Mit Liedern gegen die Bodenspekulation

«Songs of Grund & Boden»

Der Basler Jazzmusiker Kaspar von Grünigen komponiert für sein «Bottom Orchestra» Stücke, die sich mit existenziellen Fragen wie Arbeit und Wohnen befassen. Auch seine Erfahrungen als Mitgründer einer Wohnbaugenossenschaft fliessen in seine Werke ein.

Text: Béatrice Koch | Foto: Dominik Plüss | 2025/01

Kaspar von Grünigen ist Berufsmusiker. Seit bald zehn Jahren leitet er die Musikschule Jazz der Musik-Akademie Basel. Und er ist politisch engagiert. 2024 kandidierte er auf der Liste der Grünen für das Basler Parlament und setzte sich für die kantonale Musikvielfalt-Initiative ein. Politik und Musik gehören für von Grünigen zusammen. Das war schon so, als er als Student in Bern mit seinem Bruder in Mundart-Pop-Bands spielte: «Unsere Songs drehten sich nicht nur um Liebe, sondern griffen auch gesellschaftskritische Themen auf», sagt der 43-Jährige.
2015 komponierte er das erste explizit politische Programm für sein «Bottom Orchestra», das er im gleichen Jahr mit zehn Jazz­mu­si­ker:innen aus der Schweiz und aus Deutschland gegründet hatte. Der Name («bottom»: englisch für «unten») kann als Anspielung auf die Arbeiterklasse verstanden werden, aber auch auf von Grünigens Instrument, den Kontrabass: Er ist das tiefste aller Streichinstrumente und bildet das Fundament des Orchesters.

Gegen Spekulation und Mietmisere
Die erste Komposition, die von Grünigen für die Formation schrieb, waren die «Songs of Work». Sie befassen sich mit den Herausforderungen der neoliberalen Arbeitswelt und lehnen sich in Teilen an die Arbeiterkampflieder von Bertolt Brecht und Hanns Eisler an. Auf die Arbeit folgte das Wohnen: Im vergangenen Jahr präsentierte das mittlerweile auf 14 Personen angewachsene Orchester das Programm «Songs of Grund & Boden».
Darin geht es um Bodenspekulation und Mietmisere. Von Grünigen zitiert den Genfer Philosophen Jean-Jacques Rousseau, der vor 270 Jahren Landbesitz als den Ursprung der Ungleichheit zwischen den Menschen bezeichnete. Auch die kämpferische SP-Politike­rin Jacqueline Badran steuerte zwei Zitate bei. Bei den Aufführungen habe er nur positive Erfahrungen gemacht, sagt der Komponist: «Das klassische Jazzpublikum ist eher links, da brauche ich keine Angst zu haben, total aufzulaufen. Wer ganz anders tickt, kommt wohl gar nicht erst an unsere Konzerte.»

Gemeinschaft als Chance
Nicht zufällig wählte von Grünigen für sein zweites Programm das Thema Wohnen. 2018 hatte er mit seiner Frau, einem befreundeten Architektenpaar und weiteren Parteien die Wohnbaugenossenschaft «Feld4» auf dem Basler Lysbüchel-Areal gegründet. Seit 2022 wohnt er mit seiner Frau und den beiden Söhnen im Neubau mit neun Wohnungen und einem Gemeinschaftsraum. Am Genossenschaftsmodell interessiert ihn vor allem der gemeinschaftliche Aspekt und die positive Rolle für eine lebendige Stadtentwicklung, sagt von Grünigen. Als Gründungs­präsident war er aber derart absorbiert von Aufgaben wie dem Ausarbeiten der Statuten, dass diese Themen in den Hintergrund traten. «Im Musikprojekt kann ich sie wieder aufnehmen. Hier geht es für einmal nicht um Belegungsvorschriften und Quadratmeter, son­dern um die politische Botschaft.»
Nun sei Musik nicht der naheliegendste Kanal, um Themen wie Bodenökonomie und Eigentumsfragen zu transportieren, sagt von Grünigen. «Aber sie ist ein emotionaler Katalysator, der kritische Botschaften auch jenen Menschen näherbringen kann, die einfach ein Konzert besuchen.» Überhaupt sei der Jazz schon immer eng mit sozialen Umbrüchen und Ungerechtigkeiten verbunden ge­wesen: «Wer sich mit der Geschichte der afroamerikanischen Musik auseinandersetzt, kommt um solche Themen gar nicht herum.»

Heisst verdichten verdrängen?
Aufgewachsen ist von Grünigen im bernischen Zweisimmen als Sohn eines Forstingenieurs und einer Leh­rerin. Schon als Zehnjähriger wollte er Kontrabass spielen. Weil das Instrument aber an der Musikschule nicht angeboten wurde, wich er aufs Cello aus. Nach ein paar Semestern Germanistik und Theaterwissenschaften an der Universität Bern wechselte er für ein Musikstudium an die Jazzabteilung der Musik-Akademie Basel. Mittlerweile lebt er seit bald zwanzig Jahren am Rheinknie – lange genug, um die Gentrifizierung der Stadt, insbesondere Klein­basels, mitzuerleben. Auch das ist eine Frage, die ihn im Rahmen der Genossenschaftsgründung beschäftigte: Ist die Entwicklung des einstigen Industrieareals nur eine Chance? Oder entstehen durch die Verdichtung nicht auch Verdrängungseffekte?
Lysbüchel Süd gehört der Stiftung Habitat, in Basel eine wichtige Akteurin des gemeinnützigen Wohnungsbaus (siehe Seite 4) und unter anderem Eigentümerin des Jazzcampus, wo Kaspar von Grünigen arbeitet. Die Stiftung bebaute 2018 einen Teil des Areals selbst, für den Rest suchte sie Genossenschaften als Partnerinnen. In den vergangenen Jahren ist so ein buntes Nebeneinander unterschiedlicher Wohnformen für Jung und Alt entstanden. Trotz dieser Diversität befinde man sich sozial in einer privilegierten «Blase», findet von Grünigen: «Der Gross­teil der Bevölkerung hat­te gar keine Möglichkeit, sich auf die Ausschreibung mit ihren komplexen Anforderungen zu bewerben, das nötige Kapital aufzutreiben oder die viele ehrenamtliche Arbeit zu leisten, die das Modell der Selbstverwaltung mit sich bringt.» Immerhin könne er Teil eines Modells sein, das gemeinnützigen Wohnraum schafft – und dies sei gut für die Stadt und die Menschen, die hier wohnen.
Und mit welcher existenziellen Frage wird sich das Bottom Orchestra als nächstes beschäftigen? «Ich weiss noch nicht, was nach Arbeit und Wohnen kommt», sagt von Grünigen. Geplant sei eine Trilogie, aber es brauche Zeit, zumal die Organisation mit
einer so grossen Formation aufwendig sei. Als Alternative kann er sich ein «Lysbüchel-Pop-up-Orchester» vorstellen: weniger professionell als das Bottom Orchestra, dafür mit Menschen aus der Nachbarschaft.

Kaspar von Grünigen (43) ist Bassist und Jazzmusiker. Seit bald zwanzig Jahren lebt der politisch engagierte Musiker in Basel. Die Chancen, aber auch die Verdrängungseffekte der Stadtenwicklung beschäftigen ihn.