Thomas Elmiger,
Rechtsdienst
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Bauvorhaben beeinträchtigen immer wieder die Interessen von Nachbarn. Wer käme da auf die Idee, dass das Ergreifen eines Rechtsmittels gegen eine Baubewilligung möglicherweise missbräuchlich sein könnte?
Bei einem Bauprojekt hat ein Nachbar grundsätzlich die Möglichkeit, die einem Bauherrn erteilte Baubewilligung mit einem Rechtsmittel anzufechten und dadurch das Vorhaben zu verzögern. Das Ergreifen eines Rechtssmittels in Bausachen hat regelmässig die aufschiebende Wirkung1 zur Folge, so dass das Projekt in der Folge trotz Bewilligung nicht in die Tat umgesetzt werden kann. Für den jeweiligen Bauherren resultiert daraus ein Verzögerungsschaden.
Eine Verzögerung des Bauvorhabens durch ein gerichtliches Verfahren kann zu einer erheblichen finanziellen Schädigung der Bauherrschaft führen, indem Aufwendungen wie Hypothekarzinsen anfallen oder in Verträgen vorgesehene Konventionalstrafen fällig werden, ohne dass gleichzeitig entsprechende Mietzinse eingenommen werden können. Unter bestimmten Voraussetzungen kann aber die Möglichkeit der Ergreifung von Rechtsmitteln zu offensichtlich sachfremden Zwecken missbraucht werden und zivil- sowie strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.
Sachfremder Zweck
Ein sachfremder Zweck für die Ergreifung eines Rechtsmittels kann insbesondere dann vorliegen, wenn die anfechtende Partei sich den Verzicht auf das Rechtsmittel beziehungsweise den Rückzug desselben durch eine finanzielle Entschädigung abgelten lässt, ohne dass ein schutzwürdiges Interesse an der Ergreifung des Rechtsmittels bestanden hat. In solchen Fällen ist zu prüfen, ob die Bezahlung der Entschädigung zivil- oder strafrechtlich relevant sein könnte. Aus strafrechtlicher Sicht ist der Tatbestand der Erpressung im Sinne von Art. 156 des Strafgesetzbuches2 zu prüfen. Den Tatbestand der Erpressung erfüllt, wer in der Absicht, sich oder einen andern unrechtmässig zu bereichern, jemanden durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile zu einem Verhalten veranlasst, wodurch dieser sich selber oder einen andern am Vermögen schädigt.
Eine Erpressung kann auch bei einer Drohung mit rechtmässigen Mitteln vorliegen, etwa wenn zur Durchsetzung einer Forderung ein an sich erlaubtes Verhalten angedroht wird, wie zum Beispiel ein Rechtsmittel in Bausachen zu ergreifen, wenn der erhobene Anspruch überhaupt nicht besteht, rechtlich nicht durchsetzbar oder übersetzt ist.3 Falls beispielsweise versucht wird, den Bauherrn unter dem Eindruck der angedrohten Bauverzögerung zu einer finanziellen Leistung von mehreren hunderttausend Franken zu zwingen, die keinerlei Bezug zu allfälligen Nachteilen des anfechtenden Nachbarn hat, kann dies einen ernstlichen Nachteil im obigen Sinne darstellen und den Straftatbestand der Erpressung erfüllen.4
Höhe der Abfindung
Zudem ist ein solches Geschäft widerrechtlich beziehungsweise sittenwidrig5 und damit nichtig im Sinne von Art. 20 OR6, weshalb unter Umständen auch eine bereits bezahlte Abfindung nach den Bestimmungen der ungerechtfertigten Bereicherung gemäss Art. 62 OR zurückgefordert werden könnte. Sittenwidrigkeit eines Vertrags wird angenommen, wenn er gegen das allgemeine Anstandsgefühl oder gegen ethische Prinzipien und Wertmassstäbe unserer Rechtsordnung verstösst.7 Sittenwidrigkeit kann einerseits in der vereinbarten Leistung oder in dem damit angestrebten mittelbaren Zweck oder Erfolg liegen, sich andererseits aber auch daraus ergeben, dass eine unentgeltliche Leistung mit einer geldwerten Gegenleistung verknüpft wird.8 Entscheidend ist hinsichtlich der Höhe der Abfindung, dass das Entgelt für den Rechtsmittelverzicht nicht eine aus der Luft gegriffene Abfindung darstellen darf, sondern in etwa der finanziellen Einbusse des Betroffenen entspricht.9
Sittenwidriges Zweck-Mittel-Verhältnis
Verspricht jemand eine Summe, damit ein anderer auf die Ergreifung eines Rechtsmittels verzichtet, so gilt dies als sittenwidrig, wenn der Bauherr die Entschädigung nur leistet, um einen drohenden Verzögerungsschaden zu verhindern und nicht um eine mit dem Bauvorhaben verbundene Beeinträchtigung des Nachbargrundstückes auszugleichen.10 Eindeutig sind meines Erachtens Fälle, in denen sich eine Partei Leistungen versprechen lässt, auf die sie keinen Rechtsanspruch hat. So zum Beispiel wenn wegen einer fehlenden Grenzbepflanzung ein Rechtsmittel erhoben wird und die anfechtende Partei diese Bepflanzung als Gegenleistung für den Rückzug verlangt, aber gar kein Anspruch auf eine Grenzbepflanzung besteht.
Zweckfremd und damit unzulässig ist meines Erachtens auch, wenn nur vage Beeinträchtigungen geltend gemacht werden und die Erfolgschancen als aussichtslos zu bezeichnen sind.11 Kann nicht damit gerechnet werden, dass ein Bauprojekt mit baurechtlichen Schritten erfolgreich verhindert werden kann, ist eine entgeltliche Verzichtsvereinbarung als sittenwidrig und damit als nichtig zu qualifizieren.12 Kritisch sind insbesondere Fälle, wo vom Bauprojekt geringe Auswirkungen ausgehen (zum Beispiel Mieterumbau im Innenbereich), gleichzeitig auf Seiten des Nachbarn nur geringfügige Unannehmlichkeiten zu erwarten sind und trotzdem eine Entschädigung verlangt wird.
Wenn beispielsweise ein Rechtsmittel in Bausachen nur wegen voraussichtlichen Baulärms ergriffen wird und der Rückzug desselben entschädigt werden soll, dürfte diese Vorgehensweise zweckwidrig sein, zumal die Interessen des Nachbarn nicht genügend beziehungsweise nur vorübergehend während der Bauphase tangiert sind, Bauen eine erlaubte Tätigkeit darstellt und für die Geltendmachung allfälliger Ersatzansprüche der zivilrechtliche Weg nach Art. 679a ZGB vorgesehen ist. Beruht die Beeinträchtigung des Nachbarn auf einem baurechtskonformen Projekt, so muss der jeweilige Eigentümer den Schaden grundsätzlich selber tragen.13
Fazit
Die Vereinbarung eines Entgelts für den Verzicht auf ein Rechtsmittel ist nichtig, wenn sich der wirtschaftliche Wert des Verzichts bloss aus dem möglichen Schaden für den Bauherrn wegen der Verlängerung des Bewilligungsverfahrens und nicht aus schutzwürdigen Interessen des anfechtenden Nachbarn ergibt. Zudem könnte ein Straftatbestand erfüllt sein. Unproblematisch sind Fälle, in denen ein Nachbar Einwände gegen ein Bauvorhaben geltend machen kann, die negative Auswirkungen auf sein Grundstück verhindern können und die Ergreifung des Rechtsmittels damit nicht als aussichtslos erscheinen lassen.