Küchen fürs Alter: Was zeichnet sie aus?

Kleine Anpassungen mit grosser Wirkung

Wie sollte eine Küche ausgestattet sein, damit auch ältere Menschen sich darin zurechtfinden? Besonderes Augenmerk legen Wohnbau­genossenschaften auf eine optimale Beleuchtung, eine gute Ergonomie und eine anpassbare Bauweise. Und es ist ihnen wichtig, dass sich altersgerechte Küchen äusserlich kaum von anderen unterscheiden.

Von Jürg Zulliger | Bilder: Véronique Hoegger, Gaiwo, Fachstelle Hindernisfreie Architektur | 2022/02

Die meisten Menschen möchten so lange wie möglich individuell und selbstbestimmt wohnen können. Eine Voraussetzung dafür sind altersgerechte Küchen, die bedienungsfreundlich, pflegeleicht und frei von Barrieren sind – so zumindest die Theorie. Aber woran orientieren sich Wohnbaugenossenschaften, wenn sie Küchen planen? Richten sie Küchen, in denen sich auch Senioren wohlfühlen sollen, anders ein als andere? Eine kleine Umfrage zeigt: Weil die Bedürfnisse sehr individuell sind, will man Wohnungen eher nicht als sogenannte Alterswohnungen planen. Und die Anpassungen, die an den Küchen vorgenommen werden, sind so minim, dass man sie kaum sieht.
Die Genossenschaft Sunnige Hof hat sich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt. Im Februar 2020 hat sie den Neubau «DasHaus» in Zürich-Albisrieden eingeweiht. Das Konzept umfasst 66 altersgerechte Wohnungen mit Dienstleistungen wie Concierge, Fitnessraum und Sauna. Teil des Projekts sind weitere Wohnungen, Gewerberäume, ein Restaurant sowie eine separate Abteilung mit Pflegedienstleistungen. Dabei haben die Architektinnen und Projektverantwortlichen viel in die Qualität und in die Details der Innenausstattung der altersgerechten Wohnungen investiert. «Besonders für die Nasszellen und die Küche haben wir zudem eine externe Fachberatung miteinbezogen», sagt Katrin Gondeck, Architektin und Leiterin Bau beim Sunnige Hof.

In den Küchen der Gaiwo sind ­neben den Schubladen auch ­andere Flächen ausfahrbar. Die Oberschränke sind leicht nach ­unten versetzt und ­damit leichter ­zugänglich, der Kochherd ist mit Drehschaltern anstelle eines Touch-Screens ausgestattet. Unter­fahrbare ­Spülen hingegen sind nicht standardmässigvorgesehen.

Auf die Details kommt es an
Von Anfang an sei beim Projekt die Frage im Raum gestanden, ob zusätzliche Hilfen und Anpassungen fürs Alter sofort ins Auge springen sollen oder nicht. «Wer eine Wohnung besichtigt, möchte aber nicht gerade daran erinnert werden, dass er später einmal auf Hilfe und Pflege angewiesen sein könnte», sagt Gondeck. Tatsächlich zeigt sich vor Ort, dass die in der Küche vorgenommenen Verbesserungen optisch kaum sichtbar sind. Die Küchen sind grosszügig konzipiert, überdurchschnittlich ausgestattet und sehr gut beleuchtet. Fachleuten zufolge ist eine ausreichende und nicht blendende Beleuchtung gut für die Augen, ausserdem erleichtert sie die Arbeitsabläufe. Wichtig ist, dass das Licht möglichst regelmässig und linear auf die Oberflächen trifft (und eben nicht punktförmig mit einzelnen Spots). Damit sich die Bewohnerinnen und Bewohner auch bei schlechterer Sehkraft gut orientieren können, sind zudem klare Kontraste in der Farbgebung eine grosse Hilfe.
Die Bauherrschaft entschied sich beim Neubau für gute Küchengeräte, die sich aber nicht von denjenigen in anderen Küchen unterscheiden. Von Vorteil ist der hoch liegende Backofen, der so gut bedienbar ist. Wichtig sind auch ausziehbare Elemente anstelle konventioneller Küchenkästchen mit Drehtüren und Ablagen. Der Kochherd verfügt über grosse und gut beschriftete Drehknöpfe, und alle Küchenmöbel sind durchweg mit hochwertigen Griffen mit sehr guter Haptik ausgestattet. Gondeck zufolge wäre es in den Alterswohnungen nicht in Frage gekommen, grifflose Elemente zu wählen, bloss weil dies etwas hübscher aussieht. Ein erstes Fazit: Die Küchen sind vielseitig nutzbar, und die Mieterinnen und Mieter bekommen ein optimales «Gesamtpaket»: Die Wohnungen sind hindernisfrei und schwellenlos, und auch ein Notruf-Taster an eine externe Zentrale ist von Anfang an integriert. Bei Bedarf wären weitere individuelle Anpassungen möglich.

Nur geringe Mehrkosten
Grossen Wert auf ergonomische Lösungen und eine hindernisfreie Bauweise legt auch die Winterthurer Genossenschaft für Alters- und Invalidenwohnungen (Gaiwo) bei der Ausstattung und Konzeption der Alterswohnungen. Die Küchen in den Neubauten der Gaiwo entsprechen einem guten Standard, sie verfügen über schönes Parkett, sind farblich und hinsichtlich der Kontraste attraktiv gestaltet. Die Anpassungen im Hinblick auf die Zielgruppe – das Durchschnittsalter der Bewohnerinnen und Bewohner beträgt rund achtzig Jahre – fallen bei den Küchen auf den ersten Blick gar nicht gross auf. «Es ist ein strategischer Entscheid, dass wir hochwertige Metallküchen einbauen. Sie weisen eine sehr hohe Qualität auf, sind vorteilhaft im Unterhalt und über den ganzen Lebenszyklus betrachtet kostengünstig», sagt Geschäftsführer Samuel Schwitter. Nach seiner Erfahrung wird es von den Mieterinnen und Mietern sehr geschätzt, dass die Küchen gross und komfortabel sind.
Standardmässig weist die Küche im Neubau sieben Elemente auf, darunter eine Geschirrspülmaschine, einen Kühlschrank, separate Gefrierfächer, einen Kochherd, ausreichend ausziehbare Schubladen und Ablagen sowie einen hoch liegenden Backofen. Auf zusätzliche oder andere Geräte wie etwa Steamer und Extras an Technik oder digitale Tools wird verzichtet. Der Gebrauch im Alltag, eine gute Haptik und leichte Bedienbarkeit stehen im Fokus – gleich wie beim Sunnige Hof mit den ausfahrbaren Elementen und Drehknöpfen.

Ausfahrbare Schubladen
Wichtig sei, auf keinen Fall am falschen Ort zu sparen, betont Schwitter: Ein ausfahrbares Element beim Backofen verursache im Einkauf nur minime Mehrkosten, sei aber im Alltag von grossem Wert. Die Anpassungen am Backofen und bei den Möbeln würden nur geringe Mehrkosten von vielleicht 300 bis 500 Franken pro Küche verursachen. Alle Schubladen und Flächen in den Möbeln sind wenn möglich ausfahrbar. Der Dampfabzug und die Unterseite der Küchenmöbel liegen nicht auf einer Linie, die Schränke sind also leicht nach unten gezogen und damit leichter zugänglich. «Quasi hoch oben schwebende Schränke und Küchenmöbel wollen wir vermeiden», sagt Schwitter. Das Beispiel zeigt, dass die bewusste Planung und sorgfältige Gestaltung so oder so von Vorteil ist. Auf dem obersten Regal oder in den hintersten Tiefen von Unterschränken nach den passenden Utensilien oder nach Geschirr zu suchen, ist so oder so unpraktisch. Ab einem gewissen Alter werden Kletterpartien in der Küche noch gefährlicher, als sie das sowieso schon sind.
Aus ergonomischen Gründen sind die Küchen meist auf einer Linie oder übers Eck angeordnet. Laut Schwitter geht es bei Renovationen oft nicht anders, als die Küche auf weniger Elemente zu beschränken und übers Eck anzuordnen – was arbeitstechnisch kein Nachteil sein muss. Alle Flächen und Grundrisse sind hindernisfrei gestaltet, sodass sich die Mieterschaft auch mit einem allenfalls benötigten Rollator gut organisieren kann. Spezielle Massnahmen wie etwa die Unterfahrbarkeit der Spüle oder einzelner Küchenmöbel für einen Rollstuhl sind hingegen nicht standardmässig vorgesehen. Nach den Erfahrungen der Gaiwo wäre dies ein unverhältnismässiger Aufwand, gemessen an der Anzahl Personen, die tatsächlich davon profitieren würden. Schwitter betont aber: «Wenn wirklich weitere Anpassungen angezeigt sind, suchen wir selbstverständlich eine individuelle Lösung.»

Ausziehbare Elemente sind praktischer als Küchenkästchen mit Drehtüren und Ablagen. Sie erleichtern älteren Menschen den Zugang und die Übersicht. Wichtig sind auch grosse, U-förmige Schrankgriffe, an denen man nicht hängen bleiben kann.

Wohnungen nachträglich anpassen
Claire-Valérie Ginier, Architektin und stellvertretende Leiterin der Fachstelle für hindernisfreie Architektur, sagt dazu, dass eine solche Unterfahrbarkeit in Küchen auch gar nicht verlangt sei. Die Fachstelle vertritt den Grundsatz eines «anpassbaren Wohnungsbaus». Solche Wohnungen seien so konzipiert, dass sie von nahezu allen Menschen «selbstbestimmt nutzbar» seien. Das Konzept lässt sich in zwei Stufen umsetzen: Alle Wohnbauten sind vom Hauszugang bis zum Wohnungsgrundriss hindernisfrei und besuchsgeeignet, auch für Personen mit Behinderung, und bei Bedarf lassen sich die einzelnen Wohnungen nachträglich mit geringem baulichem Aufwand an die individuellen Bedürfnisse anpassen.
Wenn der Grundsatz der Anpassbarkeit schon in die Planung einfliesst, entstehen auch keine Mehrkosten. Bei der Gestaltung der Küche allgemein ist es wichtig, die Grundregeln der Ergonomie und der Arbeitsabläufe zu beachten. Ein naheliegendes Beispiel: Im Alltag ist es ausgesprochen unpraktisch, einen Topf mit kochendem Wasser von einer separaten Kochinsel zur Spüle nebenan zu tragen. Einzeilige Küchen mit einer ausreichenden Anzahl Elemente oder allenfalls eine L-förmige Anordnung sind klar vorzuziehen. Ein pflegeleichter Boden, der auch bei Nässe möglichst rutschfest ist, sollte ebenso selbstverständlich sein.
Gut verzichten kann man in altersgerechten Wohnungen aber auf zusätzliche Geräte und zusätzliche Technik. Die angefragten Genossenschaften und auch die Expertin haben diesbezüglich klare Vorbehalte: «Mehr Technik macht nach unserer Erfahrung nur in ganz bestimmten Fällen Sinn», so Ginier. So könne es für App-affine Personen mit Sehbehinderung zum Beispiel hilfreich sein, wenn sie den Backofen und den Kochherd über individuelle Apps am Handy bedienen können.

Merkblatt Küchen im Wohnungsbau