema. Nicht rezyklierter Beton, Plastikputz oder Polyesterdämmungen sind aber ­sicher nicht ökologisch», stellt Uli Amos fest. Schade, habe man die Chance klarer Vorgaben hier vertan. Gut findet sie hingegen, dass die lokale Ernährung mitbedacht wurde. So gibt es unter anderem nicht nur mehrere Tau­send Quadratmeter Landwirtschaftsfläche, sondern auch Gewerberäume für Bäcker, ­Kä­serinnen und Metzger, elf Schrebergartenparzellen sowie einen mobilen Hühnerstall.

Label: Fluch oder Segen?
Das Beispiel zeigt, wo es beim nachhaltigen Bauen in der Schweiz noch harzt. Tatsächlich hat die Diskussion um Labels das Thema jahrelang dominiert. Die Labels ihrerseits waren lange einzig auf die Wärme- und Energieversorgung fokussiert. Das in den 1990er-Jahren entstandene Minergie-Label etwa hat in diesem Bereich durchaus positive Entwicklungen angestossen. Mittlerweile sind eine nachhaltige Stromversorgung und sparsame Heizsysteme für viele Baugenossenschaften selbstverständlich. Vor allem aber werden sie durch Fördergelder unterstützt und durch Gesetze eingefordert. Dies soll auch dazu beitragen, beim klimaschädlichen CO2 das Netto-Null-Ziel zu erreichen, das sich die Schweiz bis 2050 gesetzt hat – dann sollen nicht mehr Treibhausgase ausgestossen werden als durch natürliche und technische Speicher aufgenommen werden können.
Ganz anders sieht es bei anderen, ebenfalls klima- und umweltrelevanten Aspekten aus. Baubiologie, problematische Rohstoffe und graue Energie erhielten lange erstaunlich wenig Beachtung. Gesetzlich ­verankert sind sie erst recht nicht. Graue Energie taucht weder in der Energiestrategie 2050 des Bundes noch im CO2-Gesetz auf. Das ist problematisch, denn nachhaltige Heiz- und Energiesysteme sind zwar wichtig für den Klimaschutz, in modernen Gebäuden fällt aber mittlerweile die graue Energie meist stärker ins Gewicht als die Energie, die im ­Betrieb verbraucht wird. Und es gibt ein weiteres Problem: In bestehenden Gebäuden steckt viel graue Energie. In den Ökobilanzen von Ersatzbauten spielt bis jetzt aber keine Rolle, was abgerissen wird. Immer lauter fordern deshalb auch Architekten und Ener­gie­expertinnen, bestehende Gebäude als Ressource und nicht als Problem zu behandeln.

Mehr Bewegung
In den letzten Jahren ist nun Bewegung in die Sache gekommen. Auch bei den Labels und Standards, die Baugenossenschaften allerdings freiwillig anwenden. Minergie beispielsweise kennt seit 2007 den Zusatz Eco, womit gesundheitliche und bauökologische Kriterien berücksichtigt werden. Beim 2011 vom Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein lancierten SIA-Effizienzpfad Energie werden Zielwerte zu Erstellung, Betrieb und Mobilität definiert, und auch die 2000-Watt-Areale berücksichtigen neben einer nachhaltigen Wärme- und Energieversorgung die ­Mobilität. Baugenossenschaften spielen hier an vorderster Front mit und waren schon beim ersten, 2012 zertifizierten Areal Greencity in Zürich Leimbach wichtige Partner. Seit 2013 gibt es überdies den Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz (SNBS), der auf Bestehendem aufbaut und erstmals in einer Gesamtschau ökologische, soziale und ökonomische Faktoren von Gebäuden erfasst. Damit werden nun zum Beispiel auch die graue Energie, die Verwendung von lokalen oder recycelten Materialien und die ökologische Umgebungsqualität bewertet.
SNBS-zertifiziert sind schweizweit allerdings erst acht Gebäude, weitere siebzig sind in Prüfung. Für immerhin rund 470 Planungen oder Bauten haben bislang Bauträger das gratis nutzbare SNBS-Tool zur Selbstbewertung genutzt; 2020 wurden im Wohnungsbau so vier Prozent der neu gebauten Geschossflächen bewertet. Es gibt also Luft nach oben. Joe Luthiger, Geschäftsführer der SNBS-Trägerorganisation Netzwerk Nachhaltiges Bauen Schweiz NNBS, stellt fest, dass die Sensibilisierung gestiegen ist. Es müsse aber an­gesichts der Klimaerwärmung definitiv noch gewaltig mehr getan werden: «Man muss handeln, jetzt sofort! Bauträger müssen in die Breite und vor allem in Kreisläufen denken. Materialien ­müssen trenn- und rezyklierbar sein. So, wie wir bisher mit Ressourcen umgegangen sind, können wir nicht weiter­machen!» Deshalb ­begrüsst er auch Projekte, die ausserhalb von Zertifikaten innovative ­Lösungen suchen. Eine Art Weckruf hat übrigens im Oktober auch der SIA mit einem ­Positionspapier gemacht. Darin appelliert er ebenfalls an die Planenden, sich an Kreislaufwirtschaft, Ressourcenschonung und CO2-Neu­tralität zu orientieren.

Individuelle Kompostklos in Les Vergers: die «Kakarusselle» funktionieren gut und stinken nicht, sind aber für die Bewohnenden gewöhnungsbedürftig – und nicht jedermanns Sache.

Ganzheitliche Ansätze
Radikaler und in grösseren Zusammenhängen muss vermehrt gedacht werden, ob mit oder ohne Label. Das nehmen sich in den letzten Jahren auch immer mehr Genossenschaften zu Herzen. Gerade bei nachhaltigen Arealüberbauungen sind sie oft federführend, wo neben dem Wohnen auch Themen angegangen werden wie Mobilität, spar­samer Flächenkonsum, Teilmöglichkeiten, Nahversorgung, Ernährung und neuerdings auch biodiversitäts- und klimafreundliche Grünräume und Bauweisen. Zu nennen sind neben verschiedenen Ökoquartieren in der Westschweiz etwa Erlenmatt Ost, Lysbüchelareal und Westfeld in Basel sowie Holliger in Bern, wo sich jeweils mehrere Genossenschaften beteiligen, Hunzikerareal in Zürich und Hobelwerk in Winterthur der Genossenschaft «mehr als wohnen» oder die zwei Siedlungen der Kalkbreite in Zürich. Meist engagieren sich in ­solchen Projekten auch die Bewohnenden ­aktiv für Nachhaltigkeitsfragen.
In Sachen Innovation ist aber auch Equilibre noch längst nicht am Ende der Fahnenstange angelangt. «Es braucht weiterhin neue Konzepte. Zum Beispiel zur Frage, mit welchen Materialien man wo am besten baut – und woher diese stammen sollten,» sagt Uli Amos. Holzbauten etwa seien grundsätzlich besser als Betongebäude, da weniger graue Energie in ihnen steckt. Aber gilt das auch, wenn das Holz aus osteuropäischen Grossplantagen importiert wird? Oder so verleimt oder chemisch behandelt ist, dass es beim Rückbau nicht verwertbar, sondern als Sondermüll zu entsorgen ist? «Hier bräuchte es mehr ­Bewusstsein, und Transparenz bei der Deklaration», stellt sie fest.

Zurück in die Zukunft
Für die nächsten Projekte denkt die Coopérative Equilibre ­jedenfalls bereits weiter. Mitten in Presinge, einer Gemeinde am Genfersee, will sie zusammen mit zwei anderen Genossenschaften eine Ökosiedlung mit 140 Wohnungen er­stellen. Evaluiert wird derzeit, ob dabei Lehmsteine, Stampflehm oder massives Mau­erwerk zum Einsatz kommen sollen; vor ­allem aber steht ein Bauhüttenkonzept zur Diskussion, bei dem ganz wie früher mit ­traditionellem Handwerk und Material aus der Gegend die Baustoffe vor Ort hergestellt und verarbeitet werden können. Ein weiteres Projekt der Genossenschaft in Carouge setzt ganz auf Low-tech und Mas­siv­bauweise: Dort soll ganz auf eine ­herkömmliche Heizung verzichtet werden. Stattdessen speichern dicke Mauern und ein riesiger unterirdischer Wassertank genug Wärme, so dass auch im Winter sicher niemand frieren wird.
Es geht also spannend weiter. Was empfiehlt Uli Amos anderen Genossenschaften? «Es braucht eine klare Haltung. Und den Mut, Unkonventionelles auszuprobieren.» Man solle nicht aus Angst, etwas gehe nicht, von vornherein verzichten. «Unsere Wasser­kläranlagen waren nicht erlaubt – aber auch nicht verboten! Diesen Spielraum haben wir genutzt.» Die Regenwürmer danken es. Und auch die Umwelt.