Die Stadt Bern testet in der Überbauung Stöckacker Süd erfolgreich dezentrales Abwasserrecycling

Vom Badezimmer auf die Blumenwiese

Bis zu 15 000 Liter Trinkwasser täglich will die Stadt Bern in ihrer Wohnüberbauung Stöckacker Süd künftig sparen. Drei Jahre lang erprobte sie die Aufbereitung des Abwassers aus Toiletten, von Waschmaschinen und aus Küchen vor Ort. Das Pilotprojekt zeigt, dass dezentrale Anlagen gut funktionieren, wenn sich die Bewohnenden an Grundregeln halten.

Von Thomas Bürgisser | Bilder: vistadoc gmbh, Autark Engineering | September 2021

In der städtischen Wohnüberbauung Stöck­acker Süd in Bern sollen die Grünanlagen bald mit Abwasser bewässert werden – mit recyceltem Abwasser aus Eigenproduktion. 2017 wurde die Siedlung mit 146 Mietwohnungen fertiggestellt, als erstes 2000-Watt-Areal im Kanton. Bereits bei der Ausschreibung machte die Stadt klar, dass sie auch im Wassermanagement mit einer Pilotanlage zur ökologischen Abwasserbehandlung und -wiederverwertung neue Wege beschreiten will. «Ziel war es, Forschung unter realen Bedingungen zu ermöglichen und so einen entscheidenden Beitrag zur Förderung neuer technischer Entwicklungen im Bereich des dezentralen Abwassermanagements zu leisten», so Elsi Hischier, Teamleiterin Nachhaltiges Immobilienmanagement bei Immobilien Stadt Bern.
Ein solches «Living-Lab» sei in der Schweiz als Türöffner enorm willkommen, sagt Nanchoz Zimmermann, der das Pilotprojekt im Auftrag von Immobilien Stadt Bern leitete. Der Ingenieur hat mit seinem Unternehmen Autark Engineering bereits Wasserrecyclinganlagen weltweit erstellt. «Hierzulande aber existieren anders als in vielen anderen Ländern nicht einmal Normen für Recyclingwasser.» Dabei ist er überzeugt, dass dezentrales Wassermanagement zukünftig entscheidend ist für eine nachhaltige Stadtentwicklung. «Grünflächen werden in urbanen Gebieten immer wichtiger, für mehr Biodiversität sowie ein verbessertes Mikroklima. Dieses heizt sich aufgrund des Klimawandels in Städten besonders auf. Um solche grünen Inseln zwischen Betonmauern unterhalten zu können, ist Abwasser aus Siedlungen vor Ort ideal – es ist stets verfügbar und nährstoffreich.» Hinzu komme die Häufung von Wetterextremen mit längeren Trockenperioden und starken Regenfällen, die das bestehende Abwassersystem zunehmend herausfordern würden. «Dezentrale Anlagen, die unabhängig von Regenwasser funktionieren, können hier entlasten.»

Unter einem Wendeplatz wurden auf einer Fläche von 60 Quadratmetern acht Bioreaktoren eingelassen. In ihnen wird das Grau- und das Schwarzwasser aus 50 Wohnungen, zwei Kita-Gruppen und einem Bistro gereinigt.

Wärmeisolierte Abflussrohre für anaerobe Methode
Einer der zentralen Punkte der Versuchsreihe war, einen möglichst einfachen Betrieb zu gewährleisten. Normalerweise wird das Abwasser in grossen Abwasserreinigungsanlagen (ARA) weitgehend aerob gereinigt: Die Moleküle werden unter Beigabe von Sauerstoff mineralisiert. «Das geht relativ schnell und zuverlässig, erfordert jedoch eine enge Begleitung, weil Sauerstoffzufuhr und Mikrobenmenge laufend dem Verschmutzungsgrad angepasst werden müssen», sagt Zimmermann. Bei der Anlage in der Siedlung Stöckacker Süd arbeitet er deshalb in erster Linie mit einem anaeroben Verfahren, also ohne Sauerstoff. Insgesamt soll die gewünschte Wasserqualität durch eine geschickte Kombination von Reinigungstechnologien mit minimalem Prozessaufwand und Energieverbrauch erreicht werden.
Das Pilotprojekt wurde so dimensioniert, dass das gesamte Abwasser von einem der insgesamt drei Stöckackergebäude aufbereitet wird; es umfasst 50 Wohnungen, zwei Kita-Gruppen und ein Bistro. Vier Wochen dauerten die Tiefbauarbeiten, um unter einem Wendeplatz auf einer Fläche von 60 Quadratmetern die Bioreaktoren einzulassen. Hierhin gelangt das Grau- und das Schwarzwasser aus den Toiletten, Badezimmern, Waschmaschinen und Spülbecken durch eine wärmeisolierte Hauskanalisation. «So machen wir uns die Wärme aus den Haushalten zunutze, denn für effiziente anaerobe Stoffwechselvorgänge sind Wassertemperaturen von über 20 Grad Voraussetzung.» In der ebenfalls gedämmten Anlage durch­fliesst das Abwasser zuerst zwei Tanks, wo sich die Feststoffe absetzen und von Bakterien zerkleinert werden. In acht anaeroben Bioreaktoren kümmern sich dann weitere Mikroorganismen um den Ab- und Umbau organischer Bestandteile, bevor in einem letzten biologischen Reinigungsschritt doch noch die aerobe Methode zum Zug kommt. «Bis dahin ist die Beschaffenheit des Abwassers so stabil, dass der Sauerstoff ohne aufwändige Prozesskontrolle konstant eingeblasen werden kann.» Zuletzt werden mit Sand- und Aktivkohlefiltern noch Schwebteilchen beziehungsweise Mikroverunreinigungen entfernt, dann kommt das Recyclingwasser in einen Sammeltank. Gesteuert wird alles von einem Technikraum im Keller des angrenzenden Gebäudes.

Feuchttücher sind tabu
Dreieinhalb Jahre, bis Mai 2021, wurde geforscht und justiert, begleitet von mehreren studentischen Bachelor- und Masterarbeiten. Dabei ging es um das Testen und Verifizieren von verschiedenen Anlageanpassungen, aber auch um die Kommunikation mit den Bewohnenden. «Diese wurden mit einer Broschüre und an regelmässigen Anlässen über die Anlage informiert», führt Hischier von Immobilien Stadt Bern aus. Die Einschränkungen im Alltag seien zwar klein, auf Reinigungs- oder Pflegeprodukte mit antibakteriellen Stoffen aber sollte möglichst verzichtet werden, sagt Zimmermann. «Auch dürfen grössere Fettmengen und mikrobiell nicht abbaubare Produkte wie Feucht­tücher nicht über das Abwasser entsorgt werden.» Vor allem Letztere seien Gift für jede Kläranlage und auch hier die grösste Herausforderung gewesen. «Zwischenzeitlich musste ich die Anlage wöchentlich manuell von Feucht­tüchern befreien», erzählt er.
Bis im Frühling 2022 will Immobilien Stadt Bern die Bewohnerschaft nun nochmals aktiv für diese Thematik sensibilisieren. Dann soll die Forschungsanlage in den Dauerbetrieb übergehen, sofern der Kanton die Zustimmung dazu gibt. Die regelmässigen Analysen des Abwassers hätten gezeigt, dass die Ablaufqualität des Wassers stimme. «Wir können die in der Gewässerschutzverordnung festgehaltenen Ablaufnormen für Kleinkläranlagen gut erreichen und sogar Mikroverunreinigungen aus dem Abwasser entfernen», so Zimmermann. Gleichzeitig betont er, die Rechtslage sei aufgrund der fehlenden Normen für Recyclingwasser allerdings unklar.

Stöckacker Süd ist nicht nur in Sachen Wasseraufberei-tung Pionierin; die Siedlung ist auch das erste 2000-Watt-Areal im Kanton Bern und erfüllt die Nachhaltigkeits-kriterien von Minergie-P-Eco.

Wirtschaftlichkeit zu untersuchen
Erst wenn das gereinigte Wasser zur Bewässerung eingesetzt werden kann, lässt sich gemäss Hischier auch die Wirtschaftlichkeit der An­lage beurteilen. Die genauen Aufwendungen wurden bisher zwar nicht kommuniziert. 250 000 Franken Gewinnsumme aus einem kantonalen Förderwettbewerb flossen aber vollumfänglich in die Wasseraufbereitungsanlage. Die restliche Investition belaufe sich auf einen niedrigen sechsstelligen Betrag, sagt Hischier; die Hälfte davon entfiel auf die Kanalisationsanschlussgebühren. In der Schweiz besteht in der Bauzone ein Zwang zum Anschluss an die Kanalisation.
Bis jetzt wurde das geklärte Abwasser komplett in die Kanalisation zurückgeführt. Die in dem Pilotgebäude täglich anfallenden 10 000 bis 15 000 Liter Abwasser reichen für die Bewässerung der gesamten Siedlungsgrünflächen an einem sonnigen Sommertag aus. Eine entsprechende Menge Trinkwasser könnte also künftig eingespart werden. Dieser Einsparung gegenüber stehen neben den Erstellungs- auch die Betriebs- und Unterhaltskosten. Wie hoch diese im Dauerbetrieb sein werden, ist noch unklar. Sie betreffen unter anderem die externe Anlagenbetreuung, die regelmässige Wartung verschiedener Komponenten sowie die jährliche Entnahme des Klärschlamms. Dieser wird der ARA zur Verarbeitung abgegeben und dann als Biomasse in der Kehrichtverbrennungsanlage verbrannt.

Noch viel Potenzial
Es ist geplant, die Wirtschaftlichkeit der Anlage nun ebenfalls im Rahmen einer Bachelorarbeit zu untersuchen. Auch soll die Anlage weiterhin allgemein zu Forschungs- und Entwicklungszwecken sowie für andere Projekte als Anschauungsbetrieb dienen. Immobilien Stadt Bern plant momentan aber keine weiteren Projekte mit entsprechenden Anlagen. Zimmermann erhofft sich dennoch viele Nachahmer. «Wir haben nun gezeigt, dass so eine Anlage im Siedlungsraum funktioniert. Im Grundsatz lässt sich das überall realisieren, wenn auch am einfachsten bei Neubauten.» Eins-zu-eins kopierbar aber sei die Anlage nicht. «Das individuelle Abwasser aus einer Siedlung hat immer auch Einfluss auf den Anlageaufbau, ebenso die geplante Wiederverwertung des gereinigten Wassers.» Der Einsatz von Recyclingabwasser für Toilettenspülungen zum Beispiel sei besonders wassersparend und neben der Grünflächenbewässerung die derzeit wohl interessanteste Option. Aufgrund der 20 Grad Mindesttemperatur des Abwassers sei ausserdem eine Wärmerückführung ins Gebäude energietechnisch sehr interessant.
Der Ingenieur ist denn auch überzeugt, dass das Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft ist. «Im Gegenteil. Das dezentrale Recycling könnte quasi der nächste Evolutionsschritt im Abwassermanagement sein, auch wenn sich dafür im Bereich Normierung und Gebühren noch einiges bewegen muss.»

Neue Broschüre zu alternativen Toilettensystemen

Die Genfer Genossenschaft Equilibre hat in drei Wohngebäuden alternative Toiletten- und Wasseraufbereitungssysteme erprobt. Ein Merkblatt fasst nun die Erkenntnisse zusammen und zeigt auf, welche Systeme sich wofür eignen

Obschon mit dem heutigen Abwassersystem viele Ressourcen verschleudert werden und hohe Kosten entstehen, gibt es kaum valable Alternativmodelle. Die Genfer Genossenschaft Equilibre wollte sich damit nicht zufriedengeben und hat deshalb in drei Wohnüberbauungen verschiedene Lösungen getestet (siehe auch Wohnenextra April 2021). Eine Auswertung zeigt nun: Komposttoiletten und Wasseraufbereitung vor Ort funktionieren gut in städtischen Gebieten. Sie sind insgesamt kostengünstiger, sparsamer und umweltfreundlicher als herkömmliche Lösungen und erzielen eine gute Reinigungsqualität. Equilibre geht denn auch davon aus, dass es bald möglich sein wird, ganze Städte mit autonomen, ökologischen Abwasser­entsorgungssystemen auszustatten. Um ihre Erkenntnisse auch anderen Bauträgern zugänglich zu machen, hat die Genossenschaft mit Unterstützung des Bundesamts für Wohnungswesen (BWO) ein illustriertes Merkblatt herausgegeben, das die entwickelten Systeme erläutert und bezüglich Vorteilen, Nachteilen und Kosten miteinander sowie mit der Schwemmkanalisation vergleicht.

Eignung der drei Systeme
In ihrem ersten Haus in Cressy hat Equilibre 2011 für jede der 13 Wohnungen eigene Wurmkomposttonnen im Keller des Gebäudes installiert. Das System wird von den Bewohnenden sehr gut angenommen, weil es einfach zu bedienen und wartungsarm ist. Aufgrund der Anordnung der Rohrleitungen eignet es sich aber nur für Gebäude mit maximal vier Stockwerken.
Für grössere Gebäude besser geeignet ist das zweite System mit einer zentralen Kompostierungsanlage mit mehrstufigem Filtersystem, das 2017 in der Genfer Überbauung Soubeyran mit
38 Wohnungen in Betrieb genommen wurde. Allerdings ist dafür ein grosser Aussenbereich erforderlich. Das System wurde 2018 mit dem kantonalen Preis für nachhaltige Entwicklung ausgezeichnet und wird derzeit an mehreren anderen Standorten installiert.
Für ihre neuste Überbauung in Meyrin mit 65 Wohnungen wollte Equilibre ein einfaches und kostengünstiges System entwickeln, das sich für jede beliebige Standardwohnung mit normalen WC-Räumen und Technikschächten eignet. Zum Einsatz kommen dort Trennschüsseln, die Urin und Fäkalien trennen. Der Urin wird in grosse Aktivkohlefilter im Erdgeschoss geleitet, wo er von Bakterien in Düngemittel umgewandelt wird. Die Fäkalien werden vor Ort, in «Kakaroussellen» direkt unter dem Toilettensitz, gesammelt und von Würmern innerhalb eines Monats in geruchlosen Kompost verwandelt. Dieses System verbraucht sehr wenig Wasser, ermöglicht die Herstellung nutzbarer Produkte und hat niedrige Betriebskosten. Es erfordert aber von den Benutzenden eine gewisse Anpassungsbereitschaft, ist anspruchsvoller in der Handhabung und benötigt einen eigenen Raum für die Düngerherstellung. Es ist daher für eine breite Anwendung weniger geeignet als die anderen beiden Systeme. Sein grosser Vorteil liegt jedoch darin, dass es auch in bestehende Gebäude eingebaut werden kann, weshalb die Genossenschaft an der Weiterentwicklung arbeitet.

Hier geht's zum Merkblatt "Komposttoiletten in städtischen Gebieten? Das gelingt!"