Rubrik: Recht

Aktuelle Fragen zur Energieversorgungssicherheit

Die Versorgung mit Erdölprodukten, Elektrizität und Erdgas gehört zu den kritischen Infrastrukturen. Im Falle schwerer Mangellagen kann der Bund Massnahmen treffen. Bis dahin können Genossenschaften gegenüber Mietenden nur beschränkt Massnahmen umsetzen.

2022/07

Vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs sowie anderer Ereignisse besteht die Mög­lichkeit, dass im kommenden Winter die Energieversorgungssicherheit strapaziert werden könnte, insbesondere bei Gas und Elektrizität. Vorweg ist festzuhalten, dass die Lage dynamisch ist und von diversen Faktoren abhängt wie der Strenge des Winters, der Wiederaufnahme von Gas­lieferungen oder neuen Lie­feranten. Eine Prognose ist demnach kaum möglich und es ist denkbar, dass es gar keinen Versorgungsengpass geben wird.
Weil die Systeme zur Versorgung mit Erdölprodukten, Elektrizität und Erdgas zu den kritischen Infrastrukturen des Landes gehören, fallen sie in den Geltungsbereich der wirtschaftlichen Landesversorgung. Der Bund kann im Falle schwerer Mangellagen, mit denen die Energiewirtschaft nicht selbst umzugehen vermag, vorsorgliche Massnahmen treffen.¹ Diese Kompetenz ist lediglich auf Krisenzeiten beschränkt, das heisst, die getroffenen Massnahmen sind meist kurz­fristiger und vorübergehender Art.

Begriff der Mangellage
Das Schlüsselwort für die Energieversorgungssicherheit ist die sogenannte Mangellage. In der Schweiz sprechen wir von einer Mangellage, wenn das Angebot die Nachfrage nicht mehr decken kann und auch der Markt und die Preise keine regulierende Wirkung mehr haben.² Ob eine Mangellage vorliegt, muss für jeden Energieträger einzeln bestimmt werden.

Erdöl
Beim Erdöl ist eine Mangellage im kommenden Winter sehr unwahrscheinlich, da der Rohstoff aus verschiedensten Ländern importiert wird und zudem die Erdölbranche gesetzlich verpflichtet ist, Tanklager mit Pflichtlagerbeständen zu betreiben, um den nationalen Bedarf an Brennstoffen abdecken zu können.³ Deshalb ist das Risiko im Hinblick auf die Versorgungssicherheit minim.

Gas
Beim Gas ist die Ausgangslage anders. Wie Erdöl muss auch Erdgas vollständig aus dem Ausland importiert werden. Aus tech­nischen Gründen wurden in der Schweiz bisher aber keine grossen Gasspeicher angelegt.⁴ Die Gaswirtschaft ist daher auf direkte Lieferungen aus dem Ausland angewiesen. Knapp 30 Prozent⁵ der Gaskunden sind in der Lage, kurz­fris­tig auf einen Ersatzbrennstoff – in der Regel Heizöl – umzustellen («Zwei­stoff­kun­den»), und Erdgas erhält die Schweiz nur teilweise aus Russland. Dadurch können all­fällige Versorgungsengpässe etwas ab­gefedert werden. Beim Gas könnten aber im Winter mangels Pflicht­lager Versorgungsengpässe auftreten. Eine Nachfrage beim Energielieferanten, ob ein Notfallplan besteht, ist emp­fehlenswert.

Elektrizität
Was die Stromversorgung betrifft, weist die Schweiz eine wesentlich geringere Importabhängigkeit auf als bei Erdöl und Erdgas. Kritisch könnte es nur im Winter werden, da dann die ­Stromproduktion relativ niedrig ist. Kann das Stromangebot die Nachfrage infolge einer Mangellage nicht mehr decken, ist vorgesehen, dass der Bund die Verwendung bestimmter Ge­räte verbieten oder einschränken, Strom­lieferungen ins Ausland beschränken, Elektrizitätslieferungen kontingentieren oder so­gar Netz­abschaltungen vornehmen kann.⁶ Nach hier vertretener Auffassung ist die Schweiz beim Strom in einer guten Ausgangslage. Allerdings sind im Hinblick auf den ­Winter Sparmassnahmen angezeigt.

Mögliche Massnahmen
Bei der Energieversorgung wurden die Massnahmen bisher vom Bundesrat lediglich in Aussicht gestellt. Man weiss zurzeit (Stand Ende September) nur, welche Einschränkungen, Verbote und Kontingentierungen stufenweise in die Wege geleitet werden, aber nicht, wann dies ge­schehen könnte. Es gibt bislang lediglich unverbindliche Sparappelle. Sobald behördliche Empfehlungen vorliegen, werden diese auf der Verbandswebsite publiziert.
Die einzelnen Massnahmen werden – ähnlich wie bei der Covid19-Pandemie – je nach Fortschritt der Mangellage durch Verordnungen des Bundesrats angeordnet werden müssen. Wie mit den einzelnen Notmassnahmen umzugehen ist und welche Rechtsfragen sich stellen, kann erst bei deren Eintreten mit Sicherheit festgestellt werden.
Einseitige Massnahmen seitens der Genossenschaften gegenüber Mietern sind zurzeit nur beschränkt umsetzbar. Beispielsweise stellt eine einseitige Senkung der Raumtemperatur unter 20 Grad durch den Vermieter ohne gesetzliche Grundlage einen Mangel dar. Hier sind zurzeit nur freiwillige Massnahmen beziehungsweise Sparappelle möglich. Da Allgemeinräume wie Säle oder Gemeinschaftsräume aber nicht Teil des Miet­objekts sind, könnten hier die Temperaturen oder Teile der Aussenbeleuchtung ohne Zustimmung der Mieter reduziert werden.
Ob eine einseitige Erhöhung der Akontozahlung oder Pauschalen für die Nebenkosten notwendig und sinnvoll ist, muss im Einzelfall geprüft werden. Eine all­fällige Erhöhung muss aber mittels amt­lichen Formulars mitgeteilt werden.

  1. Vgl. Art. 102 Abs. 1 BV sowie Art. 57 Abs. 1 und 60 Abs. 1 LVG (SR 531)
  2. Versorgungslage
  3. Mineralölpflichtlagerverordnung (SR 531.215.41)
  4. www.gazenergie.ch
  5. Bericht zur Vorratshaltung des BWL 
  6. Vgl. Art. 31 bis 33 LVG sowie www.bwl.admin.ch

Thomas Elmiger,

Rechtsdienst

thomas.elmiger@wbg-schweiz.ch