
Es braucht bessere Lösungen für Lärmgeplagte Menschen
«Ruhiges Wohnen sollte für alle möglich sein»
Lärm macht krank und verursacht hohe Kosten. Für einen wirkungsvollen Lärmschutz setzt sich die Lärmliga Schweiz ein. Geschäftsleiterin Susan Glättli erklärt, was es dafür braucht.
Interview und Foto: Daniel Krucker | 2025/01
Wohnenextra: Lärm wird subjektiv wahrgenommen. Jemand ist vielleicht entzückt von einer Metal-Band, nervt sich aber über den Klangteppich vom nahen Freibad. Gibt es Lärmarten, die alle Menschen stören?
Susan Glättli: Ja, vor allem Lärmquellen oder Geräusche, die einen nachts wiederholt aufwachen lassen. Also plötzliche Geräusche wie das Zuknallen einer Autotür oder wenn unvermittelt herumgeschrien wird. Das ruft im Körper eine Alarmreaktion hervor und verursacht Stress. In der Nacht ist unser Körper besonders sensibel. Auch Dauerlärm, zum Beispiel von einer viel befahrenen Strasse oder Baulärm, ist für die meisten Menschen belastend. Studien zeigen zudem, dass Lärm gesundheitsschädlich wirkt, selbst wenn er von den Betroffenen nicht als störend wahrgenommen wird. Für Körper und Nervensystem ist es sehr wichtig, dass es Zeiten gibt, in denen verlässlich Stille einkehrt.
Die Lärmliga will die Öffentlichkeit vor gesundheitsschädigenden Auswirkungen unnötiger Lärmbelastung schützen. Was sind unnötige Lärmquellen?
Das «Autoposen» zum Beispiel: Die Fahrer:innen von PS-starken Boliden drehen Runden und lassen den Motor durch Rasen auf einer kurzen Strecke laut aufheulen. Das ist für Anwohner:innen extrem belastend und muss nicht sein. Die Lärmliga setzt sich deshalb für Lärmblitzer ein. Analog zu Tempoblitzern sind diese in der Lage, zu laute Fahrzeuge zu erfassen und zu fotografieren. Leider verzichtet der Bundesrat immer noch auf griffige Massnahmen. Auch Fluglärm beschäftigt uns. Es gibt zwar klare Vorschriften, trotzdem ist die Bevölkerung in den Anflugschneisen auch ausserhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Flugzeiten Fluglärm ausgesetzt. Die Nachtruhe ist aus unserer Sicht besonders wichtig. Und es gibt ein weiteres sensibles Thema: Kirchenglocken. Ihr Läuten hat zwar Tradition, ist aber nachts auch belastend. Einige Kirchgemeinden setzen das Geläute deshalb in den Nachtstunden aus.
Wegen der aktuellen Lärmschutzvorschriften liegen manche geplanten Bauprojekte von Genossenschaften auf Eis. Was schlägt die Lärmliga vor, damit auch an exponierten Standorten einigermassen ruhiges Wohnen möglich ist?
Bei Neubauten muss die Lärmexposition frühzeitig berücksichtigt werden. Jedes Gebäude braucht auf jeden Fall eine ruhige, vom Lärm abgewandte Seite, besser zwei. Ruhige Aussenräume sind ebenfalls wichtig fürs Wohlbefinden an eher lärmigen Standorten. Wenn Bewohnende aber von allen Seiten hoher Lärmbelastung ausgesetzt sind, sollten dort keine Bewilligungen für den Wohnungsbau erteilt werden, sondern andere Nutzungen geprüft werden. Moderne Lärmschutzfenster sind zwar sehr effektiv, sie isolieren aber auch sprichwörtlich. In lärmigen Quartieren kommt es oft zu einer sozialen Entmischung. Gesundes, ruhiges Wohnen sollte aber für alle Menschen möglich sein und nicht vom Portemonnaie abhängen.
Und wie erreicht man das?
Zum Beispiel mit Temporeduktionen oder dem Einbau von lärmarmen Belägen. Klar, das sind Infrastrukturprojekte, die über Jahrzehnte gedacht werden müssen. Sie lohnen sich aber, weil Verkehrslärm volkswirtschaftliche Kosten von jährlich 2,6 Milliarden Franken verursacht. In dieser Zahl spiegeln sich neben den Gesundheitskosten auch die Wertverluste bei Liegenschaften. Noch ein Wort zu den geltenden Lärmgrenzwerten: Nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen sind sie zu hoch angesetzt und müssten gesenkt werden. Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt viel tiefere Grenzwerte, ebenso die eidgenössische Kommission für Lärmbekämpfung, die dazu 2021 einen umfangreichen Bericht mit Empfehlungen publiziert hat. Die aktuell gültigen Werte bedeuten lediglich, dass alles, was darüber ist, inakzeptabel ist. Liegen die Messungen knapp darunter, heisst das nicht, dass die gemessene Lärmbelastung keine Gesundheitsschäden verursachen kann!
Kennen Sie Konzepte, die unsere Ortschaften generell ruhiger machen könnten?
Durchaus, zum Beispiel das sogenannte Umschliessen, bei dem Häuser einen Ring und in der Mitte einen lärmgeschützten Innenhof bilden. Oder man kann Aussenräume mit lärmabsorbierenden Materialien lebenswerter gestalten. Das sind typischerweise unversiegelte Böden; mit ihnen kann man Geräuschkulisse und Lärmausbreitung beeinflussen. Auch begrünte Fassaden und Pflanzen schlucken Lärm. Wasserflächen haben einen Einfluss, und dass Gebäude nicht in Reih und Glied parallel zueinander gebaut werden. Es gibt viele Synergien zwischen dem Konzept Schwammstadt und der Lärmminderung. Wenn man das zusammen denkt, sehe ich viel Potenzial gerade für städtische Plätze und Ortskerne.
Kann ich als Mieter:in einer lärmgeplagten Wohnung verlangen, dass Schutzmassnahmen ergriffen und umgesetzt werden?
Wenn die Lärmgrenzwerte am Fenster überschritten werden, müssen Massnahmen ergriffen werden. Die Frage ist dann, wer in der Verantwortung steht. Bei Strassenlärm ist der Eigentümer der Strasse – meist der Kanton oder die Gemeinde – zuständig. Im besten Fall wird eine Temporeduktion eingeführt oder ein lärmarmer Belag eingebaut. Es kommt auch vor, dass sich die Eigentümerschaft finanziell beim Einbau von Lärmschutzfenstern beteiligt.
Was ist Ihr Lieblingsgeräusch?
Wie viele Menschen mag ich das Geräusch von plätscherndem Wasser, und ich liebe Stimmen und Gesang. Das Hören ist ein unglaublich schöner Sinn, den man schulen und aktivieren kann. Zum Beispiel, indem man sich in seiner Umgebung oder seinem Zuhause hinstellt und einfach mal nur «loset».
Susan Glättli ist Geografin, Kommunikationsspezialistin und Musikerin. Sie hat in Unternehmen und Nonprofitorganisationen zu Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen kommuniziert und Netzwerke aufgebaut. Seit Januar 2025 ist sie Geschäftsleiterin der Lärmliga Schweiz.