Rubrik: Recht

Kündigung ohne Ausschluss

Sofern keine Koppelung zwischen der Mitgliedschaft und der Miete der Genossenschaftswohnung besteht, kann eine Wohnungskündigung ohne zusätzliches Ausschlussverfahren erfolgen. Dem steht der Grundsatz entgegen, wonach die Kündigung auf den Ausschluss aus der Genossenschaft folgt, was dem Mitglied einen verstärkten Kündigungsschutz verleiht. Dieser besondere Schutz gilt auch unter neuer Rechtsprechung.

Vorab ist in Erinnerung zu rufen, dass die Wohnbaugenossenschaften und ihre Mieter durch zwei Rechtsverhältnisse verbunden sind. Einerseits das körperschaftliche Verhältnis, das durch die Aufnahme des Mieters in die Genossenschaft entsteht. Andererseits das individuelle Schuldverhältnis, das aus dem Abschluss eines Mietvertrages zwischen der Genossenschaft und dem Mieter resultiert.1 Bis Ende 2009 war die vorherrschende Meinung, dass zunächst der Ausschlussaus der Genossenschaft (rechtskräftig) erledigt werden musste, bevor das betreffende Mietverhältnis beendigt werden konnte.2

Hintergrund dieser Überlegung ist der Umstand, dass mit der Auflösung des Mietvertrages die Genossenschaft dem Mitglied gegen dessen Willen die Wohnung entzieht. Damit wird das Mitglied zugleich seines Anspruchs beraubt, die genossenschaftlichen Einrichtungen zu benutzen.3 Immerhin wurde regelmässig statutarisch vorgesehen, dass der Rechtsmittelweg ohne aufschiebende Wirkung auszukommen hatte.4 Damit konnte das genossenschaftliche Mietverhältnis auch dann gekündigt werden, wenn das Ausschlussverfahren noch andauerte.

Erfordernis des Ausschlussgrundes

In seinem Entscheid BGE 136 III 65 stellte das Bundesgericht klar, dass die Mitgliedschaft und das Mietverhältnis unabhängig voneinander in separaten Verfahren beendet werden können. Demzufolge ist denkbar, dass ein Rechtsverhältnis ohne das andere fortbesteht. Mit Blick auf den Zweck der Wohnbaugenossenschaft setzt die Kündigung des Mietvertrages allerdings voraus, dass der Kündigungsgrund auch einen Ausschluss aus der Genossenschaft zulassen würde.5 Gegeben ist solches nur, wenn ein wichtiger Grund im Sinne von Art. 846 Abs. 2 OR oder ein statutarischer Ausschlussgrund vorliegt. Zwar müssen Letztere nicht die Schwelle eines wichtigen Grundes erreichen, doch von gewisser Relevanz sein und mit der Tätigkeit der Genossenschaft beziehungsweise deren Zweck in Beziehung stehen.6

Es ist daher ratsam, die Ausschlussgründe vollständig und präzise in den Statuten aufzuzählen. Im Ergebnis muss der Kündigungsgrund also zugleich den Ausschlussgrund darstellen. Die Kündigung einer Genossenschaftswohnung unterliegt demnach auch unter der neuen Rechtsprechung höheren Anforderungen gegenüber einer Kündigung eines kommerziellen Mietverhältnisses.

Koppelung Mitgliedschaft–Mietvertrag

Soeben Gesagtes gilt nicht, wenn die beiden Rechtsverhältnisse in der Weise verknüpft sind, dass das eine nicht ohne das andere fortbestehen kann.7 Eine derartige Koppelung kann ihre Grundlage im Mietvertrag oder in den Statuten haben.8 Soweit eine Wohnbaugenossenschaft nur aus Mitgliedern besteht, die auch in der Genossenschaft wohnen, drängt sich eine Verknüpfung beider Rechtsverhältnisse auf. Dass auf das Vorhandensein eines Ausschlussgrundes gänzlich verzichtet werden kann, ist meines Erachtens nicht möglich. Der besondere Kündigungsschutz bei Genossenschaftswohnungen fusst auf dem Genossenschaftsrecht, mithin dem Anspruch auf Benutzung der genossenschaftlichen Einrichtungen. Darauf kann nicht verzichtet werden.9 Andernfalls ginge der besondere Kündigungsschutz beim Genossenschaftsmietverhältnis vollends unter.

Verzicht auf separate Anfechtung

Schliesslich gilt es zu berücksichtigen, dass die mit der Ausschliessung zusammenhängende Kündigung mit der Begründung angefochten werden kann, die Voraussetzungen für die Kündigung (nämlich das Bestehen eines Ausschlussgrundes aus der Genossenschaft) seien nicht gegeben gewesen. Dies gilt selbst dann, wenn der Genossenschaftsmieter den Ausschluss nicht gerichtlich angefochten hat.10

  1. BGE 134 III 159 E. 5.2.3 S. 163 f. = Pra 2008 Nr. 104 S. 668
  2. BGE 136 III 65 E. 2.4 S. 69 = Pra 2010 Nr. 87 S. 627
  3. BGE 118 II 168 E. 3b/aa S. 171 = Pra 82 Nr. 112 S. 443
  4. vgl. Art. 846 Abs. 3 OR; Art. 11 Abs. 3 und 4 der Musterstatuten; zum Ganzen Urs Engler, Zur Kündigung genossenschaftlicher Mietverträge, mp 2/00, S. 57 ff
  5. BGE 136 III 65 E. 2.4.2 S. 71 f. = Pra 2010 Nr. 87 S. 628 f
  6. Jaques-André Reymond, Die Genossenschaft, Basel 1998, SPR VIII/5, S. 94
  7. BGE 136 III 65 E. 2.4.1 S. 70 f. = Pra 2010 Nr. 87 S. 627 f
  8. so Art. 4 Abs. 2 der Musterstatuten; in der Neuauflage der Musterstatuten wird diese Koppelung aufgegeben.
  9. BGE 118 II 168 E. 3b/aa S. 171 = Pra 82 Nr. 112 S. 443; Jaques-André Reymond, a. a. O., S. 139; Susy B. Moser, Wohnbaugenossenschaften, Diss. Zürich 1978, S. 164 f
  10. BGE 4A_247/2015 vom 6. Oktober 2015 E. 3.3

Martin Bachmann,

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