
Die Basler Wohngenossenschaft Belforterstrasse hat ihren gesamten Bestand erneuert
Individualität grossgeschrieben
Die Wohngenossenschaft Belforterstrasse (WGB) in Basel hat ihre 17 Liegenschaften mit insgesamt 193 Wohnungen saniert. Vorstand und Architekten haben es sich dabei nicht leichtgemacht und den Bewohnerinnen und Bewohnern ein hohes Mitbestimmungsrecht eingeräumt. Allein die Planungsphase für das «Projekt 2050» dauerte gut sieben Jahre. Pünktlich zum 70-Jahr-Jubiläum der WGB wurden die Bauarbeiten abgeschlossen.
Von Béatrice Koch | Bilder: zVg | Dezember 2019
193 Wohnungen vermietet die Wohngenossenschaft Belforterstrasse (WGB), und kaum eine ist wie die andere. Das liegt einerseits daran, dass sich die Wohneinheiten auf 17 zum Teil ganz unterschiedliche Liegenschaften verteilen. Anderseits ist die WGB seit je offen für individuelle Anpassungs- und Ausbauwünsche der Mieterschaft. «Wir sind bei Eigeninvestitionen sehr kulant», sagt WGB-Präsident Martin Kübler. «Unsere Mieterinnen und Mieter haben viele Freiheiten – fast wie bei einem Eigenheim.» Dieses weitreichende Mitspracherecht behielt die WGB auch bei ihrem im August abgeschlossenen Gesamtsanierungsprojekt bei. «Wir haben die Mieter schon früh mit ins Boot geholt», sagt Martin Kübler.
Wünsche aufgenommen
Die Bedürfnisse waren je nach Liegenschaft grundverschieden. Nach einer Zustandsanalyse aller Häuser begannen Vorstand und Architekten, die Anliegen der Bewohnerinnen und Bewohner zu sammeln – an Infoveranstaltungen und Generalversammlungen, mittels Umfragen, Projektgruppen und Wohnungsbegehungen. «Der Architekt und ich sind von Wohnung zu Wohnung gegangen und haben die Wünsche der Genossenschafter aufgenommen und gemeinsam abgeklärt, was machbar ist.» Ein aufwendiges Vorgehen, das sich aber gelohnt habe, ist Martin Kübler überzeugt. «So konnten wir frühzeitig auf Kritik reagieren und Probleme lösen.»
Natürlich sei seitens der Mitglieder konstruktiv nachgefragt und entsprechend argumentiert worden, eigentlichen Widerstand gegen das Sanierungsprojekt habe es jedoch nicht gegeben. Und das, obwohl die Mieter angehalten wurden, für die Beeinträchtigungen keine Mietzinsreduktion geltend zu machen; die Gesamtsanierung wurde im bewohnten Zustand durchgeführt. Laut Martin Kübler ist keine Mietpartei aufgrund der Bauarbeiten oder der daraus resultierenden Mietzinserhöhung weggezogen.

Bei den Liegenschaften Bonfol-, Rodersdorfer- und Michelbacherstrasse baute man 22 Dachstöcke aus. Auch hier durften die Mieterinnen und Mieter mitbestimmen. So war auch der Einbau eines zweiten Badezimmers oder einer Küchenzeile möglich.

Grössere Wohnungen, bessere Durchmischung
Die Liegenschaften der 1948 gegründeten WGB befinden sich am westlichen Stadtrand von Basel, hart an der Grenze zu Frankreich und dem Kanton Basel-Landschaft. Die Gebäude wurden zwischen 1948 und 1956 erstellt und verfügen hauptsächlich über Wohnungen mit drei bis vier Zimmern mit einer Grundfläche von 70 bis 80 Quadratmetern. Bis vor rund zehn Jahre erneuerte die WGB jeweils, was nötig war: Mal wurden die Fenster, mal die Bäder ersetzt, mal renovierte man die Fassade, zuletzt wurden die Küchen ausgewechselt. Dann hatte der Vorstand genug von teuren Einzellösungen.
Eine wichtige Rolle spielte dabei der Umstand, dass die WGB die Grundstücke im Baurecht von der Einwohnergemeinde Basel-Stadt erhalten hatte und die Verträge in 30 bis 35 Jahren auslaufen. «Im Hinblick auf das Baurechtsende mussten wir uns fragen, welche Sanierungsmassnahmen sich zu welchem Zeitpunkt noch lohnen», erklärt Martin Kübler. «Wir favorisierten deshalb ein Gesamtkonzept, das alle Häuser und Wohnungen einbezieht. Die Gesamtsanierung war unsere Chance, die Zukunft der WGB aktiv zu planen und zu gestalten.» Weil die Wohngenossenschaft nach der Sanierung über mehr grössere Wohnungen verfügt, wird zudem die Mieterschaft künftig gemischter sein und mehr Familien umfassen.
Verschiedene Szenarien analysiert
Das «Projekt 2050» – diese Bezeichnung weist darauf hin, dass es sich um eine Sanierung mit langfristiger Wirkung handelt – startete Ende 2008 ohne Vorgaben. Gemeinsam mit den Architekten und der Mieterschaft analysierte die Genossenschaft alle möglichen Szenarien – von der Pinselsanierung bis zum Abbruch mit anschliessendem Neubau. Schliesslich entschied sich die Generalversammlung für den Mittelweg, nämlich für eine werterhaltende bis wertsteigernde Sanierung. Die vorhandene Bausubstanz wurde grundsätzlich beibehalten, sanft saniert und teilweise durch neue Elemente ergänzt. Ein Neubau hätte sich auch deshalb kaum gelohnt, weil ein Grossteil der Häuser der WGB der Schonzone zugeteilt sind und weitgehende Veränderungen ohnehin nicht möglich gewesen wären.
Das Bauprojekt wurde in drei Etappen realisiert. Neben der Bewahrung von bezahlbarem Wohnraum für Familien und Einzelpersonen gehörte auch die Aufwertung des Aussenraums zu den zentralen Anliegen der Sanierung. Das Viertel ist geprägt von vielen öffentlichen und privaten Grünflächen. Die attraktive Umgebung war ein zusätzlicher Grund, die bestehenden Wohnhäuser zu erhalten. Bei der Finanzierung wurde die WGB neben der Basler Kantonalbank auch von der Emissionszentrale für gemeinnützige Wohnbauträger (EGW) unterstützt.

Das fünfgeschossige Gebäude an der Hegenheimerstrasse versah man mit einer neuen Balkonschicht. Neu sind alle Wohnungen vom Balkon her mit einem privaten Zugang zum neuen Lift erschlossen. Auf dem neu isolierten Dach erstreckt sich eine 675 Quadratmeter grosse Photovoltaikanlage.

Ausgebauter Dachstock, grössere Balkone
Die Bauarbeiten starteten 2016 am Wohngebäude an der Felsplattenstrasse, das mit Baujahr 1956 das jüngste im Bestand der WGB ist. Dort wurden unter anderem Lift und Fenster ersetzt. Zudem wurde das Dach saniert und mit einer Photovoltaikanlage versehen. Zu den wichtigsten Massnahmen der nächsten Etappe an den Liegenschaften in der Bonfol-, der Rodersdorfer- und der Michelbacherstrasse gehörte der Dachstockausbau in 22 Wohnungen. Auch hier hatten die Bewohnerinnen und Bewohner viele Freiheiten und konnten die Anordnung und die Materialisierung der Treppe sowie die Zimmereinteilung frei wählen. Da die Dachstöcke neu über Wasseranschluss verfügen, war auch der Einbau eines zweiten Badezimmers oder einer Küchenzeile möglich.
Diejenigen Mieter, die ihren Estrich bereits auf eigene Kosten ausgebaut hatten, wurden nach einer einheitlichen Formel entschädigt. Die bestehenden Nasszellen wurden allesamt saniert, den Bewohnern wurden in dieser Phase provisorische Duschen und Toiletten im Keller zur Verfügung gestellt. Zudem wurden sämtliche Balkone beziehungsweise Gartensitzplätze vergrössert, und die Balkone erhielten ein neues, einheitliches Geländer aus wetterbeständigem Accoya-Holz.
Tiefgarage und Solarstrom
Zur letzten Sanierungsetappe gehörte die Erstellung einer Autoeinstellhalle mit 55 Auto- und 13 Motorradstellplätzen. Um die Tiefgarage habe er lange kämpfen müssen, gibt Martin Kübler zu. Die Stadtgärtnerei Basel und Pro Natura meldeten Bedenken an, weil für den Bau diverse Bäume gefällt werden mussten. Um die Baubewilligung zu erhalten, musste sich die WGB zu Ersatzpflanzungen verpflichten. Für mehr Biodiversität wurde zudem der Schnittrasen teilweise durch Blumenwiesen ersetzt. In der Tiefgarage steht der WGB jetzt ein Mobility-Fahrzeug zur Verfügung, wobei alle Genossenschafter ein kostenloses Mobility-Jahresabonnement erhalten. Zudem können alle Stellplätze bei Bedarf rasch ans Stromnetz angeschlossen und so auch für Elektrofahrzeuge genutzt werden.
Eine auffällige Veränderung erfuhr auch das fünfgeschossige Wohngebäude an der Hegenheimerstrasse, mit 56 Wohnungen das grösste im Bestand der WGB. Auf der Südseite des neu isolierten Hausdachs erstreckt sich nun eine 100 Meter lange und 675 Quadratmeter grosse Photovoltaikanlage mit einem voraussichtlichen jährlichen Stromertrag von 134 000 kWh. Gegen den Innenhof hin wurde das Gebäude um eine neue Balkonschicht ergänzt, in die eine behindertengerechte Liftanlage integriert wurde. Neu sind nun alle Wohnungen über einen privaten Liftzugang vom Balkon her erschlossen.
Aufwand hat sich gelohnt
Nach einer Laufzeit von insgesamt elf Jahren konnte die WGB das «Projekt 2050» im vergangenen August abschliessen, pünktlich zur Feier ihres siebzigjährigen Bestehens. Wie das Ende jeder Bauetappe wurde auch der Abschluss der Gesamtsanierung gemeinsam mit der Mieterschaft gefeiert. Martin Kübler hat, wie andere Vorstandsmitglieder auch, unzählige Stunden in Planung und Umsetzung des «Projekts 2050» gesteckt – und das neben seinem 100-Prozent-Job. Der Entscheid, die individuellen Ausbauwünsche der Genossenschafterinnen und Genossenschafter zu berücksichtigen, brachte zusätzlichen Aufwand mit sich. Dennoch bereut der WGB-Präsident nichts: «Natürlich hätten wir es uns auch viel einfacher machen können», meint er rückblickend. «Aber dann wäre es nicht unser Projekt gewesen.» Überhaupt wäre Kübler nicht Kübler, wenn er nicht bereits über weitere Projekte nachdenken würde – zum Beispiel die Einrichtung eines Mietertreffpunkts.
Baudaten
Bauträgerin
Wohngenossenschaft Belforterstrasse, Basel
Architektur
Flubacher Nyfeler Partner Architekten AG, Basel
Umfang
193 Wohnungen in 17 Liegenschaften, davon 2 Wohn-/Gewerbehäuser mit
1 Ladenlokal und 1 Büro (Sekretariat WGB), Tiefgarage mit 55 Auto- und
13 Motorradstellplätzen, 7 Velounterstände
Baukosten (BKP 1–5):
27,4 Mio. CHF
Mietzinsbeispiele (aufgrund der individuellen Ausbaumöglichkeiten sind die Mietzinse sehr unterschiedlich):
Hegenheimerstrasse: 3-Zimmer-Wohnung (70 m2): alt 740 CHF, neu 1010 CHF (je plus 150 CHF NK)
Rodersdorferstrasse (Dachausbau einer 4-Zimmer-Wohnung, neu 6 Zimmer): alt (78 m2): 923 CHF, neu (138 m2): 1531 CHF ( je plus 155 CHF NK)
Felsplattenstrasse: 5-Zimmer-Wohnung (99 m2): alt 1253 CHF, neu 1389 CHF (je plus 160 CHF NK)