Rubrik: Recht

Stürmische Zeiten

Immer wieder verursachen Herbststürme Schäden in Millionenhöhe. Welche Versicherung zahlt, wenn ein Sturm das Dach beschädigt hat oder ein Baum auf das Nachbarsgrundstück gestürzt ist? Und was können Wohnbaugenossenschaften tun, um Verletzungen, Schäden und hohe Kosten möglichst zu vermeiden?

2023/08

Es ist wieder Herbst: Das Leben verlagert sich in die Innenräume, die Heizungen werden hochgedreht, die Bäume stehen ohne Blätter da. Nimmt der Wind Fahrt auf, klingelt der Wecker bei den Hauswarten unserer Mitgliedergenossenschaften besonders früh; es ist mit Aufräumarbeiten zu rechnen. Immer wieder stellen sich ihnen aber auch rechtliche Fragen. Wie können nach einem Sturm Beweise gesichert werden? Wie geht man im Schadenfall am besten vor? Und welche Versicherung zahlt, wenn ein Baum Teile eines Gebäudes oder der Gebäudeumgebung beschädigt?
Kracht ein Baum auf das Nachbargrundstück, muss zunächst unterschieden werden, ob es sich um einen natürlich gewachsenen Baum handelt oder nicht. Natürlich gewachsene Bäume und Waldbäume stellen grundsätzlich kein Werk im gesetzlichen Sinne dar.

Haftung als Eigentümerin eines «Werks»
Ein Baum kann durch die Art seiner Anpflanzung oder infolge künstlicher Veränderung (Zurückschneiden der Äste, Integration in die Gartengestaltung oder spezielle Anordnung) zu einem Werkteil werden. Ein künstlich gepflanzter oder zugeschnittener Baum könnte also als «Werk» betrachtet werden und eine Werkeigentümerhaftung nach Art. 58 OR auslösen. Diese sehr strenge Kausalhaftung führt dazu, dass es der Eigentümerin verwehrt ist, einen Sorgfaltsbeweis zu erbringen. Hatte der Baum einen Mangel oder liegt mangelhafter Unterhalt vor, so greift die Haftung, auch wenn die Werk-eigentümerin nichts vom Mangel wusste. Es ist zu empfehlen, als Vorsichtsmassnahme eine Fachperson damit zu beauftragen, ein «Baumprotokoll» zu erstellen. Auch wenn es sich beweisrechtlich um ein Parteigutachten handelt, hat doch eine unabhängige Drittperson die Mangellosigkeit der Bäume festgestellt beziehungsweise die kranken Bäume wurden vorsorglich sachgerecht behandelt oder entfernt.

Haftung als Grundeigentümerin
Hatte der Baum keinen Mangel und wurde der Unterhalt sachgemäss erfüllt, so kann immer noch die Grundeigentümerhaftung nach Art. 679 ZGB greifen. Handelt es sich beim Sturm um höhere Gewalt, so würde die Haftung der Grundeigentümerin entfallen. Allerdings wird höhere Gewalt sehr zurückhaltend angenommen (BGE 111 II 429, 433 E. 1b). Das heisst, dass aussergewöhnliche Stürme aufgrund der klimatischen Veränderungen auf unserem Planeten haftpflichtrechtlich nicht mehr per se als höhere Gewalt qualifiziert werden.

Wer zahlt?
Deshalb ist es elementar, eine Gebäudeversicherung abzuschliessen. Eine solche ist nicht in allen Kantonen der Schweiz obligatorisch. Damit die Gebäudeversicherung einen Sturmschaden übernimmt, wird eine gewisse Windstärke vorausgesetzt. Erst ab einer Windstärke von 63 Kilometern pro Stunde (kantonale Versicherungen) respektive einer Windstärke von 75 Kilometern pro Stunde (private Versicherungen) werden solche Schäden übernommen. Die Windstärke muss während mindestens zehn Minuten messbar gewesen sein oder Spitzengeschwindigkeiten von hundert Kilometern pro Stunde erreicht haben. Zudem wird verlangt, dass die Versicherten alle «zumutbaren Massnahmen, um Schäden abzuwenden», ergriffen haben.
Die Beweislast sowohl für die Windstärke als auch für die ergriffenen Massnahmen zur Schadensabwendung liegt bei der Eigentümerin. Zum Beweis der Windstärke kann auf Messstationen in der Nähe zurückgegriffen werden. Diese liegen aber manchmal nicht auf derselben Höhe wie das Gebäude. Verweigert die Versicherung die Deckung, weil die Messwerte nicht erreicht wurden, kommt man nicht umhin, ein technisches Gutachten zu erstellen. Für den Beweis der ergriffenen Massnahmen lohnt sich ein Baumprotokoll (oder ein Protokoll für Fassaden-Dachprüfung), das durch eine unabhängige Drittfirma erstellt wurde. Dies auch dann, wenn in der eigenen Genossenschaft Fachleute eine solche Prüfung selbständig machen könnten. Ein unabhängiger Dritter hat bedeutend höhere Beweiskraft.
Die Gebäudeversicherung deckt Schäden am Gebäude selbst. Die Zerstörung der Gebäudeumgebung wie Gartenzäune oder Terrassenplatten fallen nicht unter die Haftung der Gebäudeversicherung. Für den Garten müsste eine spezielle Elementarversicherung gegen Naturgewalten abgeschlossen werden.

Schadenminderungspflicht
Wichtig ist, dass nach einem solchen Naturereignis schadensmindernde Massnahmen ergriffen werden (zum Beispiel das Eindringen von Wasser ins Gebäude verhindern), ansonsten kann die Versicherung die Haftung einschränken. Dass mit Naturgewalten wie starken Stürmen immer mehr zu rechnen ist, ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Was aber können Wohnbaugenossenschaften tun, um Verletzungen und Schäden oder hohe Kosten möglichst zu vermeiden?

  • Baumbestand, Dächer und ­Fassadenteile prüfen
  • Zustand durch ein Gutachten ­bestätigen lassen
  • präventiv Massnahmen ergreifen (zum Beispiel Bäume fällen)
  • Schadensfall dokumentieren
  • sofort Versicherung informieren
  • Sicherungsmassnahmen einleiten.

Mia Vorburger,

Rechtsdienst

mia.vorburger@wbg-schweiz.ch