Traditionelle Wiesenpflege sorgt für mehr Biodiversität im Siedlungsraum

Ein Plädoyer für die Sense

Aus einem Wildbienen-Förderungsprojekt des WWF Zürich hat sich eine «Sensengruppe» entwickelt. Sie zeigt an verschiedenen Standorten auf, wie die traditionelle Form der Wiesenpflege die Biodiversität im Siedlungsraum fördert. Auch wenn das Handwerk des Sensenmähens erst erlernt werden muss.

Von Arno Gross | Bilder: Christine Dobler Gross, Arno Gross | August 2017

Die Geschichte des Mähens ist auch eine Geschichte des Verlusts an Biodiversität, der Vielfalt an Pflanzen und Tieren. Früher mähte man die Wiesen mit der Sense, um Futter für die Nutztiere zu gewinnen. Dann wurde der Balkenmäher entwickelt. Damit konnte ein Einzelner in kurzer Zeit eine grosse Fläche mähen. Für die Biodiversität der Wiese war diese Entwicklung keine grosse Beeinträchtigung. Das Schnittgut liess man trocknen, die verschiedenen Gräser und Kräuter konnten sich versamen, und die meisten Insekten überlebten. Heute dagegen rasen riesenhafte Maschinen über monotone Fettwiesen und spucken hinten weiss verpackte Siloballen aus mit allem drin, was vorher noch auf der Wiese herumhüpfte. Den ökonomischen Gewinn bezahlt die ursprüngliche Biodiversität.

Fatale Laubbläser und Fadenmäher
Fachleute sind sich einig: Je kleiner der natürliche Landschaftsraum wird und je mehr dessen Vielfalt abnimmt, umso wichtiger ist die Biodiversität im Siedlungsraum. Doch gerade dort wird sie von einem ziemlich irrationalen Sauberkeitswahn bedrängt, oft verbunden mit der Vorstellung, dass diese Sauberkeit nur mit immer raffinierterem Einsatz von Maschinen erreicht werden könne. Dabei wird diese oft sehr lärmige Arbeit auch noch ökonomisch begründet: es gehe schneller und sei deshalb billiger.
Wenn Laub unter einem Gebüsch von Mikroben, Pilzen, Würmern und anderen Kleinlebewesen zu Humus zersetzt wird, so dauert das natürlich länger, als wenn man den Boden «sauberbläst», dann sicherheitshalber noch mit Herbizid besprüht, damit ja nichts «Falsches» spriessen kann, und anschliessend die Fläche mit einer sterilen Mulchschicht schön abdeckt, damit es «sauber» aussieht und ganz sicher niemand reklamieren wird. Reklamieren, wenn sie das denn könnten, würden die Vögel, denen man mit diesem unsinnigen Eingriff die Nahrung vernichtet hat. Neben dem Laubbläser gibt es noch einen anderen «Schädling», den Fadenmäher. Dieser kommt überall dort zum Einsatz, wo der Rasenmäher nicht hinkommt, also an den Rändern, wo sich eine bescheidene Biodiversität entwickeln könnte, aber auch unter Gebüschen, wo der rotierende Nylonfaden neben Kleinlebewesen auch mal einen Igel treffen kann.

Selektive Mahd im Uferbereich des Nebelbachs in Zürich.

Wiedergeburt des Sensenmähens
Lässt sich dieser überflüssige Einsatz (Begründung: Die Leute wollen es so!) verhindern? Es gibt Hoffnung: Das Sensenmähen breitet sich aus! 2013 hat sich am Burghölzlihügel in Zürich aus einem Wildbienen-Förderungsprojekt des WWF eine Sensengruppe gebildet, die sich seither kontinuierlich weiterentwickelt und neue Projekte angepackt hat. Neu wird etwa auch ein Wiesenstück am Ufer des Nebelbachs im Auftrag von Grün Stadt Zürich von der Sensengruppe gemäht. Die jährlich wiederkehrenden Projekte sind auf unserer Website beschrieben, im Jahresrückblick sind sie zusammen mit allen anderen Aktivitäten der Gruppe ebenfalls dokumentiert.
Um was geht es? Stellen Sie sich Wiesenflächen vor, wo es blühen, summen und zirpen kann, Wiesen, die nur zweimal pro Jahr gemäht werden, Wiesen mit hohem Gras, wo der Rasenmäher nicht mehr durchkommt, der Einsatz eines Balkenmähers nicht gut möglich ist und wo deshalb üblicherweise der Fadenmäher seinen fatalen Auftritt hat und mit seinem rotierenden Nylonfaden auch Mäuse, Frösche, Blindschleichen und Ringelnattern trifft, die sich im hohen Gras aufhalten und sich zu wenig flach auf den Boden ducken können. Genau für solche Flächen im Siedlungsraum, auf denen eine Vielfalt an Arten gedeihen soll und kann, ist die Sense das richtige Werkzeug. Sie schneidet das Gras nicht so tief und gleitet deshalb meistens über diese Tiere hinweg, was ich am Nebelbach mit einer jungen Ringelnatter unter meiner Sense selbst erleben konnte, ein Glück für die Ringelnatter und den Senser.

Des Sensers Sense
Ist es schwierig, das Sensenhandwerk zu erlernen? In unserem letzten Sensenkurs erklärte uns Hansjörg von Känel, dass, wenn man es richtig macht, die Sense praktisch von selbst mäht, man ihr eigentlich nur noch hinterherlaufen müsse. Bei Hansjörg hat das tatsächlich fast so ausgesehen … Ein paar Voraussetzungen sind indes unerlässlich. Die Sense ist ein persönliches Werkzeug, das heisst, sie ist auf den Senser angepasst. Die Länge des Worbs, so wird der Holzstiel der Sense genannt, muss zunächst stimmen, dann muss das Sensenblatt in der richtigen Neigung am Worb befestigt sein, damit die Schneide die Grashalme im optimalen Winkel trifft.
Welche Form der in der Regel gekrümmte Worb haben soll, damit die Sense richtig in der Hand liegt, muss ausprobiert werden. Entsprechend der landschaftlichen Vielfalt haben sich in der Schweiz gegen 30 verschiedene Wörbe entwickelt, vom Berner Halbkrummen über den Ausserrhödler Worb bis zum geraden Tessinerworb. Wie wichtig eine persönlich angepasste Sense ist, bezeugt auch ein altes Mäher-Sprichwort: «Wer de Sens köfft nah de Klang, un de Fru nah de Gsang, is bedrog’n sin Leben lang!» In jener Zeit scheint die Sense den Männern vorbehalten gewesen zu sein. Weil die «Fruwen» bei den aktiveren Mitgliedern unserer Sensengruppe jedoch in der Mehrzahl sind, müsste heute dem Sprichwort wohl ein Update verpasst werden.

Diese Trespenwiese am Wehrenbach braucht nur einen Schnitt pro Jahr.

Platz für Naturwiesen schaffen
Zurück zu unserem Ziel, der Förderung der Biodiversität im Siedlungsraum: Sie ist auch bei den Baugenossenschaften ein wichtiges Thema. Die wenigsten Mieterinnen und Mieter bevorzugen sterile Rasenflächen, eingerahmt von viereckig geschnittenen Hecken, obwohl genau dieses leblose Umgebungsgrün im Siedlungsraum sehr häufig anzutreffen ist. Die grosse Mehrheit wünscht eine abwechslungsreich gestaltete Umgebung, in der begrenzte Rasenflächen ebenso Platz haben wie Gebüsche, Naturwiesen und Ruderalflächen.
Nichts spricht gegen die Aufwertung einer Teilfläche mit einem Naturwiesenbereich innerhalb einer grossen, ungenutzten Rasenfläche um eine Liegenschaft. Neben dem ökologischen Wert hätte die Hauswartung erst noch weniger Arbeit, denn die wöchentlich zu mähende Rasenfläche ist kleiner geworden. Weil die Gehölze in der Naturwiese integriert sind, gibt es dort nichts zu bläsern, und weil man den Liguster in der Hecke blühen lässt (wer weiss denn noch, wie wohlriechend ein blühender Liguster duftet?), muss man ihn auch nicht vierzehntäglich zurückschneiden. Ist eine Aufwertung der Grünfläche im Sinne einer höheren Biodiversität einmal erfolgt, so kostet deren Unterhalt weniger als vorher, da viele überflüssige Eingriffe entfallen können.
Und sollte in Ihrer Genossenschaft dann der Senser oder die Senserin fehlen, wird man vielleicht bei der Sensengruppe fündig. Lassen Sie sich von uns inspirieren! Weitere Informationen zur Sensengruppe Zürich finden Sie unter: www.sensengruppe.ch.