
Die neuen Genossenschaftsküchen bestechen durch Planungsqualität und Vielfalt
Herz der Wohnung
Sind die Küchen in Genossenschaftswohnungen langweilig? Eine Umschau in neuen Wohnsiedlungen zeigt: Grelle Farben findet man keine, dafür eine erstaunliche Vielfalt an Grundrisslösungen. Und eine junge Basler Genossenschaft sprengt die Konventionen.
Von Richard Liechti | Bilder: Hanspeter Schiess, Beat Bühler, Roland Bernath, Theodor Stalder, Roger Frei, Walter Mair, zVg | März 2018
Wohn- oder Arbeitsküche? Diese Diskussion bewegte die Genossenschaftswelt in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Während die einen auf die soziale Bedeutung des gemeinschaftlichen Küchenraums verwiesen, fochten die Vertreter des Neuen Bauens für eine «Laborküche», die ganz auf die Arbeitsabläufe und die Hygiene ausgerichtet war. Die Pragmatiker gewannen – mit Folgen für zehntausende von Genossenschaftswohnungen: Vom Reihenhaus der 1920er-Jahre bis zur 1960er-Jahre-Massenwohnung finden sich durchrationalisierte Miniküchen, die kaum Platz für eine Frühstücksnische lassen.
Neue Offenheit passt nicht allen
In den Zeiten der Hochkonjunktur wendete sich das Blatt. Die halboffene Küche mit dem anschliessenden Essplatz trat zum Siegeszug an. Heute ist die geschlossene Küche fast Geschichte. Bisweilen steht die Küchenzeile gar mitten im Wohnzimmer wie ein Büchergestell oder die verfemte Wohnwand der 1970er-Jahre. Dabei ist es kein Geheimnis, dass solche Küchen bei vielen Mieterinnen und Mietern wenig beliebt sind. Nicht nur, dass sie dem Bedürfnis nach Rückzugsmöglichkeiten widersprechen. Man mag beim Essen nicht auf die unaufgeräumte Küche schauen, fürchtet Gerüche im Wohnraum und Fettspritzer auf dem Parkett.
Baugenossenschaften setzen deshalb auf die unterschiedlichsten Zwischenlösungen: etwa dass man die Küche an den Rand des Wohnzimmers verlegt und dieses dadurch optisch verlängert. Oder dass man Grundrisse so entwirft, dass sich Winkel und Nischen eröffnen, wo die Küche etwas versteckt Platz findet – nicht selten beim Terrassenzugang oder bei einer Fensterfront, was nicht zuletzt das Lüften erleichtert. Oft schaffen auch geschickt platzierte Möbel Abstand zwischen Küche und Wohnraum, wobei ein dicker Korpus leicht dominant wirken kann.

Ein Teil der Küchenzeile trennt den Koch-Ess-Raum vom übrigen Wohnzimmerbereich. Er ist so bemessen, dass auch der Familientisch Platz hat (Genossenschaft Hofgarten, Greencity, Zürich, Haus B3S, 2017; Architektur: Adrian Streich Architekten AG, Zürich).

Die Küche bildet den Mittelpunkt der Alterswohnungen. Dank Schiebetüren kann sie wahlweise in eine offene, eine halboffene oder eine geschlossene Küche verwandelt werden (Baugenossenschaft des eidgenössischen Personals Zürich, Siedlung Hofächer, Schlieren, 2015; Architektur: Haerle Hubacher Architekten BSA, Zürich).

Zwei Hauptwohnräume sind als «fliessender Raum» angeordnet. Deshalb wählte man auch im Küchenbereich Parkett, und zwar in der geölten Ausführung (ABZ, Siedlung Balberstrasse 2, Zürich, 2015; Architektur: raumfindung architekten eth bsa sia, Rapperswil).
Von Patio bis Schiebewand
Wichtig ist in jedem Fall: Der Esstisch soll in unmittelbarer Nähe zur Kochstelle Platz finden – und wenn er vom übrigen Wohnteil etwas abgetrennt ist, umso besser. So nähert sich etwa das Wohngefühl in der fast U-förmigen Küche der Genossenschaft Hofgarten im Greencity-Neubau B3S der geschlossenen Küche an. Die Alterswohnungen der BEP in Dietikon bieten gar alle Optionen: Sie lassen sich mit Schiebewänden von der übrigen Wohnung abtrennen. Auch das Postulat der flexiblen Nutzung der Wohnräume zeigt Wirkung: So liegen Küchen immer öfter mitten in der Wohnung, als Bindeglied zwischen zwei neutralen Räumen, die je nach Belieben für das Essen, das Wohnen oder das Arbeiten genutzt werden – im Falle der Neubauten der Bau- und Siedlungsgenossenschaft Höngg grenzt teils gar ein Patio an, der für Licht und Frischluft sorgt (siehe weiter unten).
In welcher Ausformung auch immer – die offene oder halboffene Küche stellt hohe Ansprüche an die Gestaltung. Grasgrüne Fronten mitten im Wohnzimmer würden die übrige Möblierung ob ihrer Wucht erschlagen. Wie elegant ein offener Koch-Ess-Wohnraum daherkommen kann, zeigt etwa die Neubausiedlung Muggenbühl der Baugenossenschaft St. Jakob, wo dunkler Parkett einen Kontrast zur hellen Küchenzeile setzt. Die Böden sind nicht zu vergessen: «Aus einem Guss» lautet hier die Regel. Parkett zieht sich vom Wohnraum bis vor den Herd, der schmale Streifen Platten vor der Küchenzeile kommt zusehends aus der Mode. Manche Architekten passen das Wohnen aber auch der Küche an und gestalten gleich den ganzen Wohnraum mit Natursteinplatten, wie es in südlichen Ländern die Regel ist. Innovative oder besonders sparsame Wohnsiedlungen erproben den Fliessbelag Anhydrit oder begnügen sich mit einem Betonanstrich.

Im Kopfbau dieser Siedlung erstellte man Maisonnettewohnungen, die aus Lärmschutzgründen über einen Patio mit Licht und Luft versorgt werden. Die Küchen bilden einen schmalen Übergang zwischen zwei Wohnräumen (Bau- und Siedlungsgenossenschaft Höngg, Siedlung Wohnen im Stadtblick, Zürich, 2017; Architektur: Steib & Geschwentner Architekten AG, Zürich).

Die Küchen bilden das Zentrum der Wohnung. Sie liegen zwischen zwei flexibel nutzbaren Räumen. Besonders stimmungsvoll ist das Mansardengeschoss mit den überhohen Räumen.
Die Böden wurden mit einem Anstrich versehen und versiegelt (Coopérative Narcisse Jaune, Wohnpark Les Amis, Biel, 1. Etappe 2016; Architektur: mlzd, Biel).

Aus der Dreiecksform der Gebäude – sie sorgt für Panoramasicht bei allen Wohnungen – ergab sich eine Abfolge von aneinandergekoppelten Räumen, zu denen auch der offene Küchen- und Essbereich zählt. Der Boden besteht aus aufs Korn geschliffenem versiegeltem Anhydrit (Mieter-Baugenossenschaft Wädenswil, Siedlung Neudorf, Wädenswil, 2017; Architektur: Esch Sintzel GmbH Architekten ETH BSA, Zürich).
Parkett in der Küche?
Ein Holzboden dort, wo Wasser spritzt und heisses Öl aus der Pfanne zischt? Tatsächlich nützt sich Parkett in Küchen schneller ab und weist rascher unschöne Verfärbungen auf. Deshalb ist es wichtig, dass man ein Qualitätsprodukt wählt, das sich mehrmals abschleifen lässt. Die ABZ etwa hat bei der Neubausiedlung Balberstrasse erstmals Parkett im gesamten Wohn-Ess-Koch-Raum eingesetzt, und zwar aus gestalterischen Gründen, besteht dieser doch aus zwei ineinanderfliessenden Zimmern. Dabei wählte man geöltes Parkett, das weniger anfällig für Feuchtigkeitsschäden ist – von der Mieterschaft aber ein gewisses Wissen um die Pflege verlangt.
Bei der Zweijahresgarantiekontrolle habe man kaum Beeinträchtigungen festgestellt, lautet die erste Bilanz. Trotzdem bleibt man bei der ABZ vorsichtig. So hat man im Neubau an der Toblerstrasse zwar wiederum auf geöltes Parkett gesetzt, in der halboffenen Küche aber Keramikplatten verlegt. Auf Experimente mit anderen Belägen verzichtet die ABZ nicht zuletzt aus Rücksicht auf den Mietergeschmack. Beim Anhydrit machen Genossenschaften auch sonst zwiespältige Erfahrungen. Das Aufbringen des Fliessbelags ist anspruchsvoll. Ästhetische Beeinträchtigungen oder gar Risse treten immer wieder auf.
Sorgfältige Planung
Bei Farbe und Design sind Genossenschaften seit je zurückhaltend. Ist die Genossenschaftsküche also langweilig, wie es bisweilen heisst? Die hier gezeigten Bilder beweisen das Gegenteil. Nicht grelle Farben und teure Geräte machen den Unterschied, sondern die sorgfältige Planung mit der Vielfalt der Grundrisse, die darauf abzielen, die Alltagsbedürfnisse der Mieterschaft zu befriedigen. Manche wagen trotzdem Neues: Die Sperrholzküchen im Neubau der Genossenschaft Zimmerfrei zeigen, dass der Gestaltungsspielraum nicht ausgereizt ist.
StadtErle: 16-Zimmer-WG und Sperrholzküche
Im neuen Erlenmattquartier in Basel ist kürzlich ein innovatives Wohnprojekt fertiggestellt worden. Im Neubau «StadtErle» hat die Wohngenossenschaft Zimmerfrei ein Angebot geschaffen, das von der 1-Zimmer- bis zur 16-Zimmer-WG-Wohnung reicht. Nicht alltäglich ist auch die Materialwahl: Sichtbeton bei Wohnungstrennwänden und Decken kontrastiert mit Seekieferoberflächen bei den Zimmertrennwänden. Im gleichen einfachen Seekiefersperrholz sind auch die Küchen gehalten. Sie sind in der StadtErle umso wichtiger, als sie in allen Wohnungen an zentraler Lage angeordnet und von den Lauben, die der Erschliessung dienen, einsehbar sind. Gerade in den Grosswohnungen dienen die Küchen aber auch der Gemeinschaftlichkeit. Das Architekturbüro Buchner Bründler entwickelte in einem partizipativen Prozess eine Farbpalette, so dass die Erstmieter entscheiden konnten, ob sie die Küche unbehandelt, in Rosa, Rot, Türkis oder Grün möchten. Die gegenüberliegende Wand ist jeweils in der gleichen Farbe gestaltet.
Die Materialwahl in der StadtErle sei als Teil des Gebäudekonzepts zu verstehen, erklären die Architekten. Es handelt sich nämlich um einen Beton-Holz-Hybridbau, der aus unterhaltsarmen und langlebigen Industriematerialien besteht. Ein wichtiger Punkt sind die Kosten, musste die Genossenschaft doch mit einer Überarbeitung des Projekts drei Millionen Franken einsparen und deshalb etwa auf den geplanten reinen Holzbau verzichten. Die gesamten Böden, auch im Küchenbereich, bestehen aus geschliffenen Hartbetonbelägen, die mit einem Steinöl versiegelt sind. Damit hat man gute Erfahrungen in Bezug auf die Wasserfestigkeit gemacht. Eine Einzelanfertigung sind schliesslich die in Eiche gehaltenen Griffe.
